Delegation geht in die Fläche

Mit dem Tele-Rucksack auf Hausbesuch

In dringenden Fällen wird der Hausarzt einfach zugeschaltet: In Thüringen übernehmen speziell ausgebildete MFA telemedizinische Hausbesuche. Ein echter Zugewinn für Praxen und Patienten.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Per Bluetooth landen die Blutdruckdaten direkt auf dem Tablet von MFA Antje Thomas (links). Für Rentnerin Gerborg Köhler sind die telemedizinischen Besuche ein echter Segen.

Per Bluetooth landen die Blutdruckdaten direkt auf dem Tablet von MFA Antje Thomas (links). Für Rentnerin Gerborg Köhler sind die telemedizinischen Besuche ein echter Segen.

© Rebekka Höhl

BAD KLOSTERLAUSNITZ. Noch schnell das vorbestellte Folgerezept abzeichnen lassen und dann geht es los: Antje Thomas greift sich ihren TeleRucksack und verstaut ihn im PLUSmobil. Flink lenkt die Medizinische Fachangestellte (MFA) den Kleinwagen aus dem Zentrum von Bad Klosterlausnitz. Es geht einen steilen Hang hoch – und obwohl Gerborg Köhler nur begrenzt mobil ist, lässt sie es sich nicht nehmen "ihre Antje" vor der Haustür zu begrüßen.

Für die Seniorin sind die Hausbesuche, zu denen MFA Antje Thomas seit rund einem Jahr bei ihr vorbeikommt, ein Segen. "Der Enkel wohnt zwar mit im Haus, aber er ist tagsüber ja auf Arbeit." Dass Thomas, die eine Zusatzausbildung zur hausärztlichen Versorgungsassistentin VERAH und zur nichtärztlichen Praxisassistentin (NäPa) hat, seit wenigen Monaten auch den Telemedizin-Rucksack dabei hat, findet sie besonders gut. Denn nun kann Gerborg Köhler auch bei den Hausbesuchen bei Bedarf per Videotelefonie mit Hausärztin Petra Becher sprechen.

AOK PLUS als erste Kasse mit dabei

Auch für Antje Thomas ist das ein echter Zugewinn. "Meine Kollegin ist ja Wundschwester. Gerade wenn nachts mal einer unserer Hausbesuchspatienten gestürzt ist, oder es kommt beim Besuch raus, dass jemand einen Ulcus hat, kann man einen Video-Anruf starten und die Kollegin mal drauf schauen lassen." Das spart den MFA und den Patienten zusätzliche Wege. Gleiches gilt für das mobile EKG. "Wenn ich früh zum Patienten komme, und er sagt, ich hatte heute Nacht so Herzstolpern, kann ich vor Ort ein EKG machen."

Möglich macht es das digitale Versorgungsangebot TeleDoc PLUS, das die AOK PLUS und die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) im April gemeinsam in dem Bundesland gestartet haben (siehe auch Beitrag unten). Es soll Hausbesuche von MFA telemedizinisch ergänzen. Bislang können allerdings nur AOK-Versicherte von dem Projekt profitieren.

Kernelement ist der Telemedizin-Rucksack. Neben dem Tablet-PC, über den die Daten erfasst werden und bei Bedarf der Videokontakt in die Praxis erfolgt, beinhaltet der Rucksack vor allem medizinische Messgeräte, etwa ein Pulsoximeter, Blutzucker- und Blutdruckmessgerät, Spirometer, digitale Waage und eben ein mobiles 3-Kanal-EKG.

Doch bevor Antje Thomas die Vitalwerte von Frau Köhler ermittelt, muss der Patienten-QR-Code eingescannt werden. Denn nur über diesen lassen sich die Daten anschließend automatisch in die Patientenakte übermitteln. "Wo hast Du den QR-Code denn hingelegt?", fragt sie Gerborg Köhler.

In der Arztmappe, den sich die Seniorin angelegt hat, ist er nicht. "Das ist der Demenztest", scherzt Thomas, Köhler lacht, hat den Zettel aber dann doch nach kurzem Suchen parat. "Mit dem Laufen klappt es nicht mehr so, aber geistig bin ich noch fit", sagt sie.

Datenübertragung per Bluetooth

Es kann losgehen. Thomas misst den Blutdruck, die Daten werden per Bluetooth auf den Tablet-PC übertragen. Dann noch Sauerstoffsättigung und Puls messen. "Das sind ja super Werte", sagt Thomas. "Warst Du heute früh im Garten?" Es geht herzlich zu und Gerborg Köhler fühlt sich sichtlich gut aufgehoben.

