Ärztlicher Einsatz in Indien

Am schlimmsten ist die unvorstellbare Armut

Seit 2015 ist die Allgemeinärztin Dr. Verena Gröschel für German Doctors im Einsatz. Das wollte sie „schon immer machen“, sagt sie. Häufigstes Problem: Hautkrankheiten.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Am schlimmsten ist die unvorstellbare Armut

© (c) German Doctors

Ärzte Zeitung: Frau Dr. Gröschel, Sie waren 2015 das erste Mal für die Hilfsorganisation German Doctors im Einsatz – wie kam der Kontakt damals zustande?

Dr. Verena Gröschel: Vor sieben Jahren war ich auf einem Vortrag, in dem eine Ärztin über ihren ehrenamtlichen Einsatz in Nairobi berichtete. Genau das wollte ich schon immer machen, und weil meine Kinder nun groß waren, habe ich mich bei German Doctors gemeldet.

Inzwischen sind sie dreimal für die German Doctors im Einsatz gewesen, zweimal auf den Philippinen, zuletzt in Indien. Wie bereitet man sich auf einen Einsatz vor?

Zunächst besucht man an einem Wochenende einen Grundkurs in Würzburg, wo es im Wesentlichen um tropenmedizinische Krankheiten geht. Wenn man sich für ein bestimmtes Projekt entscheidet, wird man dann zu speziellen Seminaren nach Bonn eingeladen. Zudem gibt es noch die Möglichkeit, sich in Rückkehrer-Seminaren auszutauschen. Hier erfährt man auch, wie sich die Projekte in der Folge weiterentwickeln.

Sie arbeiten als Allgemeinmedizinerin in einer Gemeinschaftspraxis. Werden Sie für Ihre sechswöchigen Einsätze freigestellt?

Nein. Zwei Wochen nehme ich Urlaub, für die restlichen vier Wochen organisiere ich eine Praxisvertreterin, die ich selbst bezahle.

Vom 1. Februar bis 16. März waren Sie wo genau in Indien im Einsatz?

Wir haben in Howrah gewohnt, wo die German Doctors eine Kinderstation für 25 Patienten unterhalten, zudem eine Kinder-Tuberkulose-Station. Von dort sind wir jeden Morgen zu einer der drei Stadtambulanzen im Großraum Kalkutta und zwei ländlichen Ambulanzen in den Außenbezirken gefahren.

Wie ist eine Ambulanz ausgestattet?

Die Apotheke ist in aller Regel gut bestückt, die Ambulanzen verfügen nur über das Nötigste. Es gibt beispielsweise Blutdruckmessgeräte, Fieberthermometer, Blutzuckerteststreifen, Nahtmaterial, Verbandsmaterial und neuerdings auch sterile Salbenverbände.

Ist eine Röntgenuntersuchung nötig, schicken wir die Patienten mit einer Art Überweisung in die örtliche Radiologie, die Kosten für die Untersuchung übernehmen wir.

Der Mangel ist zwar groß, aber man behilft sich irgendwie. Unser Lastenrad diente zum Beispiel als Mittagstisch, und bei einem Abort ohne fließend Wasser muss man eben schneller fertig sein, als die Mücken stechen können.

Was sind die häufigsten Krankheiten, mit denen Sie während Ihres Einsatzes konfrontiert wurden?

Hautkrankheiten wie Skabies und Mykosen, Abszesse, Geschwüre, Verbrennungen, offene Wunden. Die Krankheit Nummer 1 ist Tuberkulose. Darüber hinaus sind auch Pneumonien, Asthma, Bronchitis oder COPD verbreitet. Kinder sind oft unterernährt und haben Wurmerkrankungen, Läuse, Mumps und Rachitis infolge eines Vitamin-D-Mangels.

Wir behandeln aber auch viele Chroniker, Patienten mit Zustand nach Herzinfarkt, auch Epileptiker. Ein großes Problem in der indischen Bevölkerung ist Diabetes mellitus. Alle vier Wochen veranstalten die German Doctors ein sogenanntes Sugar Camp, wo Patienten und ihre Angehörigen eine Diabetesschulung erhalten.

Sie haben unter extremen Bedingungen gearbeitet. Was hat Ihnen am meisten zugesetzt?

Die unvorstellbare Armut der Menschen! Erschütternd fand ich die Arbeit in den Lehmziegelfabriken. In der Trockenzeit arbeiten hier Saisonarbeiter, oft Großfamilien, die am Tag per Hand 1000 Ziegel herstellen, eine echte Knochenarbeit. Jedes Kind muss vom 12. Lebensjahr an mitarbeiten. Alle Kinder haben Läuse und Krätze und sind in der Regel mangelernährt, weil sie nur Reis und Bohnen zu essen bekommen.

Die Impfschwestern der German Doctors haben Kinder und Schwangere geimpft, wir Ärzte haben Obst für die Menschen mitgebracht. Wenn möglich, verteilen wir auch Decken an die Bedürftigen.

Indien zählt zu den weltweit zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländern. Dennoch haben die wenigsten Menschen Zugang zum Gesundheitssystem – wie passt das zusammen?

Das indische Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren weiter entwickelt. Aber vielerorts fehlt es an Fachkräften. Außerdem haben die meisten Menschen keine Versicherung und können sich weder einen Arzt noch Medikamente leisten.

Hier springen dann Organisationen wie die German Doctors ein.

Was der indische Staat allerdings gar nicht gerne sieht. Wir dürfen als Touristen einreisen, bekommen aber selbst als humanitäre Helfer keine Arbeitserlaubnis. Die Behörden wissen, was wir tun, dürfen dies offiziell jedoch nicht billigen. Wir werden stillschweigend geduldet.

Dr. Verena Gröschel

  • 1963 in Wiesbaden geboren, hat in Heidelberg Medizin studiert.
  • Die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren und Akupunktur verstärkt seit 2015 das Team der „Brühler Internisten“, einer Gemeinschaftspraxis zwischen Mannheim und Schwetzingen.
  • Ihr Mann, ein Anästhesist, engagiert sich für die Hilfsorganisation Interplast, ihre beiden erwachsenen Kinder sind ebenfalls ehrenamtlich für Hilfsbedürftige im Einsatz.
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