nutritionDay in Krankenhäusern und Pflegeheimen
Obwohl Mangelernährung bei stationär aufgenommenen Patienten häufig vorkommt, wird dies im Krankenhaus oft nicht erkannt. Gleiches gilt in Alten- und Pflegeheimen. In ganz Europa auf dieses Problem aufmerksam zu machen, ist ein Ziel des Projekts nutritionDay.
Veröffentlicht:Der nächste nutritionDay findet am 29. Januar 2009 statt. Teilnehmen können alle Stationen in Krankenhäusern, auch Intensivstationen, sowie Alten- und Pflegeheime. Die Unterlagen zur Registrierung gibt es unter www.nutritionday.org.
Von Tatjana Schütz, Karin Schindler und Karin Steininger
Mangelernährung ist mit einer verzögerten Rekonvaleszenz, einer längeren Krankenhausverweildauer und einer ungünstigeren Prognose in Hinblick auf Morbidität und Mortalität assoziiert. Neben diesen negativen Folgen für die Betroffenen verursacht sie auch enorme Kosten für die Allgemeinheit. Diese werden beispielsweise in Großbritannien auf mehr als 7,3 Milliarden Pfund jährlich geschätzt.
Es ist nicht neu, dass eine geringe Nahrungsaufnahme bei Kranken und die damit zusammenhängende Verschlechterung des Ernährungszustands unerkannt bleiben oder der Erkrankung selbst zugeschrieben werden. So gab Bistrian 1976 die Prävalenz der Mangelernährung bei stationärer Aufnahme mit über 40 Prozent an (JAMA 235, 1976, 1567). Für deutsche Krankenhäuser wurde 2006 im Rahmen einer bundesweiten Studie ermittelt, dass jeder vierte Patient mangelernährt ist. Die meisten Fälle wurden in geriatrischen (56,2 Prozent), onkologischen (37,6 Prozent) und gastroenterologischen (32,6 Prozent) Abteilungen beobachtet (Clin Nutr 25, 2006, 563).
Warum werden mangelernährte Patienten nicht ausreichend wahrgenommen? Liegt es daran, wie Jens Kondrup einmal formulierte, dass "der Patient mit Schmerzen schreit, der mangelernährte Patient apathisch und still ist"?
Der nutritionDay ist auf jeder Station durchführbar
Die Lösung des Problems beginnt mit der Sensibilisierung aller Beteiligten - also der Behandler im Krankenhaus wie auch im niedergelassenen Bereich, Patienten, Angehörigen, Krankenhausverwaltungen - für die Wechselbeziehung zwischen Ernährung und Genesung. Diese ist oft schwer zu erkennen, da, anders als bei der Gabe von Medikamenten, der Zusammenhang zwischen Essen bzw. Ernährung und Genesung nicht unmittelbar sichtbar ist. Das rechtzeitige Erkennen einer Mangelernährung und die konsequente Umsetzung ernährungstherapeutischer Maßnahmen stellen eine Herausforderung für alle im Gesundheitswesen Beschäftigten dar.
Der Europarat verabschiedete 2003 eine Resolution zum Problem der Mangelernährung in Krankenhäusern. Darin fordert er unter anderem eine klare Definition von Verantwortlichkeiten, eine ausreichende Ausbildung des Krankenhauspersonals, eine bessere Kooperation zwischen den Berufsgruppen und ein höheres Engagement der Krankenhausverwaltung in Ernährungsfragen.
Die österreichische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Ernährung (AKE) hat 2006 mit der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) den nutritionDay ins Leben gerufen (Leitung: Prof. Michael Hiesmayr, Medizinische Universität Wien). Die Initiative wird auch von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) unterstützt und läuft nun seit drei Jahren. Ziele des Projekts sind:
- Stärken des Problembewusstseins bei dem Krankenhauspersonal und den Patienten sowie ihren Angehörigen,
- Schaffen einer europaweiten, einheitlich erhobenen Datenbasis, um so Schwerpunkte von Mangelernährung zu identifizieren,
- Entwickeln eines Instruments, um die Qualität der Ernährungsversorgung zu sichern.
Im ersten Jahr nahmen ausschließlich Normalstationen teil. In den folgenden beiden Jahren wurde das Projekt um die Module Pflegeheim und Intensivstation mit hierfür entwickelten Fragebögen erweitert.
Im Zentrum der Datenerhebung steht die Organisationseinheit der Krankenhausstation. Pro Klinik können auch mehrere Stationen teilnehmen. Die Organisation vor Ort wird von Ärzten, Pflegekräften, Ernährungsfachkräften oder Ernährungsteams übernommen. Wenn alle Berufsgruppen einbezogen werden und sich aktiv beteiligen, kommt auf vielen Stationen erstmals eine interprofessionelle Diskussion über die krankheitsassoziierte Mangelernährung in Gang.
