Martin-Kolumne
Süßstoff statt Zucker? Zum Abnehmen bringt das offenbar wenig
Künstliche Süßstoffe enthalten keine Kalorien. Zum Abnehmen eignen sie sich aber nur bedingt: In Studien wurden damit ungünstige Auswirkungen auf Stoffwechsel und Appetit belegt.
Veröffentlicht:Übermäßiger Konsum gezuckerter Getränke begünstigt die Entwicklung von Adipositas und Typ-2-Diabetes. Besonders auch zur Gewichtsabnahme wird daher oft empfohlen, zuckerhaltige Getränke zu meiden. Alternativ werden Getränke mit künstlichen Süßstoffen propagiert, die keine Kalorien enthalten. Substanziell Gewicht abnehmen lässt sich damit aber offenbar nicht, wie aktuelle Studien nahelegen.
So hat ein internationales Forscherteam unter Mitwirkung der Yale University in New Haven im US-Staat Connecticut metabolische Effekte von Sucralose untersucht (Cell Metabolism 2020; 31: 493). Dabei handelt es sich um einen künstlichen Süßstoff ohne nennenswerten physiologischen Brennwert.
Das Ergebnis: Mit Sucralose gesüßte Getränke sind zwar metabolisch neutral. Probleme bereitet jedoch die gleichzeitige Aufnahme von Maltodextrin, einem langkettigen Kohlenhydrat. Durch die Kombination wird die endogene Insulinproduktion sehr stark stimuliert.
Hohe Insulinspiegel blockieren aber bekanntlich die Lipolyse und fördern die Lipogenese. Daher wurden auch Zweifel an der Gewichts-reduzierenden Wirkung von Sucralose geäußert. Die Ethikkommission der Yale Universität hat die Studie deshalb vorzeitig gestoppt.
Interessanterweise enthalten Süßpulver oder –tabletten mit Sucralose auch Dextrose oder Maltodextrin. Darüber hinaus werden die „Lightgetränke“ in der Regel auch zusammen mit anderen Lebensmitteln konsumiert, sodass die offenbar schädlichen Ernährungsmuster der gestoppten Studie täglich millionenfach fortgeführt werden.
Sucralose regt den Appetit an
Aktuelle Studiendaten sprechen ebenfalls gegen Süßstoffe. Darin wurde aufwändig getestet, wie sich Sucralose-gesüßte Getränke auf den Appetit auswirken (JAMA Netw Open. 2021; 4: e2126313). Dazu mussten 76 Probanden an drei verschiedenen Tagen in zufälliger Reihenfolge entweder eine Zuckerlösung, ein mit Sucralose gesüßtes Getränk oder zur Kontrolle Wasser trinken.
Anschließend wurden den Teilnehmern Bilder verschiedener Nahrungsmittel gezeigt und in funktionellen Magnetresonanztomographien (fMRT) die Durchblutungsänderungen von Hirnarealen analysiert, die mit der Anregung von Appetit in Zusammenhang stehen. Nach der fMRT Untersuchung konnten sich die Teilnehmer an einem Büfett bedienen, und es wurde die Menge an konsumierten Nahrungsmitteln erfasst.
Die Ergebnisse zeigten zwischen den Getränken keine Unterschiede, wenn die Daten aller Teilnehmer berücksichtigt wurden. Bei einer geschlechtsspezifischen Analyse ergab sich, dass bei Frauen künstliche Süßstoffe eine deutlich stärkere Aktivierung des Appetitzentrums auslösen als zuckerhaltige Getränke.
Auch konsumierten Frauen nach dem Experiment deutlich mehr Nahrungsmittel vom Büfett, wenn sie zuvor Getränke mit dem künstlichen Süßstoff im Vergleich mit Zucker zu sich genommen hatten. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich bei Personen mit Adipositas (BMI über 30 kg/m2 ).
Fehlbewertung im „Nutri-Score“
Die Befunde erklären auch, warum sich in einer Metaanalyse von Kohortenstudien für künstliche Süßstoffe keine und in randomisierten kontrollierten Studien nur mäßige Gewichtsabnahmen (weniger als 1 kg) ergaben (Am J Clin Nutr. 2014; 100: 765). Diese wissenschaftlichen Befunde werden bisher noch nicht bei der Nährwert-Bewertung von Lebensmitteln berücksichtigt.
Das zeigt etwa die Einstufung von Cola-Getränken in die fünfstufige Skala des „Nutri-Score“. Danach wird eine zuckerhaltige Cola-Limonade zurecht in die ernährungsphysiologisch ungünstigste Kategorie „E“ eingestuft, die zuckerlose Variante mit Süßstoff aber in die zweitgünstigste Kategorie „B“.
Fazit: Studiendaten geben deutliche Hinweise darauf, dass künstliche Süßstoffe, auch wenn sie keine Kalorien enthalten, zur Unterstützung der Gewichtsreduktion eher weniger geeignet sind.
Professor Stephan Martin ist Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.