DKV-Studie

Ein Volk von Sitzenbleibern

Der Durchschnittsdeutsche sitzt 7,5 Stunden am Tag. Die meiste Zeit verbringt er dabei vor dem Fernseher. Die gesundheitlichen Folgen sind fatal. Doch der Wille, den eigenen Lebensstil zu ändern, fehlt bei vielen.

Von Jonas Tauber Veröffentlicht:
Schon Kinder sitzen zu viel: In der Schule und dann noch zu Hause vor Computer und Fernseher.

Schon Kinder sitzen zu viel: In der Schule und dann noch zu Hause vor Computer und Fernseher.

© Photographee.eu / Fotolia.com

BERLIN. Menschen in Deutschland bewegen sich immer weniger und gefährden dadurch ihre Gesundheit. "Die Deutschen sind Sitzenbleiber", sagte Professor Ingo Froböse vom Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln bei der Vorstellung des DKV-Reports "Wie gesund lebt Deutschland?" in Berlin.

Über sieben Stunden pro Tag verbringen die Menschen hierzulande sitzend - vor dem Fernseher, am Schreibtisch oder im Auto.

Für die Studie hatte das Marktforschungsinstitut GfK Nürnberg 3102 Menschen über 18 Jahren zu den fünf Gesundheitsfaktoren Bewegung, Ernährung, Rauchen, Alkohol und Umgang mit Stress befragt.

Nur elf Prozent halten sich an empfohlene Werte

Erneuter Appell zu körperlicher Aktivität

Um Bewegungsmangel vorzubeugen, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Erwachsenen pro Woche mindestens 150 Minuten moderat oder 75 Minuten intensiv körperlich zu arbeiten. Die Bewegung kann auf mehrere Tage verteilt werden, sollte aber je nicht kürzer als zehn Minuten dauern. Bei Kindern zwischen 6 und 12 liegen die Werte deutlich höher: Die WHO rät zu mindestens 60 Minuten moderater bis intensiver körperlicher Aktivität an jedem Tag. Drei Stunden und mehr täglich empfiehlt Ulrich Fegeler vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Lange Sitzzeiten sollten vermieden, unterbrochen und durch aktive Bewegung kompensiert werden, so Gerhard Huber, Sportmediziner an der Uni Heidelberg. (dpa)

Ergebnis: Nur elf Prozent erreichen in allen fünf Bereichen die empfohlenen Werte. Zum selben Resultat war der vorangegangene DKV-Report von 2012 gekommen. Unter den 35- bis 45-Jährigen sind es sogar nur sieben Prozent.

"Trotz der vielen Versuche der letzten Jahre, den Lebensstil positiv zu beeinflussen, haben wir nicht reüssieren können", so Froböses Fazit. Offenbar wüssten die Menschen immer noch zu wenig über eine gesunde Lebensweise.

"Wir müssen uns überlegen, wie wir die Menschen erreichen", so der Wissenschaftler.

Anders als in den Reports von 2012 und 2010 stellten die Forscher diesmal Detailfragen zum Sitzverhalten. Auf stolze 7,5 Stunden kommt demnach der Durchschnittsdeutsche.

"Das gute alte Fernsehen ist der wichtigste Grund", sagte DKV-Chef Dr. Clemens Muth. 30 Prozent der sitzenden Zeit verbringen die Menschen im Schnitt vor der Flimmerkiste, die Zeit im Büro macht dagegen nur 24 Prozent aus.

Stundenlanges Sitzen führt zu großen Gesundheitsrisiken, berichtet Froböse. Dazu gehören eine Rückbildung der Muskeln sowie eine Schwächung des Herzkreislaufs und des Autoimmunsystems.

Rheuma, Arthrose seien typische Folgeerkrankungen. Außerdem werde Stress begünstigt. "Sitzen ist das neue Rauchen", sagte Froböse. Unter dem Strich bewegten sich 46 Prozent der Menschen zu wenig.

