Umdenken bei Herzinfarkt
Kardiogener Schock – weniger ist hier mehr
Bei Herzinfarkt-Patienten mit kardiogenem Schock ist es ratsam, sich bei der Revaskularisation zunächst nur auf die Infarktarterie zu konzentrieren. Werden mehr Gefäße behandelt, erhöht sich die Sterblichkeit.
Veröffentlicht:LEIPZIG. Wer gedacht hat, dass die Überlebenschancen von Patienten mit infarktbedingtem kardiogenem Schock bei bestehender koronarer Mehrgefäß-Erkrankung umso besser sind, je kompletter die Revaskularisation ist, wird nun durch die CULPRIT-SHOCK-Studie eines Besseren belehrt. Es war nämlich nicht die komplette Revaskularisation durch Mehrgefäß-PCI (perkutane Koronarintervention) für die ein signifikanter Vorteil bezüglich der Mortalität gezeigt werden konnte. Sondern die Patienten profitierten mehr von der einfacheren und weniger aggressiven Standardstrategie, zunächst nur die "schuldige" infarktrelevante Koronarläsion (culprit lesion) zu revaskularisieren. Die Daten der Studie wurden jetzt im "New England Journal of Medicine" (DOI: 10.1056/NEJMoa1710261) publiziert.
Praxisverändernde Ergebnisse
Nach diesem Ergebnis werden für die Praxis maßgebliche Leitlinien wohl umgeschrieben werden müssen. So enthalten gerade erst veröffentlichte europäische Guidelines die Empfehlung, dass bei Patienten mit ST-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) und Mehrgefäß-Erkrankung im Falle eines kardiogenen Schocks eine Mehrgefäß-PCI in Betracht gezogen werden sollte (Klasse-IIa-Empfehlung). Die Empfehlung ist in dieser Form nach CULPRIT-SHOCK nicht mehr haltbar.
Eine große Überraschung sind die CULPRIT-SHOCK-Ergebnisse sicher nicht. Zwar ist denkbar, dass eine rasche Wiedereröffnung aller signifikant verengten Koronararterien der Myokardperfusion zugutekommt und über daraus resultierende funktionelle Verbesserungen auch die Prognose von Patienten mit kardiogenem Schock verbessert. Allerdings ist dieser vermeintliche Vorteil bisher in nicht randomisierten Beobachtungs- und Registerstudien nicht klar zum Ausdruck gekommen.
Ergebnisse einer Metaanalyse dieser Studien ließen in dieser bedrohlichen klinischen Situation eher die ausschließliche Revaskularisation der Infarktarterie als die günstigere Option erscheinen.
Der klinische Nachteil der Mehrgefäß-PCI bei kardiogenem Schock als Infarktkomplikation wird nun durch die randomisierte kontrollierte CULPRIT-SHOCK definitiv bestätigt. Der Kardiologe Prof. Holger Thiele von der Klinik für Kardiologie der Universität Leipzig hat die Ergebnisse beim Kongress TCT (Transcatheter Cardiovascular Therapeutics) 2017 in Denver vorgestellt.
In die Studie sind an 83 europäischen Zentren 706 Patienten mit infarktbedingtem kardiogenem Schock aufgenommen worden. Knapp zwei Drittel aller Teilnehmer hatten eine koronare 3-Gefäß-Erkrankung. Das Studiendesign sah entweder eine sofortige Mehrgefäß-PCI oder initial eine alleinige Revaskularisation der Infarktarterie vor. Bei auf die "culprit lesion" beschränkter Revaskularisation ("culprit-only"-PCI) bestand gegebenenfalls die Möglichkeit einer zweiten PCI zur Behandlung von signifikanten, aber nicht für den Infarkt relevanten Koronarverengungen oder kompletten Verschlüssen (non culprit lesions).
Signifikanter Unterschied bei der Mortalität
Primärer Endpunkt der CULPRIT-SHOCK-Studie ist die Rate für die kombinierten Ereignisse Tod und schweres Nierenversagen mit notwendiger Nierenersatztherapie zum Zeitpunkt nach 30 Tagen. Mit 45,9 % versus 55,4 % war die Inzidenzrate für diese Ereignisse in der Gruppe mit "Culprit only"-Strategie signifikant niedriger als in der Gruppe mit sofortiger Mehrgefäß-PCI (relative Risikoreduktion: 17 %).
Ausschlaggebend dafür war eine signifikant niedrigere Gesamtsterberate (43,3 % vs. 51,6 %, relative Risikoreduktion: 16 %). Auch die Rate für schweres Nierenversagen war in der Gruppe mit alleiniger Behandlung der Infarktarterie zumindest numerisch niedriger, jedoch erwies sich dieser Unterschied als nicht statistisch signifikant (11,6 % vs. 16,4 %).
Bei anderen klinischen Parametern bestanden keine relevanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen, so etwa bei der Zeit bis zur hämodynamischen Stabilisierung, bei der Häufigkeit und Dauer einer Behandlung mit Katecholaminen zur Kreislaufunterstützung, bei den Spiegeln für kardiale Biomarker wie Troponin T oder bei den Raten für Blutungen und Schlaganfälle.
Differenziertes Bild bei Patienten mit und ohne Schock
Was sind die Gründe für die schlechteren klinischen Ergebnisse der Mehrgefäß-PCI bei kardiogenem Schock? Thiele und seine Mitautoren glauben, dass die dafür erforderliche größere Menge an Kontrastmittel einerseits zu einer stärkeren Beeinträchtigung der Nierenfunktion, andererseits zu einer akuten Volumen-Überbelastung des linken Ventrikels geführt haben könnte. Auch die längere Prozedurdauer habe sich in der Phase der hämodynamischen Instabilität möglicherweise negativ ausgewirkt.
Bei klinisch stabilen Patienten mit akutem Herzinfarkt ohne kardiogenen Schock bietet sich dagegen ein anderes Bild. Hier scheint die Mehrgefäß-PCI nach Ergebnissen neuerer Studien eher vorteilhaft zu sein. Als Vorteil kristallisierte sich bislang primär eine signifikante Abnahme von revaskularisierenden Re-Interventionen heraus. Der definitive Beweis einer signifikanten Reduktion von Mortalität und Re-Infarkten durch dieser Strategie steht noch aus. In der CULPRIT-SHOCK-Studie waren revaskularisierende Zweit-Interventionen nach "Culprit-only"-Intervention integraler Bestandteil einer abgestuften Behandlungsstrategie, sie wurden deshalb auch nicht als Nachteil dieser Strategie verbucht.