Beatmungsmedizin

Projekt zielt auf mehr Lebensqualität

Therapien abstimmen, Medikamente überwachen, Hilfsmittel organisieren: Das Modellprojekt der AOK Nordost für außerklinische Beatmung sieht seine Aufgabe im begleitenden Casemanagement. Ziel ist es, für mehr Lebensqualität der Patienten zu sorgen - in enger Abstimmung mit dem Hausarzt.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Luft zum Atmen: Im Rahmen eines Modellprojekts in Berlin werden außerklinisch beatmete Patienten zusätzlich von Spezialteams betreut.

Luft zum Atmen: Im Rahmen eines Modellprojekts in Berlin werden außerklinisch beatmete Patienten zusätzlich von Spezialteams betreut.

© Brian Jackson / Fotolia.com

BERLIN. Pünktlich um 9:30 Uhr machen sich Dr. Eckehard Frisch, Pneumologe und Leiter der Praxis für außerklinische Beatmung (PaB) am Berliner Centrum für Gesundheit (CfG) der AOK Nordost, und eine Atmungstherapeutin an diesem Montag auf zum Hausbesuch.

Ihr Ziel: Patienten, die nach einem Klinikaufenthalt in den eigenen vier Wänden, einer betreuten Wohngemeinschaft oder im Pflegeheim weiter künstlich beatmet werden müssen. Bei manchen besteht Hoffnung, von der Beatmung entwöhnt zu werden. Andere wünschen sich, wieder ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Vom Stadtbezirk Wedding aus geht es für Dr. Frisch und Kollegin mit dem Auto zum Alexanderplatz in Mitte, dann nach Kreuzberg. Am Nachmittag stehen noch Hausbesuche in Spandau und in Frohnau auf dem Programm.

Zu den Patienten, die Frisch einmal im Quartal aufsucht, gehört Antje Mehlei (50). Die Berlinerin sitzt im Rollstuhl. Eine Trachealkanüle ermöglicht es ihr, zu atmen. Antje Mehlei kann sich im Gegensatz zu vielen anderen Beatmungspatienten gut verständigen.

Sie ist auch eine der ersten Patienten, die im Rahmen des 2014 von der AOK Nordost aus der Taufe gehobenen Modellversuchs "Praxis für außerklinische Beatmung" betreut wird.

Deutlich besser, als dies zuvor der Fall gewesen sei, sagt sie.

Defizite in ambulanter Versorgung

Seit Jahren machen Experten in der ambulanten Behandlung von Beatmungspatienten Mängel aus. "Ärztliche Versorgung außerklinisch beatmeter Patienten findet im Wesentlichen durch Hausärzte und punktuell durch Fachärzte statt, die aber kaum Erfahrung im Bereich der außerklinischen Beatmung haben.

Damit sind die Patienten gemessen an der Schwere und Komplexität ihrer Erkrankung unterversorgt", sagt Frisch. Nicht selten führe das dazu, dass es zum Drehtüreffekt kommt und die Patienten wieder ins Krankenhaus zurück müssen.

Seit nunmehr zwei Jahren betreuen Frisch und seine Mitarbeiter - eine Atmungstherapeutin sowie ein beatmungserfahrener Krankenpfleger - etwa 150 tracheotomierte Patienten mit und ohne Beatmung.

Neben mindestens einem Hausbesuch pro Patient im Quartal durch einen Pneumologen und eine Atmungstherapeutin gehört die Erreichbarkeit des PaB-Teams an allen Werktagen sowie die Zusammenarbeit mit allen an der Versorgung Beteiligten zu den Grundelementen des Modellversuchs.

Und die Liste der Beteiligten ist lang, weiß Experte Frisch: Haus- und Facharzt, Logopäde, Physio- und Ergotherapeut, Pflegedienst, Hilfsmittellieferant, Medizinischer Dienst.

Sind viele an der Versorgung beteiligt, braucht es Koordination. "Die Rolle des Casemanagers übernehmen wir", sagt Frisch. "So gewährleisten wir, dass der jeweilige Patient die richtigen Hilfsmittel erhält und auch eine angemessene Behandlung und Betreuung erfährt."

Wichtig ist dem Pneumologen, dass das Angebot "nicht als Ersatz des behandelnden Haus- oder Facharztes, sondern als Ergänzung konzipiert ist" (siehe Interview unten).

