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Interview zum „Tag der Krebsvorsorge“

DKG-Präsident Ghadimi: „Krebsbehandlungen funktionieren nur fachübergreifend“

Noch immer nutzen zu wenige Menschen Vorsorgeangebote, kritisiert DKG-Präsident Professor Michael Ghadimi. Warum für den Chirurgen und Klinikdirektor zertifizierte Zentren und Netzwerke mit niedergelassenen Ärzten die Zukunft der Krebsmedizin sind.

Von Frank Brunner Veröffentlicht:
Professor Michael Ghadimi ist Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Seit Dezember 2022 leitet er als Präsident die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG).

Professor Michael Ghadimi ist Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Seit Dezember 2022 leitet er als Präsident die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG).

© Swen Pfo¨rtner / Universita¨tsmedizin Go¨ttingen (UMG)

Professor Ghadimi, laut WIdO-Früherkennungsmonitor beanspruchten in diesem Jahr etwa wieder so viele Menschen eine Krebs-Vorsorgeuntersuchung wie vor den Coronamaßnahmen. Dennoch registriert die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) noch Lücken bei der Prävention. Wo besteht aus Ihrer Sicht Nachholbedarf?

Beispielsweise bei HPV-Impfungen, die unter anderem Gebärmutterhalskrebs verhindern sollen. Diese Art der Vorsorge wird zu wenig genutzt, vor allem von Jungs und jungen Männern. Bei den 14-Jährigen beträgt die Impfquote rund 25 Prozent, bei Mädchen immerhin gut 50 Prozent. Woraus diese Unterschiede resultieren, ist mir unklar und insgesamt ist die Impfbereitschaft zur Vermeidung einer Krebserkrankung in Deutschland meines Erachtens viel zu gering.

Wie kann man diese Zurückhaltung überwinden?

Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Die 16 Landeskrebsgesellschaften mit ihren Beratungsstellen spielen eine wichtige Rolle dabei, den Menschen zu vermitteln, dass sich mit Vorsorgeuntersuchungen und Prävention durch Impfung Krebserkrankungen im besten Fall vermeiden lassen.

Professor Michael Ghadimi

  • Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG)
  • Seit Dezember 2022 leitet er als Präsident die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG)

Auch die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum legen seit Jahren einen Fokus in Prävention von Krebserkrankungen. Für die Genese des Zervixkarzinoms als Infektionserkrankung und die Entwicklung einer Impfung ging der Nobelpreis für Medizin an Professor zur Hausen vom DKFZ.

Wir müssen als Gesellschaft mehr Vertrauen in die Wissenschaft haben. Dadurch kann die von Ihnen angesprochene Zurückhaltung am besten überwinden.

Viele Jugendliche lassen sich von sogenannten Medfluencern – also Influencern, die bei Instagram oder TikTok medizinische Themen diskutieren – beeinflussen. Wie wollen Sie diese Gruppe erreichen?

Da sind vor allem die Eltern gefragt, die ja eine Fürsorgepflicht haben. Wie man trotz Drucks und Fehlinformationen aus sozialen Medien eine hohe Impfquote erreicht, zeigt Finnland. Dort werden die Kinder zum Teil in der Schule geimpft. Auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzten können gezielt zu den Vor- und Nachteilen der Impfung aufklären.

Sie sind Chirurg, das heißt, Ihre Arbeit beginnt erst, wenn es für eine Vorsorge schon zu spät ist.

Da irren Sie. Sicher: In den meisten Fällen operiere ich Tumoren, also nachdem der Krebs ausgebrochen ist. Aber zu meinen Aufgaben gehört auch prophylaktische Chirurgie. Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen etwa, können Dysplasien, also Krebsvorstufen entwickeln. Dadurch steigt das Dickdarmkrebsrisiko. In solchen Fällen entfernen wir operativ den Dickdarm. An Dickdarmkrebs können die Betroffenen dann nicht mehr erkranken.

Ein anderes Beispiel ist die Familiäre Adenomatöse Polyposis Coli, kurz FAP – die erblich bedingte Mutation eines Chromosoms, die zu tausenden Schleimhautpolypen im Dickdarm führen kann. Auch hier kann eine vorbeugende Dickdarmentfernung Krebs verhindern.

