Berliner Gesundheitspreis

Bessere Hilfe bei Diabetes

"Zusammenspiel als Chance" lautet das Motto des diesjährigen Berliner Gesundheitspreises. Ein multiprofessionelles Diabetesnetzwerk aus Brandenburg zeigt, wie es sich im Versorgungsalltag erfolgreich umsetzen lässt. Und was es braucht, damit die Sektorengrenzen tatsächlich durchlässig werden.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Im Diabetes-Netzwerk versuchen sich Klinik und Praxen zu ergänzen. Dazu gehört die regelmäßige Fußsprechstunde von Dr. Christine Pietsch (rechts).

Im Diabetes-Netzwerk versuchen sich Klinik und Praxen zu ergänzen. Dazu gehört die regelmäßige Fußsprechstunde von Dr. Christine Pietsch (rechts).

© www.prinzmediaconcept.de

STRAUSBERG. Nach Schätzungen haben 25 bis 30 Prozent der Patienten, die in deutschen Kliniken versorgt werden, auch eine Diabeteserkrankung. Diagnostiziert und behandelt - sowie als Haupt- oder Nebendiagnose kodiert - wird der Diabetes mellitus aber real nur bei 10 bis 12 Prozent der Patienten.

Die Folge: Es entsteht eine Unterversorgung der Diabetes-Patienten. "Diabetes wird in der Klinik oft nur als Nebenerkrankung gesehen.

Die meisten Ärzte sind sich nicht bewusst, dass da ein großes Risikopotenzial - etwa bei der Wundheilung - schlummert", erklärt Dr. Christian Jenssen, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin.

Dabei ist das Hauptproblem schnell benannt: Es gibt in den Kliniken in der Regel keine kontinuierliche fachabteilungsübergreifende Betreuung des Diabetes.

Mit einem Fünfer-Team fing alles an

Hand in Hand für die Patienten

Alle zwei Jahre wird der Berliner Gesundheitspreis ausgelobt. Die Preisträger in diesem Jahr machen deutlich: Vernetzung lohnt sich.

Immer mehr Kliniken entwickeln Ideen für interprofessionelle Behandlungsteams. Meist entstehen sie aus dem Versorgungsalltag heraus, weil Ärzte oder Pflegepersonal Verbesserungspotenziale entdecken und sich für mehr Transparenz und Vernetzung engagieren. Genau dieses Engagement würdigt der diesjährige Berliner Gesundheitspreis, den AOK-Bundesverband, Ärztekammer Berlin und AOK Nordost alle zwei Jahre ausloben. Das Motto in diesem Jahr lautet: "Zusammenspiel als Chance - interprofessionelle Teams im Krankenhaus".

Der erste Preis geht an das Weddinger Modell, ein Therapiekonzept für psychiatrische Krankenhäuser, das auf einer hierarchie- und berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit beruht. Entwickelt wurde es an der Psychiatrischen Uniklinik der Charité in Berlin. In dem Behandlungskonzept, nach dem die Klinik seit 2010 arbeitet, werden alle betroffenen Berufsgruppen - zu denen etwa auch Pfleger, Sozialarbeiter, Kunst- oder Musiktherapeuten gehören - gleichberechtigt in die Behandlung einbezogen.

Mit dem zweiten Platz wurde das Multiprofessionelle Diabetesnetzwerk Märkisch-Oderland ausgezeichnet.

Die Jury würdigte zudem das Krankenhaus Waldfriede in Berlin-Zehlendorf für sein Projekt Angstfreies Krankenhaus mit einem Sonderpreis. Ärzte, Pflegekräfte, Seelsorger, Psychotherapeuten und Sozialdienst sind an diesem interdisziplinären Konzept beteiligt und bieten den Patienten neben Gesprächen etwa auch den Besuch des OP an, um Ängste abzubauen. Eine Lobende Erwähnung erhielt das Projekt "Interdisziplinärer Kinderschutz" der Charité. Es hilft Kindern, die Opfer von Gewalt oder Missbrauch geworden sind. (eb)

Genau hier setzt das vom Klinikum ins Leben gerufene Multiprofessionelle Netzwerk zur Betreuung von Diabetikern im Landkreis Märkisch-Oderland an. Das allerdings weit über die Klinik hinausgeht: "Wir wollten mit unserem Netzwerk auch die Sektorengrenzen durchlässig gestalten", sagt Jenssen. Treibende Kraft war und ist dabei Dr. Christine Pietsch.