Treppe statt Lift, Stehpult statt Schreibtisch

Er empfiehlt, Möglichkeiten, sich im Alltag zu bewegen, aktiv zu suchen. Treppe statt Lift und Stehpult statt Schreibtisch etwa. "Man sollte maximal zwei Stunden am Stück sitzen", sagte er.

Die Befragung von 300 Eltern zeigte, dass bereits Kinder im Grundschulalter sich an langes Sitzen gewöhnen. Vier Stunden sind es demnach werktags außerhalb der Schule, davon eine vor dem Fernseher.

Keine Hilfe ist, dass 79 Prozent der Grundschüler einen im Kinderzimmer haben.

"Dieses lange Sitzen beeinträchtigt die Gehirnentwicklung", sagte Froböse. Weitere negative Konsequenzen der mangelhaften Bewegung seien Defizite bei der Psychomotorik, bei der Teamfähigkeit oder bei der dinglichen und räumlichen Wahrnehmung.

Schließlich steige das Risiko für Übergewicht.

Weitere Ergebnisse des Reports: Der Alkoholkonsum ist zurückgegangen. 13 Prozent der Befragten trinken zu viel nach 16 Prozent 2012 und 19 Prozent 2010.

Für die Forscher unerwartet hat die Zahl der Raucher dagegen von 22 Prozent 2012 auf jetzt 24 Prozent zugenommen. "Wir vermuten, dass dabei das unter Jugendlichen verbreitete Shisha-Rauchen eine Rolle spielt."

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema
Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 27.01.201517:43 Uhr

"Ich glotz TV !" (Nina Hagen & Band 1978)

TV-Glotzen, PC-Nutzen, Bürostuhl-Tätigkeiten, Sitzungen, chat-rooms, Autofahren und am Lebensende nur noch Rollstuhl-Fahren? Der Tod rückt im Sitzen näher! “Television Viewing, Computer Use, Time Driving and All-Cause Mortality: The SUN Cohort” ist der Titel einer Publikation von Francisco Javier Basterra-Gortari et al. im Journal of the American Heart Association (JAHA). Doch von einer echten prospektiven Studie, mit der eine Hypothese geprüft, bestätigt oder verworfen wird, ist diese aktuelle Untersuchung weit entfernt. J Am Heart Assoc. 2014; 3:e000864
http://dx.doi.org/10.1161/JAHA.114.000864

Es handelt sich um eine sogenannte Follow-Up-Studie. Niemand kann exakt im Voraus sagen, wie lange er zukünftig im Büro sitzen, fernsehen, Computer benutzen oder Auto fahren werden wird, sondern sich allenfalls bei Befragungen retrospektiv grob erinnern, dass da mal irgendwas mit TV, PC und PKW war: „13 284 Spanish university graduates with a mean age of 37 years were followed-up for a median of 8.2 years“ wurden dazu befragt.

Ein bekanntes Motto lautet: ''Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft''. E. S. George et al. haben dazu im Int J Behav Nutr Phys Act. Anfang 2013 veröffentlicht: „Chronic disease and sitting time in middle-aged Australian males: findings from the 45 And Up Study” http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3571940/
Sie fanden einen positiven Zusammenhang zwischen der täglichen Sitzdauer und dem Auftreten von Diabetes mellitus bzw. anderen chronischen Krankheiten im Rahmen einer ebenfalls retrospektiven Krankheits-Register-Studie. Damit ihre Erkenntnisse nicht auf dem Niveau bleiben: ''Je flacher die Atmung, desto schlechter die Lungenfunktion'', forderten sie prospektive Studien zur Klärung eines Kausalitäts-Zusammenhangs. Denn nicht nur Bewegungsmangel und das viele Sitzen allein lassen Krankheiten entstehen. Sondern auch und gerade die krankheits- und behinderungsbedingten Bewegungs- und Leistungseinschränkungen diktieren u. a. die tägliche Sitzdauer. Andernfalls müssten Bus- und Taxifahrer, Piloten, Rennfahrer, Büro- und Verwaltungsangestellte, Kommentare schreibende Ärzte/-innen oder Pförtner reihenweise Bewegungsmangel bedingt krank werden und tot umfallen.

