Unterstützungsangebot
Hilfe für ein neues Leben nach COVID
Für manche Menschen bedeutet Post-COVID das Ende ihres bisherigen Alltags. Die AOK Niedersachsen startete zwei Modellprojekte, um das Leben der Betroffenen zu verbessern.
Veröffentlicht:Es gibt diese Tage, an denen nerven sie noch immer, die Kollegen mit ihren Sprüchen. „Du gehst ja schon wieder“, sagen sie, wenn Svenja Schmidt vor dem üblichen Feierabend das Büro verlässt. Ich würde auch lieber Vollzeit arbeiten, denkt Schmidt in solchen Momenten. Dabei arbeitet sie schon 30 Stunden in der Woche. Vor Monaten noch undenkbar. Doch von ihrem früheren Leben ist sie noch immer weit entfernt.
Es ist Mitte September 2023 in Berlin und Svenja Schmidt erzählt, wie sie verlor, was zuvor selbstverständlich schien: ihre Sprache, ihre Energie, zwischenzeitlich sogar ihren Lebensmut. Die 31-Jährige gehört zu jenen Menschen, bei denen Ärzte Post-COVID diagnostizierten. Vor zwei Jahren war das. Aber noch immer fühlt sie sich manchmal missverstanden; spürt, dass andere ihre Beschwerden als reine Psychostörung abtun. Deshalb will sie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.
Vergebliche Hygienemaßnahmen
Februar 2021: Svenja Schmidt arbeitet wie jeden Tag in einer Biomarktkette. Sie und ihre Kollegen tragen Masken, desinfizieren sich regelmäßig, halten Abstand. Doch gegen den Hustenanfall einer Kollegin im Büro helfen die Hygienemaßnahmen offenbar wenig. Drei Tage später liegt Schmidt mit Schwindel, Übelkeit, Magenbeschwerden und Kopfschmerzen im Bett, ein PCR-Test ist positiv.
Irgendwann kommen die Sprachstörungen, vergebens sucht sie nach Wörtern – und findet sie dann doch mal eins, bringt sie es kaum über die Lippen. „Sie könnten einen Schlaganfall gehabt haben“, sagt die Neurologin und schickt sie in die Notaufnahme. Das MRT ist unauffällig, aber das EKG zeigt Abweichungen.
Die Ärzte entlassen Svenja Schmidt ohne Befund, nur mit dem Rat: „Gehen Sie zu einem Kardiologen.“ Doch auch der kann nicht weiterhelfen. Monatelang ist sie krankgeschrieben, eine erste Reha vergeht ohne Fortschritte. Irgendwann wird sie als arbeitsunfähig entlassen, ihre Berufsgenossenschaft besorgt einen Platz im Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn, wo sie das erste Mal die Diagnose Post-COVID hört.
Corona kann jede Zelle befallen: in Herz, Nieren, Lunge, Leber und Gehirn. Ärzte vermuten, dass aus diesen vielen Möglichkeiten die mehr als 200 Symptome resultieren, die unter dem Sammelbegriff Long- beziehungsweise Post-COVID zusammengefasst werden. Eine AOK-Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt ein ambivalentes Bild.
Positiv: 95 Prozent der Versicherten mit Long-COVID waren durchschnittlich nur knapp drei Wochen krankgeschrieben. Die verbleibenden fünf Prozent sind Langzeit-Erkrankte, im Mittel fast 200 Tage arbeitsunfähig.
Die AOK Niedersachsen startete deshalb in den vergangenen Monaten zwei Projekte. So etablierte sie für ihre 1,2 Millionen erwerbstätige Mitglieder zusammen mit der Deutschen Rentenversicherung ein neues Versorgungsmodell: Betroffenen, die seit mindestens zehn Wochen krankheitsbedingt pausieren müssen, wollen AOK und Rentenversicherung möglichst schnell eine passende Reha vermitteln.
Beratungshotline eingerichtet
Nach einem beschleunigten Antragsverfahren soll die Wiederherstellung spätestens drei Wochen nach einer Zusage beginnen. Nach gut zwölf Monaten zieht Wiebke Böhne, Referentin für Strategie und Grundsatzfragen bei der AOK Niedersachsen, ein positives Resümee: „Vor Beginn des Projektes stellten rund 27 Prozent unserer mit Post-COVID krankgeschriebenen Versicherten einen Reha-Antrag“, erzählt sie, „durch die Kooperation hat sich diese Zahl auf 60 Prozent mehr als verdoppelt.“
Ihr neuestes Angebot präsentierte die AOK Niedersachsen vor gut zwei Monaten. Zusammen mit der Landesregierung richtete die Kasse eine Beratungshotline zu Long- und Post-COVID, aber auch zu Post-Vac ein. Patienten, ihre Angehörigen und Arbeitgeber bekommen Informationen von 15 speziell geschulten Experten. Wiebke Böhne sagt: „Etwa 800 Gespräche führen die Coaches bislang, normalerweise 20 bis 25 Minuten lang, manchmal bis zu einer Stunde.“
Anrufen würden überwiegend schwer Erkrankte, die bereits einen längeren Leidensweg hinter sich haben. „Manche fühlen sich von ihren Ärzten nicht ernst genommen“, berichtet AOK-Expertin Böhne von den Erfahrungen der Gesundheitsberater. Ein Grund sei, dass es bei Long- oder Post-Covid kein eindeutiges Krankheitsbild gebe, ein Befund erst nach Ausschluss anderer Möglichkeiten erfolgen kann. Sei die Diagnose gestellt, empfänden viele Anrufer Enttäuschung, dass es keine ursächliche Therapie gäbe und dass weitere Behandlungen nur schleppend vorankämen.
Bei Svenja Schmidt sorgte eine zweite Reha endlich für Fortschritte. Physiotherapie, Psychotherapie, Sport und Gedächtnistraining zielen auf ihre individuellen Symptome. Seit Juli arbeitet sie wieder im Biomarkt, Teilzeit, 75 Prozent. Sie fühle sich noch immer oft erschöpft. Aber die Sprachstörungen sind fast verschwunden. „Arrangieren kann ich mich mit der Krankheit nie“, sagt sie, „aber versuchen, das Beste daraus zu machen.“
Die Beratungshotline ist für niedersächsische Bürgerinnen und Bürger, die Beratungsbedarf zu Long-/Post-COVID oder Post-Vac haben, unter der Telefonnummer 0511/120 2900 von Montag bis Freitag in der Zeit von 10 bis 14 Uhr erreichbar.