Online-Umfrage
Viele MS-Patienten verzichten auf Kinder
Zwar wollen nur sieben Prozent der MS-Patienten aufgrund ihrer Krankheit überhaupt keine Kinder, zwei Drittel verzichten jedoch auf ein zweites Kind, so das Ergebnis einer italienischen Studie.
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Viele MS-Kranke mit Kinderwunsch haben Angst vor teratogenen Effekten der Therapie.
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Das Wichtigste in Kürze
Frage: Welchen Einfluss hat eine MS auf die Familienplanung?
Antwort: MS-Kranke verzichten nach der Diagnose häufig auf weitere Kinder.
Bedeutung: MS-Patienten werden zu den Themen Familienplanung und Schwangerschaft oft unzureichend beraten.
Einschränkung: Online- Umfrage mit Selektionsbias
NEAPEL. Eine Multiple Sklerose (MS) tritt bekanntlich meist in einem Alter auf, in dem viele Menschen dabei sind, eine Familie zu gründen. Untersuchungen hätten ergeben, dass MS-Kranke häufiger als nicht Betroffene auf Kinder verzichten, berichten Neurologen um Dr. Luigi Lavorgna von der Poliklinik in Neapel.
MS-Kranke würden das zum einen damit begründen, dass sie sich der Erziehung nicht gewachsen fühlten. Aber auch Ängste vor teratogenen Effekten von MS-Therapeutika oder Befürchtungen, die Erkrankung auf den Nachwuchs zu übertragen, seien von Bedeutung.
Zwar ließen sich viele der Bedenken in Arztgesprächen ausräumen, dennoch könne eine MS die Familienplanung deutlich beeinflussen. Wie sehr, haben die Ärzte anhand einer Online-Umfrage eruiert, schreiben die Wissenschaftler (J Neurol 2019; online 16. Januar).
Ein Viertel mit Kinderwunsch
Dazu stellten sie 26 Fragen rund um die Familienplanung auf einem sozialen MS-Netzwerk online. Der Fragebogen öffnete sich automatisch, sobald Mitglieder aus Italien auf das Facebook-ähnliche Netzwerk zugriffen. Den Fragebogen füllten über 480 MS-Kranke aus, davon waren 71 Prozent Frauen.
Im Schnitt hatten die Teilnehmer ein Alter von 41 Jahren erreicht und rund 13 Jahre mit MS hinter sich, ein Viertel litt an einer progredienten MS-Form. Die Teilnehmer waren insgesamt etwas jünger und besser gebildet als der Durchschnitt der MS-Kranken in Italien, wie ein Vergleich mit einer nationalen MS-Datenbank ergab.
Wie sich zeigte, hatte ein Viertel der Teilnehmer nie den Wunsch gehabt, Kinder zu bekommen. Davon gab wiederum ein Viertel an, aufgrund der MS auf Kinder zu verzichten. Bezogen auf alle befragten Teilnehmer betrug dieser Anteil sieben Prozent.
Solche Patienten waren in der Regel bei der Diagnose etwas älter, zum Zeitpunkt der Umfrage körperlich stärker eingeschränkt und häufiger in einem progredienten Stadium als diejenigen, die Kinder wollten. Möglicherweise habe ein aggressiverer MS-Verlauf zu der Entscheidung gegen Kinder beigetragen, spekulieren die Ärzte um Lavorgna.
60 Prozent der Befragten hatten nach eigenen Angaben Kinder, die Hälfte von ihnen wusste bereits vor der ersten Geburt von der MS. Von diesen hatten nur 38 Prozent ein zweites Kind. Umgekehrt hatten zwei Drittel der MS-Patienten, die bei der ersten Geburt noch keine MS-Diagnose aufwiesen, weitere Kinder bekommen. Die Ärzte um Lavorgna lesen daraus ab, dass MS-Patienten nach der Diagnose oft keine weiteren Kinder mehr wollen.
Absetzen der Medikation
Offenbar sind nicht wenige der MS-Kranken von Ärzten und medizinischem Personal nach der Diagnose entmutigt worden, so ein Ergebnis der Befragung: 16 Prozent derer, die eigentlich Kinder haben wollten, gaben an, dass ihnen davon abgeraten wurde. Dies betraf fast ausschließlich Frauen.
Als Gründe wurden ungünstige Effekte der Schwangerschaft auf den MS-Verlauf genannt, unter anderem, weil die Frauen dann meist ihre Medikation absetzen müssen. Betroffen waren vor allem Frauen, die bei der Umfrage relativ alt und bei der Diagnose recht jung waren, woraus sich schließen lässt, dass Ärzte heute nicht mehr so häufig wie früher Frauen mit MS von einer Schwangerschaft abraten.
Defizite bei der Beratung
Auf der anderen Seite waren die Ärzte mit Empfehlungen, eine Schwangerschaft sorgfältig zu planen und ungeplante Schwangerschaften zu vermeiden, sehr zurückhaltend: Nur 39 Prozent der MS-Kranken gaben an, dazu beraten worden zu sein.
Die Neurologen um Lavorgna sehen daher große Defizite bei der Beratung von MS-Kranken zu Schwangerschaft und Familienplanung. Ärzte sollten solche Themen ansprechen und Frauen mit MS Wege zeigen, wie sie sicher durch die Schwangerschaft kommen, statt ihnen davon abzuraten, so das Resümee der Wissenschaftler.