Neuro-Kongress

Zusammenhang zwischen Darmflora und MS entdeckt

Die Darmflora ist offenbar auch an der Entstehung der Multiplen Sklerose beteiligt: Darauf deuten Versuche hin, die jetzt auf dem Neurologen-Kongress in Düsseldorf präsentiert wurden.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Zwischen der Darmflora und MS gibt es offenbar Zusammenhänge.

Zwischen der Darmflora und MS gibt es offenbar Zusammenhänge.

© underdogstudios / fotolia.com

DÜSSELDORF. Schon seit einiger Zeit gibt es Hinweise, wonach das Geschehen im Darm auch sehr wichtig für pathologische Prozesse im Gehirn ist. So scheint sich krankhaft verändertes Alpha-Synuclein-Protein bei Parkinsonpatienten zunächst im Darmnervensytem zu bilden und von dort langsam ins Gehirn aufzusteigen.

Offenbar können bestimmte Substanzen wie Pestizide diesen Prozess fördern (wir berichteten). Nun haben Forscher auch Hinweise gefunden, die auf den Darm als wichtigen Faktor bei der MS-Entstehung deuten.

Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Düsseldorf hat Professor Hartmut Wekerle vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München Erkenntnisse vorgestellt, wonach Keime in der Darmflora eine MS begünstigen. Die Forscher haben zunächst genveränderte Mäuse mit einem hohen Anteil autoreaktiver T-Zellen erzeugt.

Solche Tiere entwickeln in der Regel rasch eine schubförmige Autoimmunenzephalitis. Werden sie allerdings in komplett keimfreier Umgebung aufgezogen, bleibt die Erkrankung aus.

Inkubiert man solche Tiere nun mit Fäkalproben normaler Mäuse, entwickeln sie rasch die MS-artige Erkrankung. Für Wekerle spricht dies dafür, dass eine normale Darmflora notwendig ist, um - zumindest im Tiermodell - eine MS zu erzeugen.

Stuhlproben auf Mäuse übertragen

In einem nächsten Schritt wurden in den Darm der genveränderten Tiere Stuhlproben von menschlichen Zwillingen transferiert, von denen einer eine MS hatte, der andere nicht. Insgesamt konnten 56 Zwillingspaare für das Experiment gewonnen werden.

Die Mäuse mit Stuhlproben von MS-Kranken entwickelten zu 60 Prozent binnen zwölf Wochen die Autoimmunerkrankung, bei den Mäusen mit Proben von gesunden Zwillingen waren es nur halb so viele.

Auch das sieht Wekerle als Hinweis auf eine Bedeutung der Darmflora bei der MS-Entstehung. "Die Darmflora ist mehr als nur ein Bioreaktor, sie kontrolliert auch wichtige Immunfunktionen und hat Einfluss auf die Mikroglia im Gehirn", so Wekerle auf dem Kongress.

Nach seiner Ansicht könnten Mikroben im Darm ein wichtiger Auslöser für eine MS sein. Ob es sich dabei um einzelne Keime handele oder eher um das gesamte Keimprofil sei noch unklar, das würden bald weitere, groß angelegte genetische Studien zeigen.

Der Forscher sieht in der Darmhypothese jedoch Chancen für neue Therapieansätze - und zwar nicht nur medikamentöse. Da die Ernährung die Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst, liegt es auf der Hand, dass sie auch das MS-Risiko verändern könnte.

So ließ in sich in Tiermodellen durch eine stark kochsalzhaltige Diät die Entwicklung der MS-artigen Erkrankung komplett verhindern.

Es gebe zwar epidemiologische Studien, die eher auf einen negativen Effekt von Kochsalz deuteten, diese seien jedoch kritisch zu hinterfragen. So sei in Japan die MS-Prävalenz unter der traditionell sehr salzreichen Ernährung weitaus geringer gewesen als heute unter der zunehmend westlich geprägten Diät.

Forschung erst ganz am Anfang

Wekerle warnte jedoch auch davor, die Bedeutung des Darms für die MS zu überschätzen, noch sei die Forschung hier am Anfang. Es gebe bereits Berichte, wonach MS-Kranke versuchten, sich mit Stuhlproben gesunder Menschen selbst zu behandeln. Davon sei dringend abzuraten.

Der Darm scheint aber auch bei Krankheiten wie Schlaganfall von Bedeutung zu sein. So erleiden die Betroffenen nach dem Insult oft eine Lungenentzündung.

Auf dem Kongress werden nun Daten präsentiert, nach denen die Lungenkeime offenbar über eine gestörte Darmbarriere nach einem Schlaganfall leichter ihr Ziel erreichen. Hier könnten Probiotika vielleicht prophylaktisch wirken.

Beim 88. Kongress der DGN werden bis zum Samstag mehr als 6000 Besucher erwartet. Schwerpunkt sind in diesem Jahr Neuroinflammation und Neurodegeneration, aber auch die Neurologie in der NS-Zeit wird durchleuchtet.

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