Die Erhebung findet europaweit an einem Tag statt - in diesem Jahr war der 31. Januar der nutritionDay. Dokumentiert werden anhand anonymisierter Fragebögen Organisation und Struktur der Station (Bogen 1), Patientenprofil und ernährungstherapeutische Maßnahmen (Bogen 2) sowie Essverhalten des Patienten und individuelle Nahrungsaufnahme am nutritionDay (Bogen 3). Die direkte Befragung der Patienten zu ihrem Essverhalten ist einzigartig für den nutritionDay. Die Fragebögen sind in 27 Sprachen verfügbar.
In einer zweiten Erhebungsstufe wird einen Monat nach dem nutritionDay (auf der Intensivstation nach 60 Tagen, im Pflegeheim nach 6 Monaten) für jeden Patienten das Outcome (wie Entlassung nach Hause oder ins Heim, Wiederaufnahme oder Mortalität) dokumentiert. Das ermöglicht es, das Essverhalten mit dem Outcome zu verknüpfen.
Fast jeder zweite Patient hat ungewollt abgenommen
Nach Abschluss der Auswertung erhält jede Station einen individuellen Bericht. Dieser enthält neben den eigenen Ergebnissen auch die Daten der anderen Teilnehmer aus der gleichen Fachrichtung und ermöglicht so einen Vergleich. Bei wiederholter Teilnahme am nutritionDay lässt sich beispielsweise auch die Effizienz von neu eingeführten Maßnahmen zur Ernährungsversorgung beurteilen. In diesem Sinne ist eine jährliche Teilnahme ein Instrument zur Qualitätssicherung.
Insgesamt haben in den drei Jahren seit dem Projektbeginn 1970 Stationen aus 30 Ländern teilgenommen und 53 367 Patienten evaluiert. Deutschland brachte in diesem Zeitraum mit 8 167 Patienten europaweit eine der größten Untersuchungsgruppen ein.
Vielfach wird als Indikator zur Beurteilung einer Mangelernährung bzw. eines entsprechenden Risikos der Body Mass Index (BMI) herangezogen. Die evaluierten europäischen Patienten haben im Mittel einen BMI von 25,4 ± 6 kg/m², übergewichtig sind 22 Prozent. Dieses Ergebnis ähnelt dem anderer Untersuchungen in Europa. Es sollte allerdings nicht zur Annahme verleiten, dass die stationär aufgenommenen Patienten normalgewichtig oder sogar übergewichtig sind. In geriatrischen, onkologischen und infektiologischen Abteilungen haben zwischen 10 und 15 Prozent der Patienten einen BMI unter 18,5 kg/m² und sind damit nach der WHO-Definition mangelernährt.
Fast jeder zweite Patient gibt an, er habe vor der stationären Aufnahme ungewollt abgenommen. In Deutschland sagen das 44,7 Prozent der Teilnehmer. Insbesondere für diese Patienten besteht das Risiko, eine Mangelernährung zu entwickeln.
Nicht einmal jeder zweite Patient isst am nutritionDay das Mittagessen vollständig auf. Die Patienten essen wenig, weil sie keinen Appetit haben (26,3 Prozent) oder weil ihnen übel ist (7,8 Prozent). Als Ursachen werden die Krankheit und das "im Krankenhaus sein" angegeben. Essen die Patienten gar nicht, geschieht das überwiegend aus organisatorischen Gründen (z. B. erforderliche Nüchternheit für Untersuchungen).
Bei Patienten, die wenig essen, erhöht sich die Mortalität drastisch: Wird nur die Hälfte gegessen, steigt die Mortalität nach einem Monat von 1,3 auf 2,4 Prozent, bei jenen, die weniger als ein Viertel bzw. gar nichts essen, auf 5,5 bzw. 5,7 Prozent.
Diese Ergebnisse sollten dazu führen, dass Ernährungszustand und Nahrungszufuhr als Indikatoren für ein schlechtes Outcome ernst genommen sowie als Mittel der Qualitätssicherung konsequent erhoben und dokumentiert werden. Dann lassen sich Risikopatienten frühzeitig auch ernährungstherapeutisch betreuen.
Dr. Tatjana Schütz ist Koordinatorin des nutritionDay in Deutschland.
Dr. Karin Schindler und Karin Steininger leiten das nutritionDay-Studienzentrum in Wien.
Informationen
Der nächste nutritionDay findet am 29. Januar 2009 statt. Teilnehmen können alle Stationen in Krankenhäusern, auch Intensivstationen, sowie Alten- und Pflegeheime. Die Unterlagen zur Registrierung gibt es unter www.nutritionday.org.