Nach Herzinfarkt

Ticagrelor auch langfristig präventiv wirksam

Zahlt sich nach Herzinfarkt auch eine längerfristige duale Plättchenhemmung aus? Die jetzt beim ACC-Kongress vorgestellte Studie PEGASUS-TIMI-54 hat die Antwort gebracht.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:

SAN DIEGO. Auch bei KHK-Patienten mit einem schon weiter zurückliegenden Herzinfarkt in der Vorgeschichte reduziert eine Langzeitprophylaxe mit dem Plättchenhemmer Ticagrelor die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse.

Dieser Benefit geht aber mit einer Zunahme von Blutungen einher. Gefragt ist deshalb eine individuelle Nutzen/ Risiko-Abwägung.

Die duale Plättchenhemmung mit ASS plus einem weiteren Thrombozytenhemmer ist bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom inzwischen eine etabliert Form der Prophylaxe.

Auf Basis bisher vorliegender Studien wird eine solche Behandlung in der Regel befristet für die Dauer von zwölf Monaten empfohlen.

Neuere und potentere Plättchenhemmer wie Prasugrel oder Ticagrelor haben sich dabei in Studien einer Behandlung mit Clopidogrel als klinisch überlegen erwiesen und werden in den europäischen Leitlinien deshalb nach akutem Koronarsyndrom bevorzugt empfohlen.

Ticagrelor hat seine Vorteile, darunter auch eine stärkere Reduktion der kardiovaskulären Mortalität, in der PLATOStudie unter Beweis gestellt.

Jenseits der Grenze von 12 Monaten

Unklar war jedoch bisher, ob sich auch eine längerfristige duale Plättchenhemmung über die Dauer eines Jahres hinaus klinisch auszahlen würde und welche Risiken dabei eingegangen werden. Dies zu klären war Ziel der PEGASUS-TIMI-54-Studie.

Studienleiter Dr. Marc Sabatine aus Boston hat ihre Ergebnisse jetzt beim Kongress des American College of Cardiology (ACC) in San Diego vorgestellt. Die Studie wurde zeitgleich im NEJM veröffentlicht (NEJM 2015; online 14. März)

Für die Studie sind zwischen Oktober 2010 und April 2013 insgesamt 21.162 KHK-Patienten rekrutiert worden, die mindestens ein Jahr und maximal drei Jahre vor Aufnahme in die Studie einen akuten Myokardinfarkt erlitten hatten. Im Median lag das Ereignis 1,7 Jahre zurück.

Die Studienteilnehmer sind randomisiert drei Gruppen zugeteilt worden und in der Folge entweder mit Ticagrelor in zwei Dosierungen (60 mg oder 90 mg zweimal täglich) oder mit Placebo behandelt worden - jeweils auf Basis einer Behandlung mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS, 75-150 mg/Tag).

Erfolg in beiden Ticagrelor-Armen

Die Studie sollte den Nachweis erbringen, dass Ticagrelor auch bei längerfristiger Behandlung im Vergleich zur alleinigen Plättchenhemmung mit ASS das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (primärer kombinierter Endpunkt: kardiovaskulär bedingter Tod, Reinfarkt, Schlaganfall) verringert. Die Behandlungsdauer betrug im Schnitt 33 Monate.

Das hinsichtlich der Wirksamkeit gesteckte Studienziel ist erreicht worden: Nach drei Jahren waren die Inzidenzraten für den primären kombinierten Endpunkt mit 7,8 Prozent (Ticagrelor 90 mg) und ebenfalls 7,8 Prozent (Ticagrelor 60 mg) jeweils signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe (9,0 Prozent).

Das relative Risiko für die in diesem Endpunkt zusammengefassten kardiovaskulären Ereignis war damit unter Ticagrelor um 15 Prozent (90 mg-Dosis) respektive 16 Prozent (60 mg-Dosis) niedriger als unter Placebo.

Maßgeblich für den Unterschied zugunsten von Ticagrelor war dabei vor allen die Reduktion von Herzinfarkt-Rezidiven, deren Inzidenz von 5,2 Prozent (Placebo) auf 4,4 Prozent (90 mg-Dosis, Risikoreduktion: 19 Prozent) und auf 4,5 Prozent (60 mg-Dosis, Risikoreduktion: 16 Prozent) gesenkt wurde.

Signifikanter Anstieg von Blutungen

Nicht überraschend war die duale Plättchenhemmung im Vergleich zu ASS allein mit einer Zunahme von schweren Blutungskomplikationen assoziiert.

Die Blutungsraten waren unter Ticagrelor mit 2,6 Prozent (90 mg-Dosis) und 2,3 Prozent (60 mg-Dosis) im Vergleich zu 1,1 Prozent unter Placebo jeweils signifikant höher.

Wie Studienleiter Sabatine betonte, waren jedoch die Raten intrakranieller sowie tödlicher Blutungen in allen drei Gruppen mit 0,6 Prozent (90 mg-Dosis), 0,7 Prozent (60 mg-Dosis) und 0,6 Prozent (Placebo) niedrig und nicht signifikant unterschiedlich.

Perspektiven für die Praxis

Welche Perspektiven für die künftige Praxis der Sekundärprävention nach akutem Herzinfarkt eröffnen sich mit diesen Studienergebnissen? Sie zeigen zum einen, dass eine intensivere antithrombotische Therapie durch duale Plättchenhemmung mit ASS plus Ticagrelor zumindest bei Patienten mit Myokardinfarkt in der Vorgeschichte auch über die bislang geltende Frist hinaus von klinischem Vorteil ist. Dieser Vorteil wurde schon früh sichtbar und in der Folgezeit immer größer.

