Psychologe zur Terrorangst

"Ablenkung besser als Vermeidung"

Genau 14 Tage liegen die Terroranschläge in Paris zurück. Bei vielen bleibt die Angst. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erklärt Diplom-Psychologe Dr. Jens Hoffmann, wie diese verarbeitet werden kann - und wann Hilfe nötig ist.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Die Betroffenheit nach den Anschlägen in Paris ist groß: Auch in Berlin haben zahlreiche Menschen Blumen niedergelegt.

Die Betroffenheit nach den Anschlägen in Paris ist groß: Auch in Berlin haben zahlreiche Menschen Blumen niedergelegt.

© A. Aswestopoulos / picture Alliance / dpa

Ärzte Zeitung: Nach den Anschlägen in Paris, zahlreichen Polizeieinsätzen und Meldungen von Terrorwarnungen in Brüssel und Hannover spüren viele Menschen eine große Unsicherheit und Angst. Inwiefern greifen die Anschläge in Paris mehr in unseren Alltag ein, als es bisherige Anschläge getan haben?

Dr. Jens Hoffmann: Die empfundene Unsicherheit oder Angst ist zunächst einmal eine völlig normale Reaktion auf dieses ungewöhnliche Geschehen. Was die Betroffenheit hierzulande größer macht als bei vorherigen Terroranschlägen, ist die geografische Nähe.

Passiert etwas in Afrika, dem Nahen Osten oder auch Amerika, so ist das gefühlt weiter weg. Durch den Anschlagsort Paris ist die Bedrohung plötzlich ganz nah. Hinzu kommt, dass sich Anschläge bisher gegen eine spezielle Gruppe von Menschen gerichtet haben - Politiker oder Satiriker etwa, wie bei den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo.

Dadurch hat man sich bisher sicher gefühlt. Doch dieses Sicherheitsgefühl ist jetzt zutiefst erschüttert: Die Anschläge haben Menschen getroffen, die ihrem normalen Freizeitleben nachgegangen sind.

Dr. Jens Hoffmann

'Ablenkung besser als Vermeidung'

© IPBM

Der Diplom-Psychologe leitet das Institut Psychologie & Bedrohungsmanagement (IPBM) in Darmstadt.

Er ist Geschäftsführer des „Team Psychologie & Sicherheit“, einem Verbund von Kriminal- und ehemaligen Polizeipsychologen, und wurde 2002 von Europol in die Experten-Datenbank fürPolizeikräfte aufgenommen.

Heißt das, dass das eigene Freizeitleben aufgrund der akuten Gefahr eingeschränkt und etwa Großveranstaltungen gemieden werden sollten?

Hoffmann: Nicht unbedingt. Die Angst, dieses mulmige Gefühl im Bauch, das sind zunächst einmal evolutionär bedingte Reaktionen. Unsere Vorfahren hat dies oftmals das Leben gerettet.

Angst löst ein Fluchtverhalten aus - das spüren viele auch heute. Das muss erkannt und gewürdigt werden. Wir sollten überlegen, welche Konsequenzen etwa der Besuch einer Großveranstaltung haben kann und wie hoch das Risiko sein könnte.

Aber: Dies sollte keinesfalls zu einer langfristigen Vermeidungsstrategie führen.

Wie schafft man es, diesen Angstgefühlen vor einem potenziellen Anschlag zu entkommen?

Hoffmann: Es ist wichtig, nicht ständig über die Konsequenzen einer solchen Tat nachzudenken. Auch Videos, wie man sie etwa im Internet findet, sollten nicht angesehen werden.

Rationale Aufklärung - also etwa, die Nachrichten zu sehen - kann helfen, die Angst in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus aber immer mehr und mehr Details herausfinden zu wollen, Augenzeugenberichte zu lesen, Videos und Fotos der Opfer anzusehen, das wirkt kontraproduktiv.

Da kann es besser sein, sich abzulenken und die Gedanken auf Positives zu lenken.

Ab welchem Zeitpunkt sollten sich Betroffene Hilfe suchen?

Hoffmann: Die Unsicherheit selbst ist erst einmal nicht pathologisch. Auch wenn ich mich dazu entscheide, den Weihnachtsmarkt in diesem Jahr nicht zu besuchen, ist das normal.

Wenn Menschen aber merken, dass die Angst immer mehr den Alltag dominiert und die Gedanken immer wieder um einen möglichen nächsten Anschlag kreisen, dann sollte sich Unterstützung gesucht werden.

Auch wenn sie besonders lange anhält, ist es Zeit für psychologische Hilfe.

Wie wird Terrorangst aufgearbeitet?

Hoffmann: Hier muss zwischen Menschen, die einen solchen Anschlag miterlebt haben, und solchen, die aufgrund der Medienberichte Angstgefühle verspüren, unterschieden werden. Direkt Betroffene sollten sich in jedem Fall Hilfe suchen.

Wir wissen heute, dass diese sogenannten Man-made-Traumata, also von Menschen ausgelöste Traumata, wesentlich schwerer zu verarbeiten sind als etwa Traumata nach Naturkatastrophen. Hier kann es sinnvoll sein, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

Für Angstpatienten, die die Unsicherheit aufgrund der aktuell angespannten Lage verspüren und nicht, weil sie einen Anschlag miterlebt haben, ist es wichtig, die eigene Bewertung der Ereignisse wieder gerade zu rücken.

Ein anderer Blick kann zeigen: Ein solcher Anschlag kann zwar passieren, ist aber doch relativ selten.

Heute liegen die Anschläge genau zwei Wochen zurück. Was glauben Sie: Bleibt der Terror - und damit die Angst - ein Thema, das beschäftigt?

Hoffmann: Das hängt in erster Linie davon ab, wie sich die Situation in Europa weiterentwickeln wird. Beruhigt sie sich, so wird das Thema in naher Zukunft sicher schnell nachlassen.

Erreichen uns aber neue Meldungen - etwa auch, dass gezielte Anschläge verhindert werden konnten, wie es in Hannover der Fall war -, dann könnte sich die Unsicherheit noch verschärfen.

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