Auch aus Sicht der Pflege sei koordiniertes Vorgehen wichtig. "Viele Pflegekräfte, die Beatmungspatienten betreuen, leisten Außerordentliches. Häufig fehlt aber ein Ansprechpartner."

Zahl der Patienten nimmt stetig zu

Die Zahl der Patienten, die auf außerklinische Beatmung angewiesen sind, steigt kontinuierlich. Betroffene leiden oft an einer Chronisch Obstruktiven Lungenerkrankung, an neuromuskulären Erkrankungen infolge schwerer Unfälle, einer Querschnittslähmung, einem Schlaganfall, Parkinson oder an Multipler Sklerose.

Die wachsende Zahl der Betroffenen und die nicht immer optimale Versorgung habe die AOK Nordost auf den Plan gerufen, sagt AOK-Pflege-Geschäftsführer Hans-Joachim Fritzen.

"Das Modellprojekt zur außerklinischen Beatmung hat sich sehr bewährt. Es zeigt, dass eine optimale ambulante Versorgung von Beatmungspatienten möglich ist, wenn sie von einem koordinierenden Casemanagement begleitet ist."

Ein Anliegen der AOK sei daher, das möglichst viele der betroffenen Versicherten vom Modellprojekt profitierten. "Auswertungen unserer Versichertendaten zeigen, dass die Zahl der tracheotomierten Patienten in der ambulanten Versorgung in den vergangenen vier Jahren um 7,6 Prozent gestiegen ist. Schon daraus ergibt sich Handlungsbedarf."

Auch unter Fachleuten erntet der Ansatz des Modellprojekts in Berlin Zustimmung. Dr. Frisch und sein Team hätten sich der Probleme in der ambulanten Versorgung beatmeter Patienten angenommen, urteilte etwa vergangenes Jahr die Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) - und zeichnete das Projekt mit dem ersten Preis für das "Beste Abstract" aus.

Klarer Pluspunkt sei: Ein Spezialist für pneumologische Beatmungsmedizin koordiniert die komplexe Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Interview: Es braucht einen Casemanager

Dr. Eckehard Frisch, Leiter der Praxis für außerklinische Beatmung am Berliner Centrum für Gesundheit erklärt, warum das Casemanagement für die Patienten so wichtig ist.

Ärzte Zeitung: Was genau leistet die Praxis für außerklinische Beatmung?

Dr. Eckehard Frisch: Da Praxisbesuche für Beatmungspatienten oft mit erheblichen Umständen verbunden sind, besuchen wir sie zu Hause, in der betreuten Wohngemeinschaft oder im Heim. Wir erheben den konkreten Unterstützungsbedarf und koordinieren die im Einzelfall notwendige Behandlung, Begleitung und Versorgung des Patienten.

Da eine Vielzahl von Akteuren daran beteiligt ist, braucht es begleitendes Casemanagement. Die Rolle übernehmen wir. Wichtig ist: Das Projekt ist nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung des Haus- oder Facharztes konzipiert.

Seit Langem werden Defizite in der ambulanten Versorgung von Beatmungspatienten moniert. Welche sind das?

Frisch: Die Versorgung außerklinisch beatmeter Patienten findet im Wesentlichen durch Hausärzte und punktuell durch Fachärzte statt. Die haben aber meist kaum Erfahrung im Bereich der außerklinischen Beatmung. Den Logopäden oder Physiotherapeuten, die den Beatmungspatienten begleiten, fehlt ebenfalls ein mit künstlicher Beatmung erfahrener Ansprechpartner.

Ähnlich ergeht es dem Medizinproduktelieferanten. Die Folge ist, dass oft falsche Hilfsmittel verordnet werden. Auch den Kostenträgern und dem Medizinischen Dienst fehlt der konkrete Ansprechpartner bei fachlichen Fragen.

Welche Rückschlüsse ziehen Sie aus der Arbeit im Projekt?

Frisch: Bei zunehmender Inzidenz von Langzeitbeatmung brauchen wir dringend Lösungen, um eine angemessene Versorgung sicherzustellen. Primär geht es darum, die ärztliche Betreuung zu optimieren, die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen und deren Selbstbestimmtheit zu stärken.Genau dies sind Schwerpunkte unserer Praxis.

Für Kostenträger stellt sich zudem die Herausforderung, dass in der Beatmungsmedizin mit einer beitragsrelevanten Kostenexplosion zu rechnen ist. Die Ausgaben für die ambulante Betreuung eines Beatmungspatienten mit Kanüle belaufen sich auf jährlich rund 250.000 Euro. (hom)

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