Urteil
Pflegekammer Niedersachsen darf sich nicht einseitig äußern
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg rügt eine Pressemitteilung der Pflegekammer Niedersachsen. Nach Einschätzung der Kammer sei diese zu einseitig.
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Öffentliche Äußerungen müssen alle wichtigen in der Kammer vertretenen Positionen widerspiegeln, entschied das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg.
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Lüneburg. Als öffentlich-rechtliche Körperschaften dürfen sich die Pflegekammern nicht einseitig äußern – auch dann nicht, wenn es um die hoch umstrittene eigene Existenz geht.
Öffentliche Äußerungen müssen alle wichtigen in der Kammer vertretenen Positionen widerspiegeln, wie das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg entschied. Danach muss die Pflegekammer Niedersachsen eine einseitige Pressemitteilung gegen ihre Auflösung von ihrer Homepage nehmen.
Ähnlich anderen öffentlich-rechtlichen Kammern, im Gesundheitsbereich etwa für Ärzte oder Apotheker, sollten die Pflegekammern eine einheitliche und selbstverwaltete Interessenvertretung der Pflegeberufe bilden und beispielsweise Aus- und Weiterbildung in den Pflegeberufen vereinheitlichen.
Gleichzeitig sollten sie die Pflege stärker in das Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit rücken. Ihre Einrichtung war 2004 von dem 1998 gegründeten Deutschen Pflegerat empfohlen worden.
Akzeptanzproblem der Pflegekammern
Vor allem wegen der damit verbundenen Zwangsmitgliedschaft war dies bei den Pflegekräften hoch umstritten. Letztlich wurden nur drei Pflegekammern gegründet: 2014 in Rheinland-Pfalz, 2015 in Schleswig-Holstein und 2016 in Niedersachsen.
Mit Blick auf die Akzeptanzprobleme hatte Niedersachsen eine Online-Befragung eingeleitet, an der 15.100 der 78.000 Mitglieder – das sind 19,4 Prozent – teilnahmen. Davon sprachen sich 70,6 Prozent gegen und nur 22,6 Prozent für den Fortbestand der Kammer aus. Sozialministerin Carola Reimann (SPD) kündigte daraufhin die Auflösung der Pflegekammer an.
Darauf reagierte am 7. September 2020 die Pflegekammer mit der nun wieder von der Homepage genommenen Presseerklärung „Pflege darf nicht stumm geschaltet werden“. Darin verwies die Kammer auf ihre Aufgaben und Bedeutung. Das Befragungsergebnis sei ein „Minderheitenvotum“; angesichts der geringen Beteiligung hätten sich letztlich nur 13,7 Prozent der Mitglieder gegen den Fortbestand der Kammer ausgesprochen.
Eines der Mitglieder sah sich damit nicht wirklich vertreten. Vor Gericht verlangte es, dass die Kammer diese Pressemitteilung aus dem Netz nimmt. Wie zuvor schon das Verwaltungsgericht Hannover gab nun auch das OVG Lüneburg statt.
Pflichtmitgliedschaft verpflichtet zur Sachlichkeit und Objektivität
Zur Begründung verwies das Gericht auf die Pflichtmitgliedschaft der Pflegekräfte. Dies unterscheide eine Kammer deutlich von freien Verbänden. Öffentliche Äußerungen müssten daher „sachlich und objektiv sein“ und das „Gesamtinteresse der Kammermitglieder“ vermitteln. „Inhalt der Äußerungen darf kein Teil- und auch kein Mehrheitsinteresse sein.“
„Im Falle höchst umstrittener Fragen“ müsse die Pflegekammer auch Minderheitsauffassungen offenlegen, forderte das OVG. Solange sich die Kammer zu einer grundlegenden Frage noch gar keine Gesamtmeinung gebildet habe, dürfe der Vorstand gar keine eigenen Positionen vertreten, sondern müsse Beschlüsse der gewählten Kammerversammlung abwarten.
Dies treffe hier auf den Streit um den Fortbestand der Kammer zu. Die Pressemitteilung sei zudem einseitig und teils sogar unsachlich gewesen und dürfe daher nicht auf der Homepage der Kammer bleiben, entschied das OVG Lüneburg. Zuvor hatte das OVG die Gründung der Kammer und die damit verbundene Zwangsmitgliedschaft als rechtmäßig bewertet.
Streit auch bei IHKen
Einen langjährigen Streit um politische Äußerungen gibt es auch bei den öffentlich-rechtlichen Industrie- und Handelskammern (IHKen). In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass diese sich nicht einseitig und nur zu die Mitglieder betreffenden Fragen äußern dürfen.
Zuletzt urteilte das Bundesverwaltungsgericht am 14. Oktober 2020, dass die IHK Nord Westfalen aus dem IHK-Dachverband DIHK austreten muss, weil dieser sich fortlaufend über seine Kompetenzen hinaus zu politischen Fragen geäußert hatte.
Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Az.: 8 ME 99/20