Göttinger Betatron
Ein Meilenstein der Medizintechnik
Das Göttinger Betatron war einst eine medizinische Sensation. Ein neues Museum in Erlangen informiert über diesen Meilenstein der Strahlentherapie.
Veröffentlicht:GÖTTINGEN. Im Mai 1947 trifft in der Universität Göttingen eine 250 Kilogramm schwere Fracht ein. Sie enthält eine hoch komplizierte Apparatur, die der Röntgeningenieur Konrad Gund im Konstruktionsbüro der Siemens-Reiniger-Werke in Erlangen entwickelt hat.
Das neuartige Gerät, das im II. Physikalischen Institut in der Bunsenstraße installiert wird, ist eine Elektronenschleuder, ein sogenanntes Betatron. Zwei Jahre lang experimentieren Wissenschaftler mit der Anlage, dann wagen sie eine medizinische Weltpremiere: 1949 werden erstmals Krebspatienten mit schnellen Elektronen aus einem Betatron bestrahlt.
Die Therapieergebnisse erregen weltweit großes Aufsehen, Medien berichten über das "Wunder von Göttingen". Über die spannende Geschichte dieses Meilensteins in der Geschichte der Strahlentherapie informiert jetzt ein neues Museum für Medizintechnik, das Siemens in Erlangen eröffnet hat.
Viele Krebs-Patienten wurden geheilt
Im "Siemens MedMuseum" widmet sich eine Station dem Forscher Konrad Gund (1907-1953) und dem von ihm entwickelten Betatron. Gund hatte 1942 mit der Arbeit an der Elektronenschleuder begonnen, musste jedoch 1945 seine Forschungen stoppen. Die US-Militärregierung untersagte die Fertigstellung, weil Elektronenschleudern auch für die Atomforschung genutzt werden konnten.
1946 bot der Leiter des II. Physikalischen Instituts, Hans Kopfermann, an, das Betatron in Göttingen aufzustellen, um es dort so weit zu entwickeln, dass es für medizinische Zwecke anwendbar war.
Die Professoren schafften es, den Forschungsoffizier der britischen Besatzungszone davon zu überzeugen, dass das Betatron keinen militärischen Wert habe. Die Wissenschaftler unternahmen Experimente, um die Eindringtiefe und Diffusion der schnellen Elektronen sowie deren biologische Wirkung zu testen.
Versuchsobjekte waren unter anderem Fruchtfliegen, Mäuse, Heuschrecken und Kaninchen. Ab 1949 setzten sie das Betatron für medizinische Zwecke ein, zunächst nur bei Patienten mit Hautkrebs.
Die Wirkung der neuen Technologie, bei der die Bestrahlungsquelle genau auf den Tumor unter der Hautoberfläche fokussiert wurde, um das gesunde Gewebe zu schonen, war verblüffend: Schon nach einer einmaligen kurzen Bestrahlung bildeten sich die Krebsgeschwüre zurück, viele Patienten wurden geheilt.
Als die Göttinger Forscher ihre ersten Ergebnisse bei einem Kongress vorstellten, war die internationale Fachwelt so beeindruckt, dass man von einer "neuen Epoche in der Krebsbekämpfung" sprach.
Suizid am Betatron
Laut einem 1999 erschienenen Beitrag in der "Zeitschrift für medizinische Physik" wurden in den ersten zwei Jahren 226 Patienten mit schnellen Elektronen bestrahlt. In dieser Zeit hatte Konrad Gund bereits die Weiterentwicklung des Betatrons vorangetrieben.
Bei dem neuen Prototypen gab es indes erhebliche technische Probleme. Gund arbeitete Tag und Nacht daran, den Fehler zu beheben. Am 1. Juni 1953 fand man ihn morgens leblos neben dem Betatron. Er hatte einen Gashahn aufgedreht und sich das Leben genommen.
Aus Abschiedsbriefen ging hervor, dass Gund verzweifelt darüber war, die Störung nicht beheben zu können. Nachdem seine Ehefrau davon erfahren hatte, nahm auch sie sich das Leben.
Bis 1974 wurden in der Göttinger Hautklinik mehr als 3400 Patienten mit dem Betratron bestrahlt.