Blinddarmentzündung

Bettruhe statt Op?

Das Dogma, dass ein entzündeter Wurmfortsatz unbedingt herausoperiert werden muss, ist ins Wanken geraten, wie aktuelle Daten zeigen.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Eine Op bei Blinddarmentzündung muss nicht unbedingt sein, wie aktuelle Daten zeigen.

Eine Op bei Blinddarmentzündung muss nicht unbedingt sein, wie aktuelle Daten zeigen.

© Vesnaandjic / iStock

NEU-ISENBURG. Für mehr als 100 Jahre war es eine klare Sache: Ist der Wurmfortsatz entzündet, muss er raus. Seit der Chirurg Charles McBurney aus New York das Verfahren 1889 erstmals beschrieben hatte, gilt die Appendektomie als Standardtherapie bei akuter Appendizitis, gleich ob es sich um eine einfache Entzündung handelt oder der Blinddarmfortsatz bereits durchgebrochen ist.

An diesem Dogma wird gegenwärtig heftig gerüttelt. Experten sehen bei Erwachsenen mit unkomplizierter Appendizitis in der alleinigen Therapie mit Antibiotika eine Alternative zur Op. Das konservative Vorgehen wird vor allem durch zwei große Metaanalysen gestützt:

2012 berichtete das Team um Krishna K. Varadhan, Nottingham University, im "British Medical Journal" von einer Erfolgsrate der primären Antibiotikatherapie bei unkomplizierter Appendizitis von 63 Prozent (BMJ 2012; 344:e2156).

So hoch war der Anteil der Patienten, bei denen es kurzfristig zu keinen schweren Folgen wie Perforation, Wundinfektion oder Peritonitis kam und die auch innerhalb eines Jahres keine erneuten Beschwerden entwickelten.

Insgesamt lag die Komplikationsrate um 31 Prozent niedriger als in der operierten Gruppe. Bei letzterer hatten insbesondere Wundinfektionen negativ zu Buche geschlagen.

Erfolgreiche Behandlung mit Antibiotika

In einer vor Kurzem im "JAMA" publizierten Metaanalyse ließ sich die unkomplizierte Appendizitis in 73 Prozent der Fälle erfolgreich mit Antibiotika behandeln (JAMA 2015, online 16. Juni). Die Forscher um Dr. Paulina Salminen, Chirurgin am Universitätsklinikum Turku, hatten methodische Schwächen weitgehend ausgeschlossen.

Mit 530 Teilnehmern war die Studie ausreichend groß, die Diagnose "akute unkomplizierte Appendizitis" war durch eine CT-Untersuchung bestmöglich gesichert, und Patienten mit kritischen Befunden wie Kotstein, Durchbruch oder Abszess, die nach der vorherrschenden Meinung unbedingt eine Op erfordern, waren von der Analyse ausgeschlossen.

Das primäre Studienziel, die Nicht-Unterlegenheit der Antibiotikatherapie gegenüber der Op zu beweisen, wurde nur knapp verfehlt. Dafür hätte der Unterschied in der Erfolgsrate höchstens 24 Prozent betragen dürfen. Tatsächlich war die Antibiotikagruppe um 27 Prozent im Nachteil.

70 von insgesamt 256 Patienten, die man der Antibiotikagruppe zugelost hatte, wurden innerhalb eines Jahres doch noch operiert. Die histologische Aufbereitung bestätigte in 82,9 Prozent dieser Fälle eine unkomplizierte Appendizitis.

Die "verzögert" operierten Patienten entwickelten keinerlei größere Komplikationen; vor allem blieben die gefürchteten Perforationen, Abszesse und Wundinfektionen aus. Insgesamt war das konservative Vorgehen im Vergleich zur Op sogar risikoärmer (Gesamtkomplikationsrate 2,8 gegenüber 20,5 Prozent).

Was bedeuten diese Ergebnisse für die Praxis? Wie es aussieht, haben Patienten, die zunächst mit Antibiotika behandelt werden, kaum gefährliche Konsequenzen zu befürchten, selbst dann, wenn sich die Beschwerden unter der konservativen Therapie nicht bessern und man sich doch noch für eine Op entscheidet.

Allerdings muss man sich bewusst sein, dass die "guten" Ergebnisse der finnischen Metaanalyse auch darauf zurückzuführen sind, dass die "unkomplizierte Appendizitis" durch eine CT-Untersuchung abgesichert wurde.

Eine Abdomen-CT ist mit einer gewissen Strahlenbelastung verbunden. Allerdings lässt sich diese bei modernen Low-dose-Geräten deutlich verringern.

Eingriff bringt Komplikationen mit sich

Der Pluspunkt bei konservativem Vorgehen: Dem Patienten bleibt ein Eingriff erspart, der seinerseits Komplikationen mit sich bringen kann. Außerdem hat der Erhalt des Wurmfortsatzes aus immunologischer Sicht Vorteile.

Es ist daher mehr als legitim, wenn der stellvertretende JAMA-Chefredakteur, Dr. Edward Livingston, Chicago, und die Chirurgin Dr. Corinne Vons von der Universitätsklinik Bondy über eine Abschaffung der routinemäßigen Appendektomie nachdenken (JAMA 2015; online 16. Juni).

In Deutschland sieht selbst die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) in "Bettruhe und Antibiotika" einen gangbaren Weg bei unkomplizierter Appendizitis. Das gilt aber, wie der ehemalige DGCH-Präsident Professor Peter M. Vogt, Hannover, kürzlich auf einer Pressekonferenz betonte, nur für Erwachsene!

Einem Kind ist eine CT aufgrund der Strahlenbelastung nicht zuzumuten. Damit entfällt diese Voraussetzung für die Diagnosesicherung und damit auch die Rationale für die Antibiotikatherapie.

Bei Kindern also: Mit der Op auf Nummer sicher gehen! Bei Erwachsenen kann man die Risiken abwägen und die Patienten in die Entscheidung einbeziehen. Das Komplikationsrisiko ist bei der Watch-and-Wait-Strategie unter Antibiotika gering, und die Aussicht, sich eine Op zu ersparen, ist für viele Patienten attraktiv.

Und seien wir ehrlich: So ganz logisch ist es nicht, warum sich die Chirurgie beim Wurmfortsatz so lange als einzige Option gehalten hat. Ein entzündetes Divertikel ist schließlich auch nicht in jedem Fall ein Grund zu operieren.

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 15.08.201500:22 Uhr

@Cordula Molz zur Sache, nicht zur Person

Wir sind uns nur darin einig, dass man ein gesundes Organ nicht entfernen soll. Den Blinddarm als "nützlich" zu erklären, halte ich allerdings nur für eine dumme Ausrede. Denn das hat noch niemand wissenschaftlich nachgewiesen. Man kann nicht einfach als Ersatz Splenektomie-Studien zitieren um so mehr als diese selbst keine einfache Antwort geben, weil Splenektomien aus den verschiedensten Gründen durchgeführt werden.

Mir geht es um die ERKRANKUNG der Appendix, die einige Besonderheiten aufweist, die man ganz sicher nicht einfach als "unkompliziert" und "kompliziert" sortieren kann. Denn jede Appendizitis beginnt erst mal "unkomliziert"! Die Kenntnis dieser Besonderheiten gehören fairerweise mit zur Aufklärung des Patienten.
Das hat etwas mit der Durchblutung dieses überflüssigen Organs zu tun, das keine Muskelschicht besitzt, die sich dehnen kann.
Schon bei einer leichten Schwellung kann es daher zur einer Gefäßkompression = Ischämie und damit zum Grangrän der Appendix kommen. Das unterscheidet dieses Gewebe z.B. von der Gaumenmandel, die ich im Gegensatz zum Wurmfortsatz für sehr nützlich halte, insbesondere wenn sie nicht krank ist.
Ein Gangrän mit dem örtlichen Kontakt von Dickdarmkeimen (alles Anaerobier) ist dann immer eitrig und hier wieder mit der Besonderheit, dass dieser Eiter in die freie Bauchhöhle fließen kann, genannt eitrige Peritonitis, der worst case. Was dann?
Es kann also aus einer "unkomplizierten" Appendizitis IMMER eine "komlizierte" werden, das ist NICHT vorhersehbar, das weis jeder erfahrene Chirurg, der leichtsinnigerweise mal eine Appendizitis unterschätzt hat und das kann man auch in jedem Lehrbuch über diese Erkrankung nachlesen, deshalb ist der zeitliche Ablauf so wichtig, der nicht einfach zurückgedreht werden kann, wenn man sich geirrt hat.
Ich habe im vorigen darauf hingewiesen,
dass die modere endoskopische Entfernug einer "unkomplizierten" Ap. (=Frühstadium) nicht nur für den Operateur wesentlich einfacher ist, sondern auch gefahrloser und nebenwirkungsfrei für den Patient.
Ich wiederhole, dass mir die antibiotische Behandlung (von Bauchschmerzen) insbesondere im Ausland selbstverständlich bekannt ist.
Deshalb muss man nicht der Meinung sein, dass das gut ist.
Ich kannte auch einen älteren Chirurg, der Patienten von einer Leistenbruchoperation abgeraten hat, weil ihm das wohl gewisse technische Schwierigkeiten bereitet hat :-).
Man muss dann viel weniger Leistenhernien operieren, allerdings Notfälle mit Darmeinklemmung, die zu so unappetitlichen "Lösungen" wie einem künstliche Darmausgang führen, den man dann aus Angst bis zum Lebensende behält.

Mit freundlichem Gruß

Cordula Molz 12.08.201509:08 Uhr

Google..

Herr Prof. Dr. Stuhldreier ist Chirurg - ganz einfach herauszufinden. Persönlich finde ich es beruhigend, dass ein Chirurg sich um die Effekte der Entfernung lymphatischen Gewebes Gedanken macht. Dass dieses nicht überflüssig ist, darin sind wir uns vermutlich alle einig.
Sehr verwunderlich, wie hier Mediziner miteinander umgehen. Es ist doch keiner allwissend und jeder kann noch zusätzliche Erkenntnisse gewinnen. Oder nicht?

Dr. Wolfgang P. Bayerl 11.08.201522:14 Uhr

@Prof. Dr. Gerhard Stuhldreier mit dem CT haben Sie recht, das ist mit Kanonen auf Spatzen schießen,

aber eine sichere Diagnose mit der Sonographie ist zum Totlachen, sicher sind Sie kein Chirurg.
Die Appendizitis ist keine morphologische sondern eine lokale Entzündungsdiagnose. Peritonitische Symptome sind zielführend, das schafft keine Sonographie.
Und was Sie über Arteriosklerose phaseln ist sicher falsch.
Ich erinnere an die bösartige Diskussion des Kolon-Ca-Risikos und Cholecystektomie weiter unten!
Sie dürfen nicht Ursache und Wirkung verwechseln.
Der Vergleich der Milz mit der Appendix ist nun wirklich etwas witzig.

Prof. Dr. Gerhard Stuhldreier 11.08.201514:52 Uhr

für Kinder gilt die konservative Therapie erst recht !!

Die Schlussfolgerung (des Redakteurs?) "Bei Kindern also: Mit der Op auf Nummer sicher gehen!" ist schlicht Blödsinn! Bei Kindern (und auch Erwachsenen!) kann die Sonografie (einen erfahrenen Untersucher vorausgesetzt, daran mangelt es in den USA ua angelsächsischen Ländern aber wohl)mindestens gleichwertige Ergebnisse bezüglich Appendix liefern, sodaß ich mich als Erwachsener auch nicht ohne Not CT-ieren lassen würde. Sämtliche Untersuchungen über die Korrelationen der Appendektomie mit zB. Arteriosklerose zeigen Effekte vor allem bei Appendektomie im Kindes- und Jugendalter (was in Kenntnis der auch erst spät erkannten Probleme bei Milzextirpation gut verständlich ist) , sodass der Appendixerhalt gerade für Kinder und Jugendliche dringend zu fordern ist, und gerade für Kinder "..hat der Erhalt des Wurmfortsatzes aus immunologischer Sicht Vorteile".

Dr. Wolfgang P. Bayerl 11.08.201501:49 Uhr

Erforderlicher Nachtrag zur "JAMA"-Selektion der "unkomplizierte Appendizitis" ,

bei der immerhin 27 % Misserfolge errechnet werden, ein Chirurg könnte sich das natürlich nicht erlauben, das wäre viel zu viel auch bei einer schweren Krebsoperation.
Das erinnert mich an eine intelligente AOK-Statistik im Ruhrgebiet, bei der die Zahl der Appendektomien ins Verhältnis zur (operativen) Gesamtzahl der Patienten gesetzt wurde, worin sich Krankenhäuser durchaus unterschieden.
Mich interessierte natürlich meine eigene Position in dieser Statistik in einem mittleren Haus und ich war überrascht, dass sie bei mir niedriger lag, als in wesentlich größeren Häusern, da ich aus vielen Gründen ein überzeugter Vertreter der (gefahrlosen) Frühappendektomie bin, ich habe hier schon bei einer MTA ein Carcinoid in der Appendix erwischt und auch die Quote der (sekundären) Adnexitis lässt sich damit senken, heute mehr denn je, denn die laparoskopische Technik ist nicht nur schonender, sondern bietet eine ganz erhebliche diagnostische Erweiterung, an die kein "bildgebendes Verfahren" annähernd heran kommt.
Aber natürlich operiere ich keine Enteritis oder eine Ureterkolik. Es muss schon eine passende Anamnese sein und ein typischer LOKAL-Befund, wozu etwas Erfahrung gehört.
Was ich sagen will:
Wieviel "Nicht-Appendizitis" versteckt sich bitte in den antibiotisch erfolgreich behandelten 73% der "JAMA"-Selektion???
Oder wieviel operative Appendektomie ergibt einen normalen Appendix.
Bei Kindern kommt das Problem der "Lymphadenitis mesenterialis" hinzu, gerade weil die Appendix überwiegend lymphatisches Gewebe darstellt. Das kann man auch tasten als Erfahrener und ich operiere das in der Regel NICHT.
Nur wenn die Mutter zum dritten mal kommt und möchte dass der Blinddarm nun endlich raus soll, und man macht das auch,
sind diese Bauchschmerzen tatsächlich danach dauerhaft weg.
Es ist der Lokalbefund im rechten Unterbauch.
Und schließlich gibt es tatsächtlich auch die nicht eitrige neurogene Appendizitis, ich kann alle beruhigen - recht selten - rezidivierende Schmerzen, hier muss der Pathologe eine Silberfärbung machen um die pathologisch vermehrten Nervenknoten darzustellen.
Auch hier wären Antibiotoka unwirksam.

mfG

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