Mit Botulinumtoxin kriegen Patienten Muskelverkrampfung unter Kontrolle
Mehr als 160 000 Menschen in Deutschland leiden unter Dystonie. Den meisten von ihnen kann durch selektive und temporäre Denervierung mit Botulinumtoxin-A-Injektionen geholfen werden.
Veröffentlicht:"Durch die Anwendung von Botulinumtoxin A können heute 80 bis 90 Prozent der Dystonie-Patienten erfolgreich behandelt werden", hat Professor Markus Naumann, der Chefarzt der Neurologischen Abteilung am Klinikum Augsburg, bei einer Veranstaltung in Berlin berichtet.
Bei der Dystonie handelt es sich um eine Fehlfunktion der Bewegungskontrolle. Ursache ist die Überaktivität bestimmter Hirnareale. Die Betroffenen leiden unter unwillkürlichen, teilweise schmerzhaften Muskelverkrampfungen. Am häufigsten sind fokale Krämpfe, die in Form eines Blepharospasmus (Lidkrampf), einer spasmodischen Dysphonie (Stimmbandkrampf), in Form zervikaler, oromandibulärer Dystonien oder als Gliederdystonien auftreten. Die Symptome lassen sich oft durch Botulinumtoxin A mildern. Das injizierte Toxin führt zur Blockade der Freisetzung von Acetylcholin an den Synapsen und mindert so den Tonus der betroffenen Muskeln.
Für Patienten wird das Sehen im Alltag oft zum Problem
Blepharospasmus äußert sich in einem unwillkürlichen Zusammenziehen der Muskeln des Augenlids. Außenstehende nehmen dies als unkontrollierbares Blinzeln - meist beider Augen - wahr. Für die Patienten wird Sehen im Alltag oft zum Problem: Die Muskelstörung läßt Tätigkeiten wie das Lesen oder Autofahren kaum mehr zu. Manchmal können auch die Augenlider gar nicht mehr geöffnet werden. Die Folge ist eine funktionale Blindheit.
Die zervikale Dystonie manifestiert sich im Hals- und Nackenbereich und äußert sich in Muskelverkrampfungen, die den Kopf in abnorme Positionen zwingen. Eine zervikale Dystonie tritt meistens im Alter zwischen 30 und 50 Jahren auf, wobei Frauen wie auch beim Blepharospasmus häufiger betroffen sind als Männer.
Sowohl bei Blepharospasmus als auch bei zervikaler Dystonie sind Injektionen von Botulinumtoxin eine gute Option, sagte Naumann bei der von Allergan unterstützten Veranstaltung. Das Unternehmen bietet Botulinumtoxin A als Botox® an.
Von einer anderen Dystonie-Form, der Gliederdystonie ("Musikerkrampf"), ist etwa der Pianist Leon Fleisher betroffen (wir berichteten). Und zwar seit über 30 Jahren. Bei der Veranstaltung in Berlin hat er über seine Erfahrungen berichtet.
"Auf einmal haben sich der vierte und der fünfte Finger meiner rechten Hand während des Spielens eingerollt, ohne daß ich etwas dagegen tun konnte." Nachdem diese ersten Symptome in seiner rechten Hand aufgetreten seien, habe es Jahre gedauert, bis die richtige Diagnose gestellt worden sei, erinnert sind Fleisher. "Ich probierte alle möglichen Therapien, von der Aromatherapie bis zum Zen-Buddhismus. Als dann an der Johns-Hopkins-University in Baltimore eine Botulinumtoxin-Studie gemacht wurde, war ich sofort bereit, daran teilzunehmen". Erst mit dieser Therapie wurde die Muskulatur weicher und die rechte Hand funktionierte wieder fast normal, so daß Fleisher wieder mit beiden Händen spielen konnte. Der Wermutstropfen: "Ich kann meiner Hand nicht trauen", sagt der Pianist. Was für ihn bedeutet, daß er beidhändige Konzerte nicht mehr gibt. Untätig ist der 76jährige deshalb nicht: Er lehrt weiterhin als Dozent und gibt Klavierkonzerte für die linke Hand.
Auch vielen Musikern bringt Botulinumtoxin Linderung
Wie Fleisher geht es vielen betroffenen Musikern. 40 bis 50 Prozent von ihnen spürten nach einer Therapie mit Botulinumtoxin-Injektionen eine Besserung, hat Professor Eckart Altenmüller, Leiter des Instituts für Musikermedizin der Musikhochschule Hannover, berichtet. Da die fokale Toxinwirkung besonders für die Feinjustierung der Hand aber nicht ausreiche, seien viele Musiker mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden. Eine weitere Option sei dann das Training eines neuen Bewegungsprogramms, bei dem die krampfenden Finger durch eine Schienung an der Kontraktion gehindert werden. Eine komplette Wiederherstellung der alten Leistungsfähigkeit, so schränkt Altenmüller ein, sei aber nahezu ausgeschlossen.