Niedersachsen
Großes Interesse am Studiengang, doch wie viel verdienen „Physician Assistants“?
Ab September werden auch in Niedersachsen Physician Assistants ausgebildet. Hausärzte sehen in ihren Praxen wenig Bedarf für deren Einsatz. Und es gibt noch viele offene Fragen bei der Honorierung.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Papenburg. Im September geht in Niedersachsen erstmals ein Studiengang für Physician Assistants (PA) an den Start. Die Absolventen sollen auch in Hausarztpraxen arbeiten können. Beteiligt ist das Ludmillenstift in Meppen und die Hausarztpraxis vom Dr. Volker Eissing in Papenburg mit jeweils einem Campus für insgesamt 35 Studierende und die Hamburger Carl Remigius Medical School. Die Frage ist nur, ob die Praxen Interesse haben.
Der niedersächsische Hausärzteverband ist jedenfalls zurückhaltend. Zudem ist die Finanzierung ungeklärt. Noch müssen Praxischefs ihre PA aus dem Budget bezahlen.
Berufsbegleitendes Studium
„Das Interesse ist riesig“, sagt indessen Eissing der „Ärzte Zeitung“. Für die 35 Plätze des ersten Jahrgangs zählt er bereits 70 Interessierte. Dabei habe es nur einen einzigen Artikel in der örtlichen Presse über das neue Studienangebot gegeben. „Wenn die KV das Angebot an ihre Mitglieder rausschickt, werden es noch viel mehr Interessierte aus den Praxen geben“, glaubt Eissing. Medizinische Fachangestellte aus dem ambulanten Bereich, die sich auf Hochschulniveau weiterqualifizieren wollen, können also weiterhin in ihrem Beruf bleiben. Das berufsbegleitende Studium dauert drei Jahre und endet mit dem Abschluss Bachelor of Science.
Anders als bei den bisherigen Studienangeboten zum PA wird es im Papenburger Projekt keinen Blockunterricht geben, sondern nur einen berufsbegleitenden Studientag. Den Rest der Zeit können die Studierenden in ihren Einrichtungen arbeiten, also zum Beispiel in den Praxen. Die Abwesenheitszeiten der Studierenden werden so für den Praxischef berechenbar, meint Eissing. Dafür entfallen die Semesterferien. Der Studiengang ist Kandidaten aus Gesundheitsfachberufen vorbehalten.
Lösung für Fachkräftemangel?
„Mit dem neuen Studiengang können wir dem akuten Fachkräftemangel entgegenwirken, der schon jetzt zu Versorgungsengpässen in ländlichen Regionen führt“, sagt Wilhelm Wolken, Geschäftsführender Verwaltungsdirektor des Krankenhauses Ludmillenstift. „Zugleich können wir so unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitsfachberufen weiterentwickeln.“
Auch Landarztpraxen dürften vielerorts wegen der angespannten Versorgungslage PA einstellen wollen, zeigt Eissing sich sicher. „Wir als Ärzte können Aufgaben an die PA delegieren und haben selber die Hände frei für Diagnose und Therapie.“ In Eissings Praxis arbeiten sechs PA. Sie betreuen unter anderem die 147 MS-Patienten der Praxis, viele Rheuma-Patienten und kennen sich auch mit der bildgebenden Diagnostik aus, berichtet Eissing: „Wenn wir die PA haben, können wir mit der Realität leben, dass wir vor allem auf dem Land immer weniger Ärzte und immer mehr und ältere Patientinnen und Patienten haben.“
Ein Drittel interessiert sich für Arbeit in der Praxis
Tatsächlich interessieren sich rund ein Drittel der Erstsemester des PA-Studiums für eine Arbeit im niedergelassenen Bereich, schätzt Professor Peter Heistermann, Vorsitzender des Deutschen Hochschulverbandes Physician Assistants und stellvertretender Studiengangleiter an der Düsseldorfer Fliedner Fachhochschule, von den Erstsemestern seiner Studienstätte.
