Wegen Blindheit
Diskriminierung im Schwimmbad?
Die Schwimmbadsatzung im bayerischen Neusäß stellt eine erwachsene Frau auf eine Stufe mit kleinen Kindern - weil sie blind ist. Die Betroffene fühlt sich diskriminiert und will nun klagen.
Veröffentlicht:NEUSÄß. Barrierefreiheit, Integration, Inklusion - seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, wie Behinderten das Leben erleichtert werden kann. Wie schwer das dennoch manchmal ist, zeigt derzeit ein Konflikt zwischen der bayerischen Stadt Neusäß und Angelika Höhne-Schaller.
Die 55-Jährige ist fast blind, sie hat nur zehn Prozent Restsehkraft - und was für Millionen andere Menschen selbstverständlich ist, der autonome Gang ins Schwimmbad, ist für Höhne-Schaller ein Hürdenlauf.
Denn die Titania-Therme in dem Augsburger Vorort will die Sehbehinderte nicht allein in die Becken lassen. Die 55-Jährige dürfe - wie Kinder unter acht Jahren - nur in Begleitung ins Bad, heißt es in der Satzung der Therme.
Höhne-Schaller fühlt sich diskriminiert und will jetzt gegen das Verbot klagen.
Seit zehn Jahren Stammgast
Die rheumakranke Frau aus dem benachbarten Horgau sagt, dass sie aus Gesundheitsgründen auf das Warmwasserbecken in der Therme angewiesen sei. Nach ihren Angaben ist sie bisher immer ohne Probleme in das Erlebnisbad gekommen.
"Ich gehe seit zehn Jahren in das Bad." Früher hatte es ein privater Betreiber gepachtet, doch seitdem die Stadt die Therme übernommen hat und eine Kommunalgesellschaft die Regie führt, muss Höhne-Schaller draußen bleiben - sofern sie keinen Begleiter mitbringt.
Die Vorsitzende des Bundes zur Förderung Sehbehinderter in Bayern ist empört: "Ich bin doch nicht entmündigt."
Dietmar Krenz, Stadtbaumeister von Neusäß und Geschäftsführer der Thermengesellschaft, verweist auf die Satzung der Therme, die eine bundesweite Mustersatzung sei.
"Wir haben eine gewisse Verantwortung für unsere Benutzer, und die nehmen wir auch ernst!" Die Titania-Therme sei kein klassisches kommunales Schwimmbad, ein solches Freizeitbad sei ganz anders gebaut - verwinkelt und mit vielen Attraktionen.
Verweis auf fehlendes Personal
Was für sehende Besucher gerade der Reiz ist, ist nach Ansicht von Krenz für Blinde ein Problem. "Da steht schon mal plötzlich eine Tasche im Durchgang oder auf der Treppe", sagt der Thermenchef.
Die Mitarbeiter könnten Blinde nicht vor Gefahren schützen, die beispielsweise von Wasserrutschen ausgingen. "Wir haben nicht das Personal, jemanden daneben zu stellen."
Auch die Größe mache die Benutzung für Sehbehinderte schwierig, glaubt Krenz. In der Therme tummeln sich nicht wie in normalen Schwimmbädern vielleicht 30 Besucher gleichzeitig, sie sei für bis zu 1000 Gäste zugelassen - durchschnittlich seien immerhin 600 da.
Für Blinde, die sich an ihrem Gehör orientieren müssten, sei der Lärm so vieler Benutzer störend, meint Krenz.
Höhne-Schallers Problem ist kein Einzelfall. Schon 2006 hatte der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) von den deutschen Bäderverbänden verlangt, dass die Satzungen geändert werden.
Anlass war, dass eine blinde Frau aus Sindelfingen ebenfalls an der Schwimmbadkasse abgewiesen wurde. "Es gibt eine beachtliche Zahl blinder und hochgradig sehbehinderter Menschen, die (...) durchaus imstande sind, ohne Begleitperson ein Schwimmbad ordnungsgemäß zu benutzen", hieß es damals in einer Publikation des DVBS.
"Behinderte Menschen haben ein Recht darauf, selbstbestimmt und möglichst ungehindert am Leben der Gesellschaft teilzunehmen", betonte der im hessischen Marburg sitzende Blindenverein.
Anders als Neusäß verzichten daher andere Kommunen darauf, Blinde in ihren Vorschriften explizit zu nennen. Die Münchner Schwimmbäder verlangen nur bei Gästen, "die wegen ihres körperlichen und geistigen Zustandes einer Hilfe bedürfen (Aus- und Ankleiden u. a.)", zwingend einen Begleiter.
Die Stadt Nürnberg formuliert es ähnlich. Höhne-Schaller hat sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt. Die Therme in Neusäß will nun erst einmal deren Entscheidung abwarten und hat eine Risikoanalyse in Auftrag gegeben, die aber bis zu sechs Monate dauern kann.
Die 55-Jährige will so lange nicht auf den nächsten Thermenbesuch warten und hat bereits einen Anwalt mit einer Klage beauftragt. (dpa)