Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

Interview zu Innovationsfondsprojekt

PPI: Erhöht die Dauereinnahme das Demenzrisiko?

Wie wirkt sich die Dauereinnahme von Protonenpumpeninhibitoren aus? Das hat Professor Jakob Linseisen vom Uniklinikum Augsburg im Rahmen eines Innovationsfondsprojektes gemeinsam mit Kollegen aus Münster und München erforscht. Ein Interview.

Ein Interview von Frank Brunner Veröffentlicht:
Magenbeschwerden: Liegt wirklich die Indikation für die Verordnung eines PPI vor? Ärztinnen und Ärzte sollten sich hier stärker an die Leitlinien halten, so Professor Jakob Linseisen.

Magenbeschwerden: Liegt wirklich die Indikation für die Verordnung eines PPI vor? Ärztinnen und Ärzte sollten sich hier stärker an die Leitlinien halten, so Professor Jakob Linseisen.

© สัมฤทธิ์ ไกรยนุช / stock.adobe.com

Herr Professor Linseisen, Sie haben zusammen mit Kollegen aus Münster und München eine Analyse möglicher Langzeitwirkungen von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) durchgeführt. Was war das Ziel der Untersuchung?

Wir haben uns auf drei potenzielle Risiken einer Dauermedikation konzentriert: Schlaganfälle und Herzinfarkte – also kardiovaskuläre Endpunkte – und auf mögliche kognitive Einschränkungen, insbesondere Demenz. Unser Ziel war es, zu diesen Aspekten klare Aussagen zu treffen.

Warum haben Sie sich auf diese drei möglichen Langzeitfolgen fokussiert?

Zunächst gehören Schlaganfälle und Herzinfarkte hierzulande zu den Haupttodesursachen. Demenz ist ebenfalls eine Krankheit von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Hinzu kommt, dass unser Lehrstuhl im kardiovaskulären Bereich über eine hohe Expertise verfügt. Zum Thema kognitive Einschränkungen haben wir ebenfalls wissenschaftliche Studien publiziert.

Professor Jakob Linseisen

Professor Jakob Linseisen

© Universität Augsburg

Wie war das Forschungsdesign aufgebaut?

Wir haben unsere Studien in drei Teile untergliedert. Ein Arbeitspaket basierte auf der Auswertung von Routinedaten der AOK Bayern und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, die den Zeitraum von 2008 bis 2018 abdeckten. Zwei riesige Datensätze, mit denen wir die Langzeitfolgen einer PPI-Medikation analysieren konnten. Unsere zweite Datenbasis war die SHIP-Studie an der Universität Greifswald.

Bei dieser repräsentativen Bevölkerungsstichprobe werden mehrere Tausend Menschen über viele Jahre regelmäßig untersucht und befragt, um Risikofaktoren, Krankheiten und Krankheitsverläufe beurteilen zu können. Forschungskomplex drei waren Metaanalysen, bei denen wir die Qualität bereits vorhandener Studien beurteilt und dann zusammen ausgewertet haben.

Eine sehr aufwendige Vorgehensweise.

Aber notwendig. Das Problem ist, dass man kaum Interventionsstudien durchführen kann. Das verbietet sich schon aus ethischen Gründen. Wenn bei Patienten eine Indikation für Magensäurehemmer besteht, können Sie denen kein Placebo verabreichen. Sie könnten nur einen Vergleich mit H2-Sekretionshemmern durchführen. Dadurch fehlt aber die optimale Kontrollgruppe. Bei einer Kohortenauswertung, wie wir sie umgesetzt haben, kann es dagegen zu statistischen Verzerrungen kommen, die das Ergebnis verfälschen. Um das auszuschließen, haben wir auf verschiedene Datensätze und eine fortgeschrittene statistische Methodik zurückgegriffen.

Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie Sie Störgrößen eliminiert haben?

