Darmflora

Störungen im Darm machen krank

Das Darm-Mikrobiom stärkt das Immunsystem und schützt vor Krankheiten. Störungen in diesem komplexen System können fatale Auswirkungen haben: von Allergien über Reizdarm bis hin zu Krebs.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Ist die Darmflora nicht intakt, hat das Auswirkungen auf den gesamten Körper.

Ist die Darmflora nicht intakt, hat das Auswirkungen auf den gesamten Körper.

© psdesign1/fotolia.com

ROCHESTER. Die ersten Bakterien, die sich im sterilen Darm eines Neugeborenen einnisten, stammen bei natürlicher Entbindung aus der Vaginalflora, bei Kaiserschnitt aus dem Hautmikrobiom der Mutter. Nach und nach werden dann weitere Bakterienarten aus der Umwelt aufgenommen und aerobe Spezies zunehmend durch fakultativ aerobe und anaerobe verdrängt. Die höchste Diversität wird in der Adoleszenz erreicht.

Mit dem Alter gehen Vielfalt und Stabilität zurück, und das Mikroökosystem wird anfällig für Störungen wie Infektionen mit Clostridium difficile. Dazwischen wechseln relativ stabile Phasen mit Phasen der abrupten Veränderung.

Zum Beispiel werden durch eine Antibiotikatherapie Dutzende Bakterienarten zum Verschwinden gebracht und durch andere Arten ersetzt. Aber auch eine Ernährungsumstellung kann innerhalb von 24 Stunden die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms drastisch verändern.

Einfluss auf Immunsystem

Welche Folgen solche Verschiebungen haben können, ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden. Die mikroskopisch kleinen Bewohner des Darms sind nämlich nicht - wie lange geglaubt - nur "Mitesser" (Kommensalen) und Verdauungshelfer. "Sie sind entscheidend für unsere Gesundheit und unser Wohlergehen", betonen Dr. Sahil Khanna und Dr. Pritish K. Tosh von der Mayo-Klinik in Rochester (Mayo Clin Proc 2014; 89(1): 107-114).

Wie man heute weiß, trägt die intestinale Mikrobiota zur Reifung und zum Erhalt des darmassoziierten Immunsystems bei, reguliert die Barrierefunktion des Darmepithels und kann die Freisetzung von antimikrobiellen Wirkstoffen anstoßen. Mikrobiomforscher sprechen schon von einem "Superorgan".

Störungen dieses komplexen Systems werden dementsprechend mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung gebracht, etwa Clostridium-difficile-Infektionen, Reizdarm, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Allergien, aber auch metabolischen und sogar neuropsychiatrischen Erkrankungen.

Artenvielfalt bei Kranken reduziert

Am besten belegt ist der Zusammenhang mit Clostridium difficile: Der Keim kann sich ausbreiten, wenn konkurrierende Arten des intakten Mikrobioms durch eine Antibiotikabehandlung ausgeschaltet wurden. Das erklärt auch das hohe Rezidivrisiko nach einer Standardtherapie mit Metronidazol oder Vancomycin: Die dadurch zusätzlich geschädigte Darmflora bietet einen idealen Nährboden für die Auskeimung der antibiotikaresistenten C.-difficile-Sporen.

Auch beim Reizdarm gibt es Hinweise, dass Veränderungen der intestinalen Mikrobiota eine Rolle spielen könnten. Im Vergleich zu Gesunden scheint die Artendiversität und der Anteil der Bacteroidetes vermindert zu sein. Möglicherweise variiert die Zusammensetzung der Darmflora auch in Abhängigkeit davon, ob Obstipation oder Diarrhö die Symptomatik dominieren.

Colitis ulcerosa und Morbus Crohn haben zwar eine erbliche Komponente. Die Manifestation der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) hängt aber auch von Umweltfaktoren ab. Ein solcher Umweltfaktor könnte ein verändertes Darm-Mikrobiom sein. CED-Mäuse entwickeln nämlich in einer keimfreien Umgebung keine Kolitis, sie benötigen dafür intestinale Mikroorganismen.

Und bei CED-Patienten weist die Mikrobiota des Darms eine geringere Artenvielfalt und Stabilität auf als bei Gesunden, außerdem ist die Mukosa geschädigt. Es wird daher postuliert, dass bei entsprechender genetischer Disposition eine Dysbalance im Darm-Mikrobiom durch veränderte Wechselwirkungen mit dem Immunsystem des Darms zu einer chronischen Entzündung führen könnte.

"Bislang ist jedoch unklar, ob die beobachteten Veränderungen der Mikrobiota tatsächlich die Ursache oder nur die Folge von Entzündung und Diarrhö sind", schränken Khanna und Tosh ein.

Krebs durch veränderte Darmflora?

Über einen Zusammenhang von intestinaler Mikrobiota mit Darmkrebs und Adenomen wird ebenfalls spekuliert. Hintergrund sind auch hier Verschiebungen in der Mikrobiomzusammensetzung von Darmkrebspatienten. Mechanistisch könnten die Bakterien direkt - über Entzündungsprozesse und Beeinflussung der Zellproliferation oder indirekt - etwa über die Metabolisierung von Chemopräventiva - die maligne Entartung vorantreiben.

Falls eine Mikrobiom-Dysbalance tatsächlich ursächlich an den genannten Erkrankungen beteiligt ist, müsste es umgekehrt möglich sein, durch geeignete Manipulation der Darmmikrobiota den Verlauf der Erkrankungen günstig zu beeinflussen.

Hier richten sich die Hoffnungen besonders auf Probiotika, also lebende Mikroorganismen, die in Form von Milchprodukten, Nahrungsergänzungsmitteln oder Medikamenten zugeführt werden können. Derzeit ist die Datenlage für ihren Einsatz allerdings relativ mager. Ein deutlicher Nutzen ist vor allem bei Pouchitis belegt, eine Indikation besteht außerdem für E. coli Nissle zur Remissionserhaltung bei Colitis ulcerosa und Mesalazin-Unverträglichkeit.

Die mikrobielle Vielfalt wiederherzustellen gelingt eher durch die Übertragung von Spenderfäzes. Der Erfolg bei rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektionen ist beeindruckend. Mit der Stuhltransplantation werden Heilungsraten von über 90 Prozent erzielt. Derzeit wird die Mikrobiotatransplantation außerdem in mehreren Studien bei CED untersucht.

Erste positive Fallberichte gibt es mit der Methode unter anderem auch von Reizdarmpatienten sowie Patienten mit Multipler Sklerose und neuropsychiatrischen Erkrankungen. Angesichts solcher "Erfolgsmeldungen", die auch in der Publikumspresse verbreitet werden, warnen Experten jedoch vor unkritischer Euphorie.

"Der derzeitige Hype um das Mikrobiom gefährdet Patienten, die schlecht informierte Entscheidungen treffen, und er gefährdet das wissenschaftliche Projekt", beklagt Professor William P. Hanage von der Medical School of Public Health in Boston (Nature 2014; 512: 247-248). Was die Mikrobiom-Forschung jetzt brauche sei harte Arbeit - und "eine gesunde Portion Skepsis".

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