Erst die ABC-Morbidität von Adipositas, Bewegungsmangel und Co-Faktoren wie metabolisches Syndrom, Hyperinsulinismus, endokrine Pankreasinsuffizienz, Insulinresistenz, idiopathische und genetisch-hereditäre Faktoren machen z. B. den Typ-2-Diabetes mellitus aus.

Nach einer Analyse des australischen "AusDiab-Registers" aus dem Jahr 2011 soll sechs Stunden täglicher Fernsehkonsum das Leben im Mittel um fünf Jahre verkürzen (Br J Sports Med 2011, online 15. August). Unter Verwechslung von Wirkung und Ursache wurde die unsinnige Hypothese aufgestellt, dass "Fernsehkonsum von 6 Std. tgl." s e l b s t aktiv das Leben verkürzen könne.

Andernorts wurde sogar publiziert, möglichst wenig fernzusehen, reduziere präventiv die Prävalenz von Typ-2-Diabetes (JAMA. 2011;305(23):2448-2455). Aber entscheidend bleibt doch: Wir sterben wegen der Endlichkeit aller Lebensvorgänge u n d weil wir uns vor dem Sterben über kurz oder lang nicht mehr so viel bewegen können.

Auch laut DKV-Studie: "Ein Volk von Sitzenbleibern" mit ihrem exzessiven TV-Konsum und durchschnittlich 7,5 Stunden Sitzen pro Tag sind diese doch nur Surrogat-Parameter: Die Fernsehdauer und das Stillsitzen sind Indikatoren für Krankheits- und Motivationsmangel-bedingte Mobilitätseinschränkungen, aber keine validen, monokausalen Parameter für Morbidität und Mortalität. Unsere Patienten sterben nicht, w e i l sie fernsehen, sondern w ä h r e n d der Fernseher läuft!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Katharina Weyandt 27.01.201511:57 Uhr

Wer geht mit gutem Beispiel voran?

Das Wartezimmer ist ein Sitz-Zmmer. In welcher Praxis gibt es Alternativen, Wipp-Hocker,Bälle? Vielleicht bei Orthopäden wenigstens? Kennt jemand ein Beispiel? Spielt das bei der Praxiseinrichtung eine Rolle? Man muss die Leute da erreichen, wo sie gerade die Aufmerksamkeit auf ihre Gesundheit richten.

Karin Koch 26.01.201516:14 Uhr

"Still sitzen" in der Schule gewünscht

Seit gefühlt ewigen Zeiten wird Schülern - schon im Grundschulalter - antrainiert, dass man "Still Sitzen" muss. Jetzt wird eine neue Studie veröffentlicht, die besagt, dass langes Sitzen schädlich ist.
Der vernunftbegabte Mensch hat schon seit langem erkannt, dass einseitige Belastungen für den Körper schädlich sind - Dazu gehört auch das: "Still sitzen" in der Schule und am Arbeitsplatz.
Wie degeneriert sind wir denn schon, dass wir uns nur noch nach Studien richten - und unseren Verstand - aussen vor lassen?
--
Dazu:
http://www.focus.de/familie/lernen/lernhilfen/richtig-konzentrieren-lernen_id_2111422.html
"(...) Bewegung hilft dem Gehirn auf die Sprünge (...)"



Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ein Schild mit der Aufschrift „Praxis ist geöffnet“ hängt an der Eingangstür einer Arztpraxis in Berlin. Doch wer darf mit Termin eintreten? (Archivbild)

© Peter Kneffel / dpa

Debatte um Arzttermine

Lauterbach beklagt „Diskriminierung“ gesetzlich Versicherter

Krankenkassen haben zum Jahreswechsel schlechte Botschaften für ihre Mitglieder: die Zusatzbeiträge steigen stark. Die Kritik an versäumten Reformen der Ampel-Koalition ist einhellig.

© Comugnero Silvana / stock.adobe.com

Update

70 Kassen im Beitragssatz-Check

Höhere Zusatzbeiträge: So teuer wird Ihre Krankenkasse 2025