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Früherkennungs-Untersuchungen bergen neben Chancen, Krebs rechtzeitig erkennen und therapieren zu können, auch Gefahren. So können Tests zu falsch-positiven Diagnosen führen – mit den daraus resultierenden psychischen Belastungen. Wie beurteilen Sie dieses Risiko?

Richtig ist, dass der Sinn von Vorsorgeuntersuchungen von einigen Wissenschaftlern hinterfragt wird. Es ist völlig normal, dass in der Medizin Pro und Contra existieren. So berufen sich Autoren einer kürzlich veröffentlichten skandinavischen Studie zum Mammakarzinom-Screening auf Daten, die nahelegen sollen, dass Vorsorgeuntersuchungen nur selten Brustkrebs im Frühstadium erkennen. Allerdings monieren wiederum andere Wissenschaftler das Studiendesign dieser Untersuchung. Deshalb bin ich dafür, kritische Stimmen ernst zu nehmen, gleichzeitig jedoch nicht aufgrund einzelner Erhebungen das Prinzip der Vorsorgeuntersuchungen pauschal abzulehnen. Denn klar ist: Je früher ein Krebs detektiert wird, desto besser können wir ihn behandeln.

Wann empfehlen Sie Ihren Patienten eine Vorsorgeuntersuchung?

Ich rate zu allen von den Krankenkassen angebotenen Vorsorgeuntersuchungen. Darüber hinaus empfehle ich solche Tests auch bei entsprechenden Risikokonstellationen. Wenn zum Beispiel ein 40-jähriger Mann mit Symptomen zu mir kommt, die auf einen Dickdarmkrebs hinweisen, lege ich ihm unbedingt eine Koloskopie nahe. Außerdem schlage ich vor, dass sich nahe Verwandte, etwa Bruder, Schwester, Eltern checken lassen.

Die Deutsche Krebsgesellschaft plädiert dafür, Tumortherapien nur in zertifizierten Zentren anzubieten. Warum?

Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie auf Basis von AOKAbrechnungsdaten hat belegt, dass Patienten mit Erstbehandlung in DKG-zertifizierten Krankenhäusern einen Überlebensvorteil aufweisen gegenüber Betroffenen in anderen Spitälern. Ein Grund dafür ist, dass Krebsbehandlungen nur fachübergreifend funktionieren. Chirurg, Strahlentherapeut und Internist müssen zusammenarbeiten. Diese Interdisziplinarität lässt sich in Kliniken mit ausreichender Größe besser realisieren. Zudem arbeiten zertifizierte Zentren auf Grundlage von medizinischen S3-Leitlinien, die den höchst möglichen evidenzbasierten Wissensstandard abbilden. In Skandinavien und den Benelux-Staaten ist das übrigens schon lange Realität. Dort finden Krebstherapien ausschließlich in spezialisierten Einrichtungen statt.

Warum folgt Deutschland diesen Beispielen nicht?

Hierzulande müssen wir erst aufwendig Daten sammeln und publizieren, um bessere Prognosen von Patienten aufgrund einer Zertifizierung nachzuweisen – eine Evidenz, die in anderen Ländern längst anerkannt wurde. Wir – damit meine ich den Dreiklang aus Deutscher Krebsgesellschaft, Deutschem Krebsforschungszentrum und Deutscher Krebshilfe – wünschen uns deshalb, von der Politik mehr gehört zu werden. Leider wurde das zum derzeitigen Stand der geplanten Klinikreform von Seiten der Politik nicht ausreichend berücksichtigt.

Soll Krebsmedizin künftig nur noch an wenigen ausgewählten Kliniken praktiziert werden?

Auf keinen Fall! Als Deutsche Krebsgesellschaft engagieren wir uns für Netzwerkstrukturen, aber für solche, die entsprechende Qualitätsparameter der Zertifizierung erfüllen. Unser Darmkrebszentrum an der Universitätsklinik Göttingen kooperiert beispielsweise sehr eng mit niedergelassenen Ärzten, hauptsächlich Onkologen und Gastroenterologen. Diese Kollegen sind übrigens ebenfalls zertifiziert und fester Teil des Darmkrebszentrums. In ihren Praxen übernehmen sie nicht nur Vorsorgeuntersuchungen, sondern sind auch Teil der Qualitätskontrolle, indem sie die Nachsorge sichern – was wir als Uniklinik personell allein gar nicht stemmen könnten. Am Ende haben wir ja alle nur ein Ziel: Dass unsere Patienten profitieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

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