Interview
Frische Daten für Patienten und Ärzte
Im Interview erläutert Jürgen Malzahn, Leiter der Krankenhaus-Abteilung im AOK-Bundesverband, die Hintergründe der Transparenz-Offensive der AOK zum Thema Mindestmengen.
Veröffentlicht:
Dr. Jürgen Malzahn vom AOK-Bundesverband.
© AOK-Bundesverband
Herr Malzahn, warum ist die AOK-Gemeinschaft vorgeprescht und hat die Mindestmengen-Transparenzkarte veröffentlicht?
Jürgen Malzahn: Wir wollten möglichst zügig Transparenz schaffen. Die gemeldeten Fallzahlen der Kliniken sind ja noch ganz frisch und aus unserer Sicht eine wichtige Informationsquelle für Patienten und Ärzte.
Wird sich mit dem neuen Prozedere die Umsetzung der Mindestmengen-Regelungen verbessern?
Malzahn: Ob sich die neue Mindestmengen-Regelung in der Praxis bewährt, werden die nächsten Jahre zeigen. Die Transparenz, die durch die regelmäßige Meldung der Fallzahlen an die Krankenkassen entsteht, ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Dies gilt auch für die Klarstellung, dass die Nichteinhaltung von Mindestmengen einen Vergütungsausschluss bedingt. Das wird die Umsetzung jetzt hoffentlich bessern. Die ersten Klagen von Kliniken zeigen aber schon, dass das kein einfacher Weg wird.
Sind die bestehenden Mindestmengen ausreichend hoch angesetzt?
Malzahn: Nein. Studienergebnisse zeigen, dass die bestehenden Mindestmengen angehoben werden sollten, um die Patientensicherheit weiter zu erhöhen. Das gilt für die Versorgung von Frühgeborenen, aber auch für die komplexen Operationen an Speiseröhre und Bauchspeicheldrüse. Auch der internationale Vergleich zeigt, dass wir hier Nachholbedarf haben: So liegt die Mindestmenge bei Speiseröhren-OPs in den Niederlanden zum Beispiel bei 20 Fällen pro Jahr– bei uns sind es nur 10. Die Sterblichkeit ist in Deutschland aber rund doppelt so hoch.
Was halten Sie von neuen, zusätzlichen Mindestmengen für weitere Operationen?
Malzahn: Wir brauchen dringend zusätzliche Mindestmengen für Operationen bei Brustkrebs, Lungenkrebs, Darmkrebs, Herzklappen-Implantationen und Hüftprothesen-Implantationen. Denn bei allen diesen Indikationen operieren immer noch zu viele Kliniken mit zu wenig Routine und zu geringen Fallzahlen. Die Folgen für die behandelten Patienten sind mitunter fatal: Sie reichen von häufigeren Komplikationen bis zu erhöhten Sterblichkeitsraten.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf von Krankenhaus-Vertretern, die Mindestmengen seien willkürlich gesetzt?
Malzahn: Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen der Anzahl der Leistungen und der Qualität der Behandlungsergebnisse kann für viele Behandlungen wissenschaftlich klar nachgewiesen werden. Aufgrund unterschiedlicher Vorbedingungen in den einzelnen Studien ist es aber schwer, daraus eine konkrete Fallzahl-Untergrenze abzuleiten. Es handelt somit um einen normativen Akt – vergleichbar mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Straßen. (Willenborg)