Nehmen wir den Datensatz der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Der umfasst Angaben zu Versicherten aller gesetzlichen Krankenkassen in Bayern. Allerdings nur Daten von Patienten niedergelassener Ärzte; Angaben zu stationären Behandlungen in Kliniken sind nicht enthalten.

Dieses Manko konnten wir durch die AOK-Daten ausgleichen, die sowohl Daten der ambulanten als auch der stationären Behandlung enthalten. In beiden Datensätzen sind die sogenannten „over-the-counter“-Abgaben nicht berücksichtigt; da PPI-Präparate nicht verschreibungspflichtig sind, werden sie auch ohne Rezept in Apotheken abgegeben. Diese Angaben konnten wir wiederum der SHIP-Studie entnehmen.

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Zu welchen Resultaten sind Sie gelangt?

Ein Ergebnis ist, das Schlaganfall und Herzinfarkt keine Folgeerkrankungen einer dauerhaften PPIEinnahme sind. Aufgrund unserer modernen Auswertungsmethodik ist diese Aussage sehr valide.

Was ergab die Risikoanalyse beim Thema Demenz?

Aus dem AOK-Datensatz ergab sich eine Risikoerhöhung bei PPI-Langzeitnutzern von rund 56 Prozent im Vergleich zu Nichtanwendern. Die Auswertung des Materials der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) führte sogar zu einer Risikoerhöhung von 85 Prozent.

Die Metaanalyse der bereits vorhandenen Studien ergab eine Erhöhung des Demenzrisikos um 28 Prozent. Aber diese Zahl ist mit Vorsicht zu behandeln.

Warum?

Bei einem Großteil der ausgewerteten Studien haben wir die Studien-Qualität als „schlecht“ beurteilt. Betrachten wir nur die besten Studien, gelangen wir zu einem höheren Wert als die 28 Prozent.

Nach welchen Qualitätskriterien haben Sie die Studien beurteilt?

Wir haben das ROBINS-I-Tool verwendet. Das ist ein Instrument, mit dem man Quellen und Risiken für Verzerrungen, sogenannte Bias, identifizieren kann. Solche Verzerrungen können beispielsweise aus einer falschen Probandenauswahl folgen oder auch aus Confounding – also einem Effekt, bei dem Störfaktoren andere Variablen beeinflussen und so Ergebnisse verfälschen. Insgesamt hatten wir sieben Bewertungskriterien.

Abgesehen von den ausgewerteten Studien: Auch die Differenz zwischen den AOK- und den KVB-Daten ist relativ groß. Woraus resultiert der Unterschied?

Aus den schon erwähnten Unterschieden zwischen den beiden Datensammlungen, unter anderem bei der Berücksichtigung ambulanter und stationärer Versorgung. Aber unabhängig davon, wie Sie die 56 Prozent oder die 85 Prozent Risikoerhöhung gewichten: Beide Analysen kommen zu dem Ergebnis, dass eine Langzeitmedikation mit PPI das Demenzrisiko erhöht.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?

Es werden noch immer zu häufig PPI-Präparate verschrieben. Zwar geht die Zahl der Rezepte seit 2016 zurück, dennoch verordnen Ärzte weiterhin ohne entsprechende Indikation. Unseren Untersuchungen zufolge entsprechen nur rund 40 Prozent der PPI-Anwendungen den Leitlinien. Deshalb sollten Mediziner bei Patienten, die PPI über einen längeren Zeitraum einnehmen, regelmäßig die Notwendigkeit prüfen.

Haben sich aus der Analyse neue Fragen ergeben, die eventuell in einer Folgestudie untersucht werden müssten?

Unsere Ergebnisse beruhen auf qualitativ hochwertigen Analysen. Was aber sicher hilfreich wäre: Weitere Auswertungsstudien mit unserem Fokus, aber in anderen Ländern, mit anderen Datensätzen. Damit könnte man unsere Ergebnisse zusätzlich absichern.

Vielen Dank für das Gespräch.

Professor Jakob Linseisen leitet den Lehrstuhl für Epidemiologie am Universitätsklinikum Augsburg.

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