Multiple Sklerose

Forscher setzen auf Stammzellen

Stammzellen können offenbar Entzündungen bei MS dämpfen und die Regeneration fördern. Noch ist unklar, welche Zellen und Verfahren am ehesten geeignet sind. Nach positiven Therapieversuchen wurden erste klinische Studien gestartet.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Patientin mit ausgeprägten Behinderungen. Neue Therapieansätze zielen auf fortgeschrittene MS.

Patientin mit ausgeprägten Behinderungen. Neue Therapieansätze zielen auf fortgeschrittene MS.

© Britta60 / fotolia.com

BOSTON. Aus dem Knochenmark gewonnene Stammzellen scheinen das bei MS außer Kontrolle geratene Immunsystem wieder etwas in geordnete Bahnen zu lenken.

Zum einen wurden in Tierversuchen immunmodulierende Effekte beobachtet, zum anderen können solche Zellen offenbar auch Neurone vor Schäden schützen und die Remyelinisierung stimulieren.

Wie sie das tun und was genau passiert, wenn solche Zellen ins Hirn gelangen, ist noch weitgehend unklar. Aufgrund der positiven präklinischen Daten wurden inzwischen aber schon eine Reihe von Pilotstudien und klinischen Phase-I-Studien initiiert, erste Ergebnisse solcher Untersuchungen wurden nun auf dem weltgrößten MS-Kongress in Boston vorgestellt.

Die Studien unterscheiden sich sowohl, was die Art der Zellen betrifft, als auch darin, wie diese appliziert werden. Einen relativ einfachen Ansatz wählten Forscher um Professor Jeffrey Cohen von der Cleveland Clinic. Sie verwendeten mesenchymale Stammzellen, die sie MS-Patienten intravenös verabreichten.

Die Zellen lassen sich relativ leicht aus dem Knochenmark gewinnen und in Kultur vermehren. Solche Zellen entnahmen die Forscher zehn Patienten mit schubförmiger MS und 14 mit sekundär progredienter MS.

Sie vermehrten die Zellen und infundierten den Patienten je ein bis zwei Millionen pro kg Körpergewicht. Nach der einmaligen Infusion wurden die Teilnehmer sechs Monate lang nachbeobachtet.

Keine Krankheitsverschlechterung

Die Patienten waren im Schnitt schon 14 Jahre MS-krank und zeigten mit einem durchschnittlichen EDSS-Wert von 5,2 ausgeprägte Behinderungen. Die Hälfte hatte bislang immunmodulierende Therapien erhalten.

Nach der Zellinfusion beobachteten die Forscher keine schweren unerwünschten Wirkungen, vor allem wurden keine Autoimmunreaktionen beobachtet, auch zeigte sich keine Krankheitsverschlechterung.

Die Patienten blieben weitgehend stabil, der EDSS-Wert sank sogar leicht. Dies könnte ein Hinweis auf den erhofften Therapie-Effekt sein, so Cohen, doch war die Studie nicht ausgelegt, um einen solchen Effekt zu belegen; es ging ausschließlich um Sicherheitsaspekte.

Die Sicherheit einer Stammzelltherapie will auch ein Team um Dr. Saud Sadiq vom Tisch MS Research Center in New York belegen. Die Experten wählten jedoch einen anderen Ansatz: Sie isolierten zunächst zwar auch mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark und vermehrten sie in Kultur, behandelten die Zellen anschließend aber mit einem Cocktail von Wachstumsfaktoren, um sie in neuronale Vorläuferzellen zu verwandeln.

Diese injizierten sie den Patienten intrathekal. Von den neuronalen Vorläuferzellen versprechen sich die Forscher einige Vorteile. So können die Zellen im Gegensatz zu mesenchymalen Stammzellen kein Fett- oder Knochengewebe mehr bilden und sind daher eher für eine intrathekale Anwendung geeignet. Zudem glauben viele Wissenschaftler, dass mit solchen Vorläuferzellen die Neuroregeneration besser gelingt.

Doch Stammzellen von Gesunden verwenden?

In Sadiqs noch laufender Studie erhalten nun 20 Patienten alle drei Monate drei Injektionen mit jeweils etwa zehn Millionen Zellen. 16 Patienten haben eine sekundär, vier eine primär progrediente MS. Drei Patienten wurden bereits behandelt, auch hier kam es bislang nicht zu schweren unerwünschten Wirkungen.

Sadiq stellte Langzeitdaten von sechs Patienten vor, die während einer ersten Pilotstudie mit der Methode behandelt worden waren. Vier hatten eine sekundär, zwei eine primär progrediente MS.

Bei vier der Patienten ließ sich ein Rückgang des EDSS-Werts in den ersten Monaten nach der Therapie beobachten. Dieser lag in etwa bei einem Punkt. Bei einem Patienten blieb der Wert in den folgenden acht Jahren konstant, bei den anderen stieg er in dieser Zeit langsam wieder auf den Ausgangswert.

Zwei der Patienten zeigten nach der Therapie eine deutlich bessere Blasenfunktion, ein Patient konnte seine Finger wieder stärker bewegen und deutlicher sprechen.

Diskutiert wird inzwischen, ob es nicht vielleicht besser ist, Stammzellen von Gesunden statt autologe Zellen der Patienten zu verwenden. Befürchtet wird, die Zellen MS-Kranker könnten weniger effektiv sein, schließlich haben sie dieselbe genetische Ausstattung wie die amoklaufenden Immunzellen.

Eine Arbeitsgruppe um Gonzalez Garcia von der Universität in Madrid konnte solche Befürchtungen zumindest im Tierversuch widerlegen. Im Maus-MS-Modell ließ sich die Schwere der Erkrankung sowohl mit mesenchymalen Stammzellen von MS-Kranken als auch mit solchen von Gesunden in vergleichbarer Weise reduzieren.

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