Ärzte im Nationalsozialismus
„Eine feste Bank gegen das Vergessen“
Der Herbert-Lewin-Preis für herausragende Forschungsarbeiten über Ärzte in der Nazi-Zeit wurde verliehen. Vor allem die Worte eines Redners wirken nach.
Veröffentlicht:Berlin. Forschen, um nicht zu vergessen: In Berlin ist am Mittwochabend zum siebten Mal der mit insgesamt 15.000 Euro dotierte Herbert-Lewin-Preis für wissenschaftliche Arbeiten vergeben worden, die sich mit der Geschichte der Ärzteschaft in der Zeit des „Nationalsozialismus“ beschäftigen. Mit dem vom Bundesministerium für Gesundheit, der Bundesärztekammer, der Bundeszahnärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) ausgeschriebenen Preis wurden drei wissenschaftliche Arbeiten prämiert.
Der Preisverleihung wohnte auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster bei.
Drei Forschungsarbeiten ausgezeichnet
Den ersten Platz vergab die Jury für die Arbeit von Dr. Susanne Doetz und Professor Christoph Kopke mit dem Titel „und dürfen das Krankenhaus nicht mehr betreten“. Die Arbeit befasst sich mit dem Ausschluss jüdischer und politisch unerwünschter Ärzte aus dem städtischen Gesundheitswesen in Berlin von 1933 bis 1945.
Die Autoren hätten nach Ansicht der Jury mit ihrer Untersuchung Neuland betreten, indem sie „systematisch“ die Entlassung und Vertreibung rassisch verfolgter und politisch missliebiger Ärzte aus dem öffentlichen Gesundheitswesen in der deutschen Großstadt nachgezeichnet hätten, hob Jurymitglied Professor Dominik Groß in seiner Laudatio hervor. Die Arbeit besteche durch einen umfangreichen biografischen Teil und den systematischen Nachweis aller entlassenen Ärzte, sagte Groß.
Damit legten die Autoren die Grundlage für weitere Forschungen zur frühen Dynamik nationalsozialistischer Vertreibungs- und Vernichtungspolitik. Sie lieferten zudem ein Modell, mit dem sich die Geschichte des öffentlichen Gesundheitswesens anderer Großstädte in der Nazi-Diktatur nachzeichnen lasse.
„Bild des alltäglichen Antisemitismus“
Der zweite Platz ging an Dr. Doris Fischer-Radizi für ihre Arbeit „Vertrieben aus Hamburg“. Die Soziologin beschreibt darin das Schicksal der Physiologin Rahel Liebeschütz-Plaut, der als „Nicht-Arierin“ 1933 die Lehrerlaubnis entzogen wurde. 1938 emigrierte die Wissenschaftlerin nach England, wo sie 1993 verstarb. Fischer-Radizi habe am Beispiel von Liebeschütz-Plaut eindrucksvoll Leben und Vertreibung einer Forscherin nachgezeichnet und ein sehr anschauliches „Bild des alltäglichen Antisemitismus“ im Nazi-Deutschland vermittelt, betonte Groß.
Mit dem dritten Preis wurde der Münchner Medizintheoretiker Dr. Mathias Schütz für seine Arbeit „