HINTERGRUND

US-Soldaten haben ein erhöhtes Risiko für amyotrophe Lateralsklerose - weshalb, ist noch weitgehend unklar

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Vielleicht ist es die starke körperliche Belastung, vielleicht der erhöhte Kontakt mit Umwelttoxinen, vielleicht eine Mischung aus beidem: Männer, die Wehrdienst leisten, haben ein höheres Risiko, an der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) zu erkranken, zumindest in den USA. Das hat eine große, prospektive Untersuchung mit über 400 000 US-Amerikanern ergeben, die jetzt in der Fachzeitschrift "Neurology"(64, 2005, 32) veröffentlicht worden ist.

Nur Marineangehörige hatten eine geringeres ALS-Risiko

Knapp 70 Prozent der Studienteilnehmer sind in verschiedenen Bereichen des Militärs tätig gewesen. Das Risiko, an ALS zu erkranken, steigt dabei nach den Studiendaten mit der Zahl der Kriegseinsätze, ist aber weitgehend unabhängig von dem Wehrbereich, in dem die Soldaten tätig sind. Mit einer Ausnahme: Unter Marine-Angehörigen war die ALS-Rate geringer. Wer jedoch bei der Navy (Kriegsmarine) Dienst hatte, bekam später häufiger ALS.

      Je mehr Kriegseinsätze, um so höher ist die ALS-Rate.
   

Leiden Golfkriegsveteranen häufiger unter ALS? Das fragt man sich in den USA seit ein paar Jahren. Die jetzt publizierte Studie dürfte mehr Klarheit bringen. Zuvor hatten im Jahr 2003 zwei kleinere Untersuchungen ein zweifach erhöhtes ALS-Risiko bei Golfkriegssoldaten ergeben. Wegen methodischer Schwächen wurden die Ergebnisse jedoch stark angezweifelt.

Die neue Studie unter Federführung von Professor Alberto Ascherio aus Boston legt nun den Schluß nahe: Das ALS-Risiko für US-Soldaten war in allen Kriegen, an denen sich die USA bislang beteiligt hatten, erhöht. Angefangen beim Ersten Weltkrieg über den Zweiten, den Korea-Krieg in den fünfziger Jahren und den Vietnam-Krieg in den Sechzigern und Siebzigern. In den Golfkriegen war die ALS-Rate offenbar nicht höher als in den anderen Kriegen.

Die in der Studie befragten und beobachteten Männer sind eine Untergruppe aus der Cancer Prevention Study II mit 1,2 Millionen US-Bürgern. Als die Studie 1982 begann, betrug das durchschnittliche Alter der Teilnehmer 57 Jahre. Die Männer, die am 1. Januar 1989 noch lebten, wurden zehn Jahre lang nachbeobachtet. Knapp 126 400 Teilnehmer der neuen Studie, also etwa 30 Prozent, waren nie beim Militär gewesen und dienten als Kontrolle.

In der Kontrollgruppe starben in zehn Jahren 63 von 126 000 Personen an ALS - das sind etwa 0,05 Prozent. In der Gruppe derer, die Wehrdienst geleistet hatten, waren es 217 von 282 000 - das sind etwa 0, 077 Prozent und damit über 50 Prozent mehr als in der Kontrollgruppe.

Wurden alle potentiellen Umweltfaktoren, die ALS begünstigen könnten, berücksichtigt, etwa Alter, Rauchen, Vitamin-E-Supplementation, beruflicher Kontakt mit Pestiziden oder Lösungsmitteln, ergab sich ein um den Faktor 1,6 erhöhtes ALS-Risiko unter den Soldaten. Wer in zwei Kriegen im Einsatz war, hatte sogar eine doppelt so hohe ALS-Rate wie die Männer aus der Kontrollgruppe. Bei mehr als zwei Kriegen stieg die Rate nochmal um 24 Prozent an.

Über die Ursachen gibt die neue Studie keine Auskunft, sie läßt nur Vermutungen zu: Insektenschutzmittel, wie sie bei militärischen Einsätzen häufig benutzt werden, könnten ALS begünstigen, Metallstäube, die bei der Explosion von Waffen entstehen, aber auch Verletzungen oder starke körperliche Aktivität. Denn auch Fußball- und Football-Profis haben vermehrt ALS.

Auch in der Kontrollgruppe war die ALS-Inzidenz erhöht

Interessant an der Studie ist auch das Ergebnis für die Kontrollgruppe, jenen Männern also, die nie bei der Armee gewesen sind. Bei ihnen war die ALS-Inzidenz etwa doppelt so hoch wie sie in deutschsprachigen Lehrbüchern angegeben wird. Jetzt wollen Forscher auch Daten von 25 Millionen Europäern in nationalen und internationalen Registern auf Risikofaktoren für ALS überprüfen.



STICHWORT

ALS

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine degenerative Erkrankung motorischer Nerven mit Paresen, Muskelatrophie und Spastik. Sie tritt oft zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf und führt nach etwa drei Jahren zum Tode. Die Ursache ist unbekannt. Bei etwa zehn Prozent der Patienten wird ein genetischer Hintergrund vermutet. Es gibt keine kurative Therapie. Der Glutamat-Antagonist Riluzol (Rilutek®) verzögert aber die Progression. (nsi)

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