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Interview

Podologie ist keine Fließbandarbeit

Die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Podologen könnte beim Thema Nagelspangenbehandlung noch besser funktionieren, sagt Martina Schmidt. Die Präsidentin des Deutschen Verbands für Podologie über Fallstricke bei Verordnungen, hohen Behandlungsaufwand und Fachkräftemangel.

Von Frank Brunner Veröffentlicht:
In der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Podologen ist noch Luft nach oben: Martina Schmidt, Präsidentin des Deutschen Verbands für Podologie.

In der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Podologen ist noch Luft nach oben: Martina Schmidt, Präsidentin des Deutschen Verbands für Podologie.

© Deutscher Verband für Podologie (ZFD).

Frau Schmidt, Ihr Verband hat jahrelang dafür gekämpft, dass Podologen Nagelspangenbehandlungen durchführen dürfen. Warum ist das so wichtig?

Bis vor einem Jahr durften nur Ärzte eingewachsene Zehnägel behandeln. Diese haben bevorzugt operiert. Bei der sogenannten Emmert-Plastik entfernen Chirurgen oder Orthopäden den eingewachsenen Nagelrand. Bei schweren Verläufen, etwa wenn der Zeh sehr viel Granulationsgewebe aufweist, ist diese Methode sinnvoll. Oft jedoch ist eine Nagelspangenbehandlung die bessere Alternative.

In welchen Fällen?

Wird ein Unguis incarnatus rechtzeitig erkannt, lässt sich das meist mit einer Spange korrigieren. Für den Patienten hat das den Vorteil, dass er seinen Alltag nicht allzu sehr ändern muss. Nach einer OP sind dagegen sehr viele Betroffene lange arbeitsunfähig, unter anderem, weil sie keine Schuhe tragen können.

Warum sollten statt Ärzten Podologen eine Nagelspangenbehandlung durchführen?

Es ist eine sehr zeitaufwendige Therapie und oft fehlt Ärzten diese Zeit. Vor allem aber: Eine Nagelspangenbehandlung ist Bestandteil unserer Ausbildung. Wir können so etwas! Deshalb freuen wir uns, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GB-A) die Nagelspangenbehandlung im Juli 2022 in die Heilmittelverordnung aufgenommen hat.

Das war vor genau einem Jahr. Welches erste Fazit ziehen Sie?

In der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Podologen ist noch Luft nach oben. Viele Verordnungen werden falsch ausgestellt und müssen nachträglich korrigiert werden. Das heißt, nachdem Patienten bei uns waren, müssen wir uns an die Praxis wenden, mit der Bitte, einen neuen Schein auszustellen. Manche Ärzte und Praxismitarbeiter tun sich allerdings schwer damit.

Worin besteht das Problem?

Wie alle Therapeuten unterliegen Podologen einer Prüfpflicht. Übersehen wir einen Fehler im Formular, gibt es kein Geld von den Kassen. Wir stellen etwa fest, dass manche Ärzte nicht wissen, dass die Verordnung für eine Nagelspangenbehandlung nur für einen Zeh gilt. Bei zwei eingewachsenen Zehnägeln – keine Seltenheit – muss der Arzt zwei Verordnungen ausfüllen. Außerdem fehlt oft der Hinweis, in welchem Krankheitsstadium sich der Nagel befindet. Das ist wichtig, weil in den Stadien zwei und drei die Ärzte nach einer Nagelspangenbehandlung die Wunde begutachten müssen.

Warum müssen Ärzte die Wundkontrolle übernehmen?

Bis 2022 durften sich Podologen nur um intakte Haut kümmern. Bei der Nagelspangenbehandlung arbeiten wir an einer Wunde. Und die dürfen nur Ärzte kontrollieren. Also: Der Patient kommt zum Podologen, der Podologe setzt die Spange und anschließend versorgt ein Arzt die Wunde.

Abgesehen von Missverständnissen bei den Formalitäten. Was wünschen Sie sich grundsätzlich bei der Kooperation mit Ärzten?

Wenn ich mit unseren Mitgliedern rede, dann höre ich vor allem zwei Aspekte: Zusammenarbeit auf Augenhöhe und mehr Wahrnehmung. Konkret heißt das, zu erkennen, dass wir keine kosmetischen Fußpfleger sind, sondern therapeutisch arbeiten, Füße nach möglichen Schäden und Veränderungen untersuchen. Es gibt aber Ärzte, die grundsätzlich keine Nagelspangenbehandlung verordnen; vielleicht, weil es mit erhöhtem Zeitaufwand verbunden ist.

Gibt es auch positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit?

Die gibt es. Vergangenes Jahr hatte ein niedergelassener Arzt überraschend eine Podologen-Fortbildung in Kassel besucht. Hinterher sagte er: Das war eine gute Veranstaltung, jetzt weiß ich, wie man diese Verordnungen ausstellt.

Bei Stufe eins sind acht Behandlungstermine obligatorisch, in den Stufen zwei und drei jeweils vier. Was ist, wenn diese Sitzungen nicht genügen?

In diesem Fall müssen Patienten ihren Arzt um eine neue Verordnung bitten.

Ist eine Nagelspangenbehandlung vor allem ein Phänomen bei Älteren?

Sicher wird das Thema bei den meisten Menschen erst ab einem gewissen Alter virulent. Aber auch am anderen Ende der Altersskala existieren Probleme mit den Zehnägeln – nämlich bei Teenagern.

Wie kommt das?

Die Pubertät verursacht vermehrte Schweißproduktion, auch an den Füßen. Perfekt wären in diesem Alter Sandalen. Aber Teenager tragen am liebsten Sneakers. Dadurch schwitzt der Fuß noch stärker, Zehen weichen auf, scharfe Nagelkanten bohren sich ins Fleisch, sorgen für Verletzungen, in die Bakterien eindringen können.

Nagelspangenbehandlungen betreffen vor allem Jugendliche und Senioren , zwei große Gruppen . Gleichzeitig sagen Sie, dass manche Ärzte zögern, eine solche Therapie zu verordnen. Gibt es überhaupt genug Podologen , falls alle Betroffenen Therapeuten aufsuchen ?

Das ist tatsächlich ein Problem. Wir haben bundesweit etwa 6.000 podologische Praxen mit Kassenzulassung. Bei mehr als 80 Millionen Einwohnern ist das nicht übermäßig. In den Städten ist die Lage besser als auf dem Land. Aber auch in Metropolen sind die Kollegen meist ausgebucht. Das liegt einerseits am Fachkräftemangel, von dem auch unsere Branche betroffen ist, anderseits an einigen Besonderheiten unseres Berufs.

An welchen?

Neben eingewachsenen Zehnägeln behandeln wir auch Diabetiker und Menschen mit Neuropathien. Das sind Dauerpatienten. Deren Leiden verschwinden zu Lebzeiten nicht. Ich habe einige Patienten 20 Jahre lang begleitet. Außerdem spielt der schon erwähnte Faktor Zeit eine große Rolle: In meiner Praxis konnte ich maximal zwölf bis 14 Patienten täglich behandeln. Podologie ist nun mal keine Fließbandarbeit.

Vielen Dank für das Gespräch!
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