Die Diabetologin und Chirurgin begann 2009 mit drei interessierten Assistenzärzten und einer Diabetesberaterin, eine zentrale Betreuung für Patienten mit Diabetes aufzubauen.

"Das war nicht zu stemmen", berichtet Pietsch. Sie sprach den Chefarzt und die Geschäftsleitung an.

Und so begann sich das Netzwerk, mit dem das Klinikum nun den zweiten Platz beim gemeinsam von AOK-Bundesverband, Ärztekammer Berlin und AOK Nordost ausgelobten Berliner Gesundheitspreis gewonnen hat, zu entwickeln. Zuerst habe die Qualitätsmanagementbeauftragte (QMB) der Klinik mitgemacht.

Pietsch: "Das war wichtig, weil wir Standard-Prozesse für die einzelnen Klinikbereiche und ein Fehlermanagement erarbeitet haben." Die Diabetologin hat aber auch die IT-Abteilung mit ins Boot geholt. "Die haben uns ermöglicht, dass wir uns alle Blutzuckerwerte des Hauses ansehen konnten."

Verweildauer reduzierte sich deutlich

Schritt für Schritt wurde anschließend die Kompetenz auf den Klinikstationen aufgebaut. Heute hat jede Station zwei Pflegekräfte, die eine spezielle Diabetesschulung haben, und - auf dem kurzen Dienstweg - auch Ansprechpartner für Anfragen der Fachangestellten aus den Arztpraxen sind. Zusätzlich gibt es auf jeder Station eine Diabetesecke mit Hilfsmitteln - falls Komplikationen auftreten. Der Weg dorthin war allerdings steinig: "Zunächst sprang der Funke nicht über", erzählt Pietsch.

Und auch Jenssen bestätigt, dass es viele Diskussionen um die nötigen Schulungen gab, da die Abteilungen ohnehin schon genug Arbeit hatten.

"Doch das hat sich durch eine gewisse Hartnäckigkeit und Diskussion schnell gelöst", sagt er. "Man muss zu Beginn zwar eine hohe zeitliche Investition tätigen, aber wenn es läuft, sieht man, wie viel Zeit es später einspart und dass es weniger schwere Fälle und Komplikationen gibt."

Im Zeitraum 2009 bis 2013 reduzierte sich die Verweildauer der Patienten mit Haupt- oder Nebendiagnose Diabetes im Schnitt pro Patient immerhin um 14 Prozent auf 8,01 Tage.

Und das Netzwerk war der Deutschen Diabetesgesellschaft ein wesentlicher Partner und Ideengeber bei der Entwicklung des Zertifikats "Klinik für Diabetespatienten geeignet" - nach dem das Krankenhaus Märkisch-Oderland auch selbst zertifiziert ist

Viel einfacher gestaltete sich hingegen der Aufbau des Netzwerkes außerhalb der Klinik. Mit Vorträgen in Qualitätszirkeln und Pflegeeinrichtungen in der Region wollte das Team um Christine Pietsch auch den Kontakt zum ambulanten Bereich intensivieren. Die Resonanz sei überwältigend gewesen, so Pietsch. Die Hausärzte hätten sie gebeten, auch für ihre Fachangestellten Schulungen anzubieten.

"Da dachten wir, wir fragen gleich auch bei den Pflegeheimen nach, ob Interesse besteht", sagt die Diabetologin. "Gleich fürs erste Seminar gab es 70 Anmeldungen, wir hatten aber nur Platz für 25 Teilnehmer." So entwickelten sich die regelmäßigen Schulungen, bei denen es vor allem praktische Tipps gibt.

Bei den vielen neuen Medikamenten und auch Zusatzprodukten sei es schwierig, im Praxisalltag den Überblick zu behalten. "Die sogenannten `Darmhormone´ etwa bieten gerade jungen, berufstätigen Typ-2-Diabetikern die Möglichkeit, nicht in die Unterzuckerung zu kommen", erklärt Pietsch.

Ein großes Thema sei aber auch Diabetes bei dementen Patienten. Oder schlicht die Frage, wie man Patienten motiviere, die sich zu wenig bewegen. Pietsch: "Hier muss man über die Folgen aufklären. Und deutlich sagen, dass der Patient 50 Prozent der Therapie selbst in der Hand hat, indem er sich täglich mindestens 30 Minuten bewegt."

