Germanwings-Absturz

Ärztliche Schweigepflicht im Fokus

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PARIS. Die französische Untersuchungsbehörde BEA hat als Konsequenz aus dem Germanwings-Absturz international klare Regeln gefordert, wenn die Gesundheit eines Patienten die öffentliche Sicherheit gefährdet.

Damit sollten Gesundheitsdienstleister aufgefordert werden, die entsprechenden Behörden zu informieren, heißt es im Abschlussbericht, der am Sonntag in Le Bourget bei Paris vorgelegt wurde. Bisher sei die ärztliche Schweigepflicht von Land zu Land unterschiedlich geregelt.

Der Germanwings-Copilot Andreas Lubitz (27) hat vor dem Unglücksflug nicht über seine Krankschreibung informiert. Nach Überzeugung der Ermittler hat der Copilot den Airbus A320 am 24. März 2015 in den französichen Alpen absichtlich zum Absturz gebracht. Alle 150 Menschen starben.

Nach dem Willen eines Arztes sollte Lubitz in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt werden. Der Mediziner habe am 10. März - also zwei Wochen vor dem Airbus-Absturz - eine mögliche Psychose diagnostiziert und eine Einweisung empfohlen. Das geht aus dem Abschlussbericht hervor.

Mängel aufgedeckt

Der Bericht zum Flugzeug-Absturz zeigt nach Ansicht des Anwalts der Opfer deutliche Mängel auf bei der Auswahl, der Einstellung und der Überwachung des verantwortlichen Co-Piloten.

"Der Lufthansa-Konzern hat einen psychisch krankhaft vorbelasteten Pilotenanwärter eingestellt und ausgebildet, ein Fehler mit schrecklichen Folgen", kritisierte Anwalt Christof Wellens am Sonntag auf Anfrage.

Außerdem sei der Mann trotz einer eingeschränkten Flugerlaubnis wegen seiner Vorerkrankung nicht mehr psychiatrisch untersucht worden.

Die Untersuchungsbehörde BEA verzichtet auf Empfehlungen für Veränderungen an verschlossenen Cockpit-Türen. Die Türen seien wegen der Gefahr einer terroristischen Bedrohung gesichert, sagte BEA-Chef Rémi Jouty am Sonntag in Le Bourget bei Paris während der Präsentation des Abschlussberichtes zu der Katastrophe.

Viele Fluglinien haben inzwischen eine Regelung eingeführt, nach der stets eine zweite Person im Cockpit sein muss. Diese zweite Person sollte aus Vertrauensgründen zuvor ausgewählt werden, sagte Jouty. (dpa)

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Kommentare
Dr. Fritz Gorzny 14.03.201623:21 Uhr

Was war mit den Augen?

Angebkich war der Pilot wenige Wochen mehrfach in augenärztlicher Behandlung. Welche Diagnosen wurden gestellt? Es gibt in seltenen Fällen Zusammenhänge zwischen Sehstörungen und psychotischen Verhalten. Auch hier wäre eine Veröffentlichung der Befunde hilfreich bei der Ursachenerforschung.

Dr. Jürgen Thorwart 14.03.201620:36 Uhr

Konsiliarische Beratung = Bruch der Schweigepflicht!

Sehr geehrte Frau Menges,

auch die konsiliarische Mitteilung wie von Ihnen vorgeschlagen ist ein Bruch der Schweigepflicht. Selbstverständlich gilt die Schweigepflicht auch unter ÄrztInnen! Das war vor 35 Jahren noch anders, als ich begann mich mit diesem Thema zu beschäftigen (www.schweigepflicht-online). Heute ist die Weitergabe von Patientendaten an andere Behandler nur mit der Einwilligung der PatientInnen zulässig, im Ausnahmefall auch bei einer Auftragsüberweisung (hier vom beauftragten Arut zum beauftragenden Arzt). Im Krankenhaus ist ebenfalls eine Zustimmung erforderlich, die auch konkludent (stillschweigend) erfolgen kann.

Alles andere sind Straftaten (§ 203 StGB)!

Die Vorstellung mit einer Lockerung der Schweigepflicht solche Fälle verhindern zu können ist eine Illusion. Und solche machen wir uns vor allem dann ''gerne'', wenn es eigentlich darum ginge, Ohnmacht auszuhalten.
Dem widerspricht nicht, daß die Schweigepflicht im Einzelfall bei Abwägung der Schutzgüter und zur Abwehr einer konreten, unmittelbar drohenden Gefahr gebrochen werden kann (§ 34 StGB: rechtfertigender Notstand). Und dazu würde ich raten! Denn mit einer moralischen (nicht juristischen) Schuld zu leben, nichts unternommen zu haben, scheint mir höchst schwierig. Die Entscheidung wann die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands vorliegen ist nicht immer einfach zu treffen - hier ist juristischer Beistand zu empfehlen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jürgen Thorwart
PP, Psychoanalytiker
www.schweigepflicht-online.de

Dr. Dorothea Menges 14.03.201616:05 Uhr

Schweigepflicht und konsiliarische Beratung unter Ärzten

Weshalb man das Thema Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht gleich an der Information bzw. Meldepflicht gegenüber Behörden aufhängen muss, ist mir schleierhaft.
Es würde zunächst einmal genügen, wenn Psychiater eine ausführliche Berufsanamnese machen und bei Berufen mit hohem Gefährdungspotential den für Tauglichkeitsuntersuchungen zuständigen Arbeitsmediziner/Betriebsarzt/Verkehrsmediziner/Flugarzt informieren. Und dies auf dem kurzen Dienstweg, wie es auch bei konziliarischen Beratung unter Ärzten üblich ist, zunächst ohne Einschaltung irgendwelcher Behörden. Dann kann immer noch anhand des Befundes gemeinsam entschieden werden, ob eine Meldepflicht besteht oder nicht.
Allseits bekannt dürfte sowohl Psychiatern als auch Betriebsärzten sein, dass bei Vorliegen einer einer akut behandlungsbedürftigen Depression (mit suizidalen Tendenzen) kein Verlass darauf sein kann, dass sich der Patient/Mitarbeiter an die Empfehlungen hält. Weiterhin dürfte -noch aus der Pharmakologie- allen behandelnden Ärzten bekannt sein, dass besonders bei Einleitung einer Therapie mit Antidepressiva -besonders bei jungen Patienten in der Anfangsphase- die Risiken suizidale Impulse freizusetzen besonders hoch sind. Zumal sich in der Pharmakodynamik zwei Schutzmechanismen der Depression entkoppeln und in der Regel eine Antriebssteigerung VOR der Stimmungsaufhellung erfolgt. Diese Wirkung wird in der Regel noch weitestgehend unterschätzt, mit den entsprechenden fatalen Folgen im Hinblick auf Selbst- und Fremdgefährdung.

Den grundsätzlichen Fehler sehe ich bei diesem katastrophalen Fall in der mangelnden Kommunikation zwischen behandelnden Ärzten und dem flugärztlichen Zentrum der Lufthansa. Den meisten Ärzten scheint darüberhinaus auch nicht bekannt, dass die Mindestanforderungen der arbeitsmedizinischen Betreuung, des Arbeitsschutzes und Qualitätssicherung europaweit bereits in der Arbeitsschutzrichtlinie 89/391/EWG verankert sind, die sich wiederum auf Artikel 118a der EWG-Harmonisierungsverträge gründen.
Es bedarf folglich keinerlei juristischer Kraftakte, die irgendwelcher Korrekturen im Hinbliick auf ärztliche Schweigepflicht bedürften. Es reicht, wenn die Juristen erst einmal in ihren eigenen Regelwerken nachschlagen.

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