Per Fingertipp werden die Daten übermittelt. "Wobei sie bislang noch als E-Mail in einem elektronischen Arztfach landen", erklärt die MFA. "Es soll aber so kommen, dass die Daten künftig direkt in unsere elektronische Patientenakte einlaufen."

Hinter dem QR-Code liegt nur die Patientenidentifikationsnummer (Patienten-ID), es werden also weder Name noch Geburtsdatum übertragen. "Das ist Datenschutz hoch tausend", so Antje Thomas. Anhand der ID könne die Praxis die Werte dann in die eigene Patientenakte übertragen.

Hausbesuche nehmen zu

Auch der Videoanruf in der Praxis lässt sich mit wenigen Fingertipps anstoßen. "Chefin, Frau Köhler geht es gut, die Kur ist ihr sehr gut bekommen, Blutdruck war auch in Ordnung", berichtet Antje Thomas. "Aber Sie müssen die Kamera etwas mehr kippen, damit wir Sie auch sehen." Jetzt folgen ein paar Fragen von Hausärztin Petra Becher direkt an die Patientin. Gerborg Köhler freut sich über den Kontakt zu ihrer Ärztin. "Das ist doch schöner, sie zu sehen als nur zu telefonieren", so die Seniorin.

Zusammen mit ihren Heimpatienten betreut Antje Thomas derzeit rund 80 Hausbesuchspatienten. Und es werden eher mehr als weniger. Die Gemeinde im thüringischen Saale-Holzland-Kreis zählt zwar nur rund 3500 Einwohner und es gibt immerhin drei Hausärzte vor Ort – "trotzdem spüren wir eine Unterversorgung", sagt Thomas.

Denn das Einzugsgebiet für die Hausärzte umfasse mittlerweile auch weiter entfernte Nachbargemeinden. "Wir haben auch viele über 90-Jährige", berichtet sie. Da sind die telemedizinischen Hausbesuche, die sie seit Mai übernimmt, auch für ihre Chefin Petra Becher eine große Hilfe. Denn die Praxis kommt pro Quartal immerhin auf 1000 Scheine.

Zuschläge für Telebesuch

Die Abrechnung bei TeleDoc PLUS erfolgt ganz normal über die KV. Die AOK zahlt für bis zu 50 Hausbesuche pro Quartal zusätzlich 15 Euro zur NäPa-Vergütung, die es über den EBM gibt (rund 20 Euro für Hausbesuch und Zuschlag zur Versichertenpauschale, EBM-Ziffern 03062 und 03060). Wird der Arzt per Videokontakt zugeschaltet, kommen noch einmal 8 Euro dazu. Außerdem gibt es Zuschläge für die Sturzrisikoanalyse, die Gesundheitsbefragung und die Wundanalyse.

An dem Projekt beteiligt sich aber auch die Landesregierung: Sie fördert die Mietkosten für den TeleRucksack, die 500 Euro pro Quartal betragen, mit 50 Prozent. "Allerdings nur die ersten drei Quartale", sagt Antje Thomas. Und die Förderung ist begrenzt auf die ersten 150 Rucksäcke. Zur Ausstattung gehört aber ebenso die notwendige Software für die sichere Übertragung der Daten, die von der Firma vitaphone stammt.

Bei allem Lob für den TeleRucksack hat Antje Thomas dennoch einen Verbesserungswunsch: "Der Rucksack ist schon arg schwer und müsste etwas kompakter gepackt sein. Wenn ich mein Blutentnahmezeug noch mitnehme, habe ich zwei Taschen." Denn dafür sei kein Platz mehr in dem Rucksack.

Das PLUSmobil zeigt übrigens, dass die AOK PLUS gleich an mehreren Stellen versucht, Versorgung im ländlichen Bereich zu verbessern, denn es ist Bestandteil des seit 2010 laufenden Vertrags zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) zwischen der Gesundheitskasse, dem Thüringer Hausärzteverband und der KVT.

Die Praxis

  • Dipl. Med. Petra Becher ist seit 1991 als Hausärztin in Bad Klosterlausnitz niedergelassen.
  • Mit ihrem Team, den MFA Antje Thomas und Jacqueline Stolle, betreut sie pro Quartal rund 1000 Patienten.
  • Seit Mai 2018 bietet die Praxis im Rahmen von TeleDoc PLUS auch telemedizinische Hausbesuche.
  • Die Praxis im Web:www.allgemeinmedizinerin- becher.de/
  • Infos der AOK PLUS zum Projekt: www.aok-gesundheitspartner.de (Webcode W58571)

Lesen Sie dazu auch: Neue Versorgungsformen: TeleDoc PLUS – ein Modell zum Ausrollen

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