Die Ergebnisse zeigen zum anderen aber auch, dass dieser Vorteil nur auf Kosten eines erhöhten Blutungsrisikos zu haben ist. Tröstlich mag dabei sein, der der Langzeittherapie mit Ticagrelor zumindest keine Zunahme von intrakraniellen oder tödlichen Blutungen anzulasten ist.

Eine sorgfältige, auf den individuellen Patienten abgestimmte Nutzen-Risiko-Abwägung ist dennoch unumgänglich.

Eine Frage der Dosierung

Die Frage, auf welche der beiden getesteten Ticagrelor-Dosierungen künftig die Wahl fallen sollten, ist wohl geklärt: Da bei nahezu gleicher Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen die Blutungsrate im Vergleich zur höheren Dosierung etwas niedriger war, zeichnet sich die 60-mg-Dosierung unter dem Strich durch ein etwas günstigeres Nutzen-Risiko-Profil aus.

Damit stellt sich aber auch die Frage, wie bei Patienten vorzugehen ist, die nach einem Herzinfarkt Ticagrelor zunächst für zwölf Monate in der in dieser Phase üblichen Dosis von 90 mg zweimal täglich erhalten haben und für eine längerfristige Behandlung geeignet erscheinen.

Die Empfehlung von Studienleiter Sabatine für diesen Fall lautet: Zunächst leitliniengerecht für ein Jahr in der höheren Dosierung behandeln und diese danach auf 60 mg zweimal täglich reduzieren.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 29.03.201518:37 Uhr

Postinfarktpatienten: Chancen und Risiken der dualen Plättchenhemmung bei PEGASUS-TIMI-54?

Die Empfehlung von Prof. Dr. Marc Sabatine: "Die langfristige duale Plättchenhemmung mit niedrig dosiertem ASS und Ticagrelor sollte bei den geeigneten Patienten nach einem Infarkt in Erwägung gezogen werden", kann nicht isoliert stehen bleiben. Denn zumindest in Dänemark und in Deutschland ist die Gefahr groß, dass Patienten nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) entweder als OTC-Präparate frei in den Apotheken besorgen oder von Orthopäden bzw. Hausärzten verordnet bekommen.

Nach einer Studie aus Dänemark nehmen Blutungskomplikationen und thromboembolische Ereignisse zu, wenn Infarktpatienten zusätzlich zu der antithrombotischen Therapie NSAR einnehmen:
„Association of NSAID Use With Risk of Bleeding and Cardiovascular Events in Patients Receiving Antithrombotic Therapy After Myocardial Infarction“ von A.-M. Schjerning Olsen et al. von der Universität Hellerup (DK) beschreibt bei 61.971 Patienten, die einen ersten Infarkt überlebt hatten, in einer mittleren Beobachtungsdauer von 3,5 Jahren, dass jeder dritte Studienteilnehmer (33,8 Prozent) gleichzeitig zur antithrombotischen Therapie ein NSAR verschrieben bekommen hat.

Besonders hohe kardiovaskuläre Risiken bewirkt das in Deutschland unkritisch besonders gerne orthopädisch eingesetzte Diclofenac 50 bis 100 mg. Unding bleibt, dass ausgerechnet Diclofenac rezeptfrei und seriell in mehreren Apotheken ü b e r die bereits rezeptpflichtige Menge hinaus erworben werden kann, wohingegen Paracetamol (z. B. ben-u-ron®) Blutungs- und Thrombose-neutral weitaus besser einzusetzen wäre.

Doch damit nicht genug: Bei NSAR-Einnahme, unabhängig ob selektive oder nicht selektive COX-2-Hemmer, verdoppelt sich das Blutungsrisiko im Vergleich zu Patienten ohne NSAR (Hazard Ratio, HR: 2,02). Auch bei nur kurzer Verwendung treten Blutungskomplikationen mit Klinikeinweisung häufiger auf. In den ersten drei Tagen war die Blutungsgefahr verdreifacht (HR: 3,37). Besonders nachteilig waren die Kombinationen von NSAR mit ASS p l u s Clopidogrel bzw. die Gabe anderer Antikoagulanzien oder des Plättchenhemmers Ticagrelor u n d ASS. Im sekundären Endpunkt, bestehend aus kardiovaskulärem Tod, erneutem nicht tödlichem Herzinfarkt, ischämischem Schlaganfall, TIA oder arterieller Embolie, spiegelt sich ein negativer Einfluss der NSAR-Gabe wider. Die Inzidenz dieser thromboembolischen Komplikationen erhöht sich um bis zu 40 Prozent.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb der Autor des im NEJM veröffentlichten Editorials zur Studie des PEGASUS-Teams um Dr. Marc P. Bonaca et al., Prof. Dr. John F. Keaney Jr. schreibt:
„Postinfarktpatienten mit einem geringeren ischämischen Risiko oder solche mit einem höheren Blutungsrisiko werden wahrscheinlich keinen so großen Netto-Benefit erzielen wie die Teilnehmer der PEGASUS-Studie“... "Als Konsequenz sind damit wohl auch nicht alle Postinfarktpatienten Kandidaten für eine Langzeit-Behandlung mit Ticagrelor" (Prof. Dr. John F. Keaney Jr.). Die duale Plättchenhemmung mit Ticagrelor u n d ASS bleibt problematisch.

Offen bleibt die Frage: Wie können eigentlich Blutungskomplikationen u n d thromboembolische Ereignisse gleichzeitig zunehmen, wenn Infarktpatienten zusätzlich zur antithrombotischen Therapie NSAR einnehmen?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Quelle:
Association of NSAID Use With Risk of Bleeding and Cardiovascular Events in Patients Receiving Antithrombotic Therapy After Myocardial Infarction von A.-M. Schjerning Olsen et al. JAMA. 2015;313(8):805-814. doi:10.1001/jama.2015.0809.

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