Direkter Draht zum Hausarzt

Ein wichtiger Baustein des Netzwerks ist auch das Entlassmanagement: Das Diabetes-Team hat einen Überleitungsbogen für den Hausarzt entwickelt, wo genau festgehalten wird, welche Teststreifen, welches Insulin mit welcher Dosierung, welches Verbandsmaterial etc. der Klinikarzt verordnet hat.

Bei Wunden werden die Wundgröße und der letzte Verbandswechsel benannt. Und es werden, falls nötig, Kontakte zu Podologen, Pflegedienst, Sanitätshaus usw. hergestellt. Jenssen: "Ein strukturiertes Entlassmanagement ist extrem wichtig, damit bei keinem Patienten bei Entlassung die Versorgungskette reißt."

Bislang hat die Klinik Kooperationsverträge mit zwei diabetologischen Schwerpunktpraxen, einer Praxis für Nierenkrankheiten, einem Orthopädieschuhmachermeister und -techniker, einer Podologischen Praxis, einer Augenarztpraxis und einer Klinik für Gefäßchirurgie.

"Es gibt jedoch auch enge Kontakte mit Rehakliniken und mehreren Fachpraxen in der Region", sagt Jenssen. "Wir sind hier in einem ländlichen Gebiet, uns ist die Versorgung der Patienten vor Ort in ihrem Umfeld wichtig."

Dass das Netzwerk nicht nur offen für neue Partner, sondern auch für neue Module in der Betreuung der Patienten ist, zeigen die vor zwei Jahren gegründeten Wundforen. "Dort besprechen wir verschiedene Fälle, die Hausärzte können dabei Fälle aus ihrer Praxis mitbringen", berichtet Pietsch.

Und da es sich so ergeben hat, dass in der Klinik viele Patienten mit diabetischem Fußsyndrom behandelt wurden, hat das Team zusätzlich eine Fußsprechstunde eingerichtet. Diese wird von Christine Pietsch in der Klinik als Ermächtigungssprechstunde zusammen mit einem Orthopädieschuhmacher abgehalten.

20 Jahre Gesundheitspreis: Impulsgeber für die Versorgung

1995 startete der Berliner Gesundheitspreis als bundesweiter Innovationswettbewerb. Die Preisträger haben die Versorgungslandschaft nachhaltig beeinflusst.

BERLIN. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Mehr als 800 Bewerbungen, rund 60 Preisträger und zehn feierliche Preisverleihungen. Doch was noch viel wichtiger ist: Zum 20. Geburtstag können die Initiatoren des Berliner Gesundheitspreises mit fug und recht behaupten, dass ihr Konzept mehr als aufgegangen ist.

Denn als sich der Preis im Jahr 2002 rund um das Thema Patientensicherheit drehte, wurden mit dem anonymen Fehlermeldesystem der Universität Basel und dem Projekt "Fehlermanagement in der Hausarztpraxis" der Universität Kiel die ersten Vorreiterprojekte der heute gängigen Fehlermeldesysteme für Praxis und Klinik ausgezeichnet. Im Jahr 2003 griff der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen die Problematik dann sogar in seinem Gutachten auf.

Die Idee für den Preis, der 1995 das erste Mal ausgelobt wurde, entwickelten der damalige Präsident der Berliner Ärztekammer, Dr. Ellis Huber, und Franz Knieps, damals beim AOK-Bundesverband tätig, gemeinsam. "Eine solche Kooperation zwischen Ärzten und Krankenkasse war zur damaligen Zeit durchaus eine Pioniertat", erklärt Huber in der Jubiläumsschrift zum Berliner Gesundheitspreis.

Beiden sei aber klar gewesen, dass es höchste Zeit sei, alte Denkmuster aufzubrechen. Huber: "Wir wollten deutlich signalisieren: Ärzte und Kassen sind keine Gegner, sondern Partner im Gesundheitswesen." Als dritten Partner holten sie sich die AOK Berlin - heute die AOK Nordost - mit ins Boot. Ziel des Preises war es von Anfang an, kleinen Projekten ohne große Lobby mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen und sie zu Leuchtturmprojekten zu etablieren.

Dazu müssen sie sich bereits im Praxiseinsatz bewährt haben. Denn: Das Kopieren der Ideen ist explizit erwünscht. Dabei widmet sich der Wettbewerb jeweils einem ausgewählten Thema, das eine besondere Bedeutung für die Gesundheitsversorgung hat. Für die Ideen stellen die Initiatoren Preisgelder in Höhe von 50.000 Euro zur Verfügung. (eb)

Weitere Infos zum Preis unter: www.berlinergesundheitspreis.de

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