Allerdings greife kaum eine Praxis auf die neuen Fachkräfte zu, gerade mal zehn Prozent der Absolventen landeten in einer Praxis, sagt Heistermann: „Denn die Finanzierung ist ungeklärt. Die Praxen müssten ihre PA aus dem Budget bezahlen.“ Deshalb seien ambulant arbeitende PA meistens in MVZ oder größeren Facharztpraxen zu finden. „Für Hausärzte dagegen sind sie schwer zu finanzieren“, sagt Heistermann.
Honorarfrage ungeklärt
Wie die Arbeit der PA honoriert werden soll, ist in der Tat ungeklärt. In Eissings Praxis erhalten die PA doppelt so viel Gehalt wie die MFA, wie der Hausarzt berichtet. Darum ist er an die KV Niedersachsen (KVN) heran getreten und hat sich vor dem Hauptausschuss dafür stark gemacht, 500 Fälle mehr zu erhalten, bevor abgestaffelt wird; das bedeutete in Niedersachsen eine Obergrenze von 1850 Fällen statt von 1350 Fällen. „Unsere Fallzahlen auf dem Land liegen ja deutlich höher als die 913 Fälle, die die KVN landesweit vorsieht“, sagt Eissing. „Eher bei 2000 Fällen.“
Die KV Niedersachsen ist skeptisch. Sie kann sich eher eine neue EBM-Ziffer vorstellen als den HVM anzutasten, wie Detlef Haffke sagt, Sprecher der KVN. „Es gibt Gespräche dazu mit der KBV.“ Denn eine entsprechende EBM-Ziffer würde frisches Geld für die Praxen mit PA bedeuten, während eine Änderung des HVM auch Verluste für die Praxen brächte, die mit PA nichts zu tun haben, so Haffke.
Hausärzte sehen wenig Bedarf
Bleibt die Frage, ob sich etwa Hausärzte PA in die Praxis holen würden. Dr. Matthias Berndt, Vorsitzender des niedersächsischen Hausärzteverbandes, bleibt zurückhaltend. Er sehe „aktuell wenig Bedarf zusätzlich zu VERAH und NäPa, insbesondere, wenn diese noch Zusatzqualifikationen erworben haben“, so Berndt auf Nachfrage. So seien die meisten Hausärzte mit ihren NäPa und VERAH sehr zufrieden. Außerdem verweist Berndt auf die ungeklärte Finanzierung. Die Kassen würden sich im Falle einer neuen EBM-Ziffer sehr genau überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben, so Berndt. Und eine Änderung des HVM wäre „auf´s Schärfste abzulehnen.“
Grundsätzlich stelle sich allerdings die Frage, wie man mit dem „Megatrend Akademisierung allgemein und insbesondere von Hebammen, Pflegeberufen und jetzt MFA“, umgehe, so der Hausärzte-Chef. Er könne zusätzlich gute Mitarbeiter bedeuten. Unklar sei aber, wer wirklich geeignet sei und welche Weiterbildung den Praxen am gerechtesten werde. Berndt: „Ich bin gespannt und wünsche dem Projekt viel Glück.“ (cben)
Physician Assistant – ohne spezifisches Curriculum keine Option zur Entlastung der Hausärzte
Die Ausbildung zum Physician Assistant (PA) in Deutschland ist so angelegt, dass derzeit alle 450 beruflich tätigen PA im stationären Bereich arbeiten. Sollten künftig PA wie in anderen Ländern auch als Unterstützung bei Primärärzten eingesetzt werden, müsste hierfür ein spezifischer Studienplan entwickelt werden.
Update 14.7.: Im Absatz zuvor hieß es initial „... auch als Primärärzte eingesetzt werden ...“. Das war missverständlich formuliert, da PA Primärärzte unterstützten soll.
So lautet das Fazit einer explorativen Studie, die Dr. Uwe Popert und die derzeit in der Ausbildung zur MFA befindlichen Sannam Iqbal-Ochs in ihrer Hausarztpraxis in Kassel vorgenommen haben und deren Ergebnisse in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin (2020; 96 (6); 252-256) veröffentlicht wurden.
In einer ersten Phase wurden hierfür die Studiengangprofile der derzeit vorhandenen 600 Studienplätze an 15 verschiedenen Standorten auf den einzelnen Websites der Hochschulen gesichtet und die relevanten Rahmendaten zusammengetragen. Danach wurden jeweils halbstündige teilstrukturierte Telefoninterviews mit den jeweiligen Studienkoordinatoren geführt.
Im nächsten Schritt erfolgte eine Gegenüberstellung der Curricula des PA-Studiums mit denen der der MFA-Ausbildung und denen der VERAH- und NäPa-Weiterbildungen. Und schließlich wurden alle Daten von Professor Peter Heistermann in seiner Funktion als Vorsitzender des Deutschen Hochschulverbands für Physician Assistans (DHPA) verifiziert.
So sehen die Ergebnisse aus
Das 2005 in Berlin erstmals angebotene Studium dauert an allen Hochschulen 6 Semester – zumeist als duales Vollzeitstudium. An einer Hochschule kann es aber auch als Vollstudium in acht Semestern studiert werden. Drei Hochschulen bieten an unterschiedlichen Standorten das PA-Studium allerdings auch als berufsbegleitende Ausbildung an.
Die Studiengebühren an den privaten Hochschulen bewegen sich zwischen 14 .000 und 29 .000 Euro. Die Kosten werden allerdings zumeist von den Kliniken übernommen, bei denen die Studierenden schon angestellt sind und wo sie dann auch als PA übernommen werden sollen.
Die angehenden PA durchlaufen während des Studiums verschiedene Praxisphasen an zuvor bekannten Kooperationskliniken. Zeitpunkt, Dauer und Strukturierung dieser Praxiseinsätze sind aber höchst unterschiedlich geregelt.
Die Studienschwerpunkte sind eindeutig auf einen Einsatz im stationären Bereich ausgerichtet. Schwerpunkte sind dabei unter anderem die Chirurgie, die Innere Medizin, die Anästhesie oder auch die Intensivmedizin. Für den hausärztlichen Bereich wesentliche Tätigkeitsschwerpunkte wie Praxismanagement, Wundversorgung oder EBM/GOÄ werden hingegen bislang nicht vermittelt.
Ambulantes Curriculum wird konzipiert
Laut DHPA wird allerdings nun ein Curriculum für den ambulanten Bereich konzipiert. Erst wenn dadurch die Voraussetzungen für einen Einsatz im hausärztlichen Bereich geschaffen werden und dabei auch die Vergütungsfragen für einen PA geklärt sind, könnte ein Einsatz in der ambulanten Medizin erfolgen, so Iqbal-Ochs und Popert. Kurz- und mittelfristig sei der PA nicht als eine „bevorzugte Maßnahme zur Bekämpfung des Hausärztemangels“ zu sehen.
Weit besser zur Delegation und Substitution hausärztlicher Tätigkeiten werden von den Autoren hingegen die Ausbildungsinhalte der MFA und vor allem die Weiterbildungspotenziale der VERAH oder NäPa angesehen. Die Auswahl ist mit derzeit rund 300 .000 qualifizierten MFA hierbei auch deutlich größer als die derzeit verfügbare Zahl von 600 PA-Studenten.
Der Physician Assistant (PA) wurde bereits Mitte der 60er Jahre in den USA ins Leben gerufen und ist dort heute weit verbreitet. 50 Prozent der PA arbeiten in den USA stationär, 30 Prozent in Privatpraxen und jeder fünfte in Allgemein- und Familienmedizinpraxen. Seit 2001 sind PA auch in den Niederlanden tätig und werden dort sowohl in der primären, sekundären und tertiären Versorgung eingesetzt. In Großbritannien sind PA seit 2003 – im ambulanten wie im stationären Bereich – zu finden. In Deutschland hingegen sind bislang alle 450 PA ausschließlich im stationären Bereich tätig. (ras)