Bosnienkrieg

20 Jahre nach Kriegsende leiden Frauen weiter

Im Bosnienkrieg wurden tausende Frauen vergewaltigt. Unter den Folgen leiden viele von ihnen heute noch massiv, zeigt eine Studie.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
März 1993: Zwei muslimische Frauen suchen Hilfe in einem Psychiatriehospital in Tuzla.

März 1993: Zwei muslimische Frauen suchen Hilfe in einem Psychiatriehospital in Tuzla.

© Euler / AP Images / Picture Alliance

KÖLN. Während des von 1993 bis 1995 dauernden Krieges in Bosnien und Herzegowina wurden zwischen 20.000 und 50.000 Frauen und Mädchen Opfer von Vergewaltigungen.

Auch 20 Jahre nach Ende des Krieges leiden viele von ihnen nach wie vor unter den physischen und psychischen Folgen. Die Frauen brauchen dringend Unterstützung, Beratung und Therapie.

"Nach wie vor müssen wir uns mit dem Leid der Überlebenden befassen. Denn für sie sind die Folgen der Gewalt noch lange nicht vorbei", betonen Dr. Monika Hauser, Gründerin der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale und ihrer bosnischen Partnerorganisation Medica Zenica, und Sabiha Husic, Leiterin von Medica Zenica.

Die beiden Organisationen haben jüngst in Deutschland die Ergebnisse einer Untersuchung veröffentlicht: "Wir wurden verletzt, doch wir sind mutig und stark - eine Studie zu Langzeitfolgen von Kriegsvergewaltigungen und zu Bewältigungsstrategien von Überlebenden in Bosnien und Herzegowina".

Denn zu den Folgen von Kriegsvergewaltigungen gibt es nach Angaben der beiden Organisationen bislang kaum systematische Forschung. Mit der Untersuchung wollen sie helfen, die Lücke zu schließen.

Schlechter Gesundheitszustand

Speziell ausgebildete Mitarbeiterinnen von Medica Zenica haben von Juni 2013 bis Februar 2014 insgesamt 51 betroffene Frauen im Alter zwischen 33 und 81 Jahren befragt, die sich zur Beteiligung an dem Forschungsprojekt bereit erklärt hatten.

Dabei handelte es sich um einen Teil der 119 Frauen, die während des Krieges und danach Unterstützungsangebote des Therapiezentrums angenommen hatten.

Die Forscherinnen weisen darauf hin, dass die Ergebnisse der Befragung sich nicht ohne Weiteres auf alle Überlebenden von Kriegsvergewaltigungen übertragen lassen.

Die Befragung zeigt aber, wie schlecht die körperliche und seelische Verfassung der Frauen auch zwei Jahrzehnte nach den Vergewaltigungen ist. 93,5 Prozent haben gynäkologische Probleme, 58 Prozent haben vier oder mehr gynäkologische Symptome.

Die häufigsten sind unkontrollierbares Wasserlassen (53 Prozent), Schmerzen im Unterbauch (49 Prozent) und Vaginismus (44 Prozent).

Starke Schlafprobleme und Gedanken an den Tod

57 Prozent der Frauen leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, 76 Prozent haben starke Schlafprobleme und 40 Prozent berichten von häufigen Gedanken an Tod und Sterben.

"Diese Resultate zeigen klar die destruktiven Langzeiteffekte von Kriegsvergewaltigungen für Überlebende, die besonders auch deshalb alarmierend scheinen, da es sich bei den Studienteilnehmerinnen um Frauen handelt, die alle von einer Vielzahl von psychosozialen Unterstützungsangeboten von Medica Zenica profitiert und diese als sehr hilfreich beschrieben hatten", heißt es in der Studie.

85 Prozent der Frauen gehen nach wie vor regelmäßig zu Ärzten, vor allem Gynäkologen, Psychiatern, Neurologen oder Psychologen. "65 Prozent nehmen regelmäßig Medikamente ein, die Hälfte von ihnen bereits seit Ende des Krieges."

Von den Letzteren nehmen 91 Prozent Psychopharmaka, zum Teil in Kombination mit kardio-vaskulären Arzneimitteln oder mit Hormonregulatoren. Die Befragung zeigt, wie häufig die Beziehung der Frauen zu ihren Familien durch die Vergewaltigungserfahrungen beeinträchtigt ist.

Sie leiden zudem unter dem Gefühl mangelnder sozialer Anerkennung und fehlender Unterstützung. Erschwert wird die schwierige Situation noch dadurch, dass viele Täter nicht bestraft wurden.

Fortbildungen empfohlen

Untersucht haben die Forscherinnen auch, wie die bosnische Gesellschaft mit den Opfern von Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalt umgeht, welche Bewältigungsstrategien die Frauen entwickelt haben und welche Bedeutung die Unterstützung durch Medica Zenica für sie gehabt hat.

Zu den Empfehlungen, die Medica Mondiale und Medica Zenica aus der Studie ableiten, gehört neben einem anderen gesellschaftlichen und juristischen Umgang mit dem Thema der Kriegsvergewaltigung die Schaffung von Beratungsangeboten für die Frauen und ihre Familien und von traumasensiblen Unterstützungsangeboten.

"Alle im Gesundheitsbereich tätigen Berufsgruppen sollten regelmäßige Fortbildung über die Wirkung von Traumata (durch Kriegsvergewaltigung) auf die Gesundheit erhalten und darüber informiert werden, wie sie in ihrer Arbeit einen traumasensiblen Ansatz umsetzen können."

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Herausforderung Klimawandel

Reha macht sich nachhaltig

Engagement für Reanimation

Ian G. Jacobs Award für Bernd Böttiger

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

SUMMIT-Studie

Tirzepatid auch erfolgreich bei Herzinsuffizienz-Therapie

Lesetipps
Eine schwangere Frau sitzt auf dem Fussboden ihres Wohnzimmers und liest die Packungsbeilage eines Medikaments. 

Usage: Online (20210812)

© Christin Klose / dpa Themendiens

Neurologische Entwicklungsstörungen

Epilepsie in der Schwangerschaft: Start mit Lamotrigin empfohlen

Ordner auf dem Bildschirm

© envfx / stock.adobe.com

Forschungsbürokratie darf nicht ausufern

Krebsmedizin will neuen Digitalisierungsimpuls setzen

Die Freude, den Krebs besiegt zu haben, kann später getrübt werden. Nicht selten erleben ehemalige Patienten Diskriminierungen.

© picture alliance / Westend61 | ANTHONY PHOTOGRAPHY

Tagung der Vision Zero Oncology

Krebs nach Heilung: Jung, genesen, diskriminiert