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Das sind die neuen Krankheiten im ICD-11

Auf der Jahresversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird nun der ICD-11-Katalog verabschiedet. In der Psychiatrie werden vor allem neue Diagnosen wie Spielsucht und zwanghaftes Sexualverhalten kritisch betrachtet.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Wann ist ein leidenschaftlicher Computerspieler krank? Das ist nur schwer zu definieren.

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GENF. Die elfte Version der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-11) ist nun beschlossen und wird in dieser Woche auf der WHO-Jahresversammlung verabschiedet.

Die erste Neufassung seit 30 Jahren listet rund 55.000 Krankheiten, Symptome und Verletzungsursachen auf, wobei viele Veränderungen auch psychische Störungen betreffen.

Nicht wenige dieser Änderungen sind umstritten (ICD-11 for Mortality and Morbidity Statistics (Version: 04 / 2019).

Online- oder Offline-Spielsucht?

  • Spielsucht (6C50) wird erstmals als eigene Diagnose unter Impulskontrollstörungen gelistet. Der Katalog differenziert zwischen einer Online- (6C50.0), einer Offline- (6C50.1) sowie einer nicht näher bestimmten Spielsucht (6C50.2). Im ICD-10-Katalog ist die Definition auf das Glücksspiel begrenzt (F63.0, pathologisches Spielen). Im Vordergrund stehen der Kontrollverlust sowie eine zunehmende Fokussierung auf das Spielen, das andere Interessen verdrängt. Hinzu kommen eine Intensivierung trotz negativer Konsequenzen und eine erhebliche Beeinträchtigung des sozialen Funktionsniveaus. Die Spielsucht kann episodisch oder kontinuierlich auftreten und ist von Bipolarstörungen (6A6) und riskantem Spiel- und Wettverhalten (QE21) abzugrenzen.
  • Zwanghaftes Sexualverhalten (6C72) ist jetzt ebenfalls eine eigenständige Impulskontrollstörung. Den Betroffenen gelingt es nicht, ihr sexuelles Verlangen zu zügeln, sie machen Sexualität zu einem zentralen Fokus und vernachlässigen andere Interessen, können auch dann nicht davon ablassen, wenn es ihnen schadet, Beziehungen zu Bruch gehen, das Sozialleben leidet und sie sich finanziell ruinieren. Übermäßiger Pornokonsum oder Telefonsex zählen ebenfalls dazu. Die Störung muss mindestens sechs Monate persistieren und zu erheblichem Stress im Umfeld führen. Stress, der nur durch eine moralische Bewertung oder Ablehnung eines bestimmten Sexualverhaltens entsteht, zählt jedoch ausdrücklich nicht dazu. Davon abzugrenzen sind vor allem paraphile Störungen (6D30-36).
  • Die Trennungsangst wird neu unter der Ziffer 6B05 unter Angststörungen aufgeführt, definiert als „ausgeprägte Furcht oder Angst vor der Trennung von spezifischen Bezugspersonen“. Bei Kindern beziehen sich die Ängste in der Regel auf die Eltern, bei Erwachsenen auf den Partner oder die Kinder. Im ICD-10Katalog beschränkt sich die Erkrankung unter F93.0 auf Kinder (Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters). Zu den Symptomen zählen wiederholter starker Stress bei einer Trennung, Albträume sowie die Weigerung, getrennt von der Bezugsperson zu schlafen, zur Schule oder zur Arbeit zu gehen. Die Symptome müssen über mehrere Monate anhalten und zu starker Beeinträchtigung in der Familie, im Beruf oder Sozialleben führen. Davon abzugrenzen sind affektive Störungen, soziale Angststörungen und selektiver Mutismus.
  • Der selektive Mutismus (6B06) hat es ebenfalls als eigenständige Angststörung in den Katalog geschafft. Davon ist auszugehen, wenn ein Kind in bestimmten Situationen, etwa in der Schule, nicht redet, unter anderen Umständen – meist zu Hause – jedoch weitgehend normal kommuniziert. Die Störung muss über mindestens einen Monat bestehen und zu gravierenden Problemen bei der Ausbildung oder im Sozialleben führen. In der ICD-10 läuft die Diagnose unter F94 (Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend).

Negative Konsequenzen als Krankheits-Kriterium

Wie so häufig werden die neuen Diagnosen kritisiert, weil sich nicht immer eine klare Trennlinie zwischen gesundem und krankhaftem Verhalten ziehen lässt. So hat vor allem die Spieleindustrie gegen die Aufnahme der Spielsucht protestiert, weil sie fürchtet, dass jeder, der gerne und viel spielt, plötzlich als therapiebedürftig gilt.

Für Robert Jakob, Gruppenleiter Klassifikationen bei der WHO, ist dies jedoch kein Argument, da eine Diagnose erst gestellt werden darf, wenn das jeweilige Verhalten über Monate andauert, alle anderen Aspekte des Lebens in den Hintergrund rücken und negative Konsequenzen auftreten, berichtete er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

Andere Experten bemängeln eine schwierige Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen, etwa affektiven Erkrankungen. Der neue Katalog soll in drei Jahren in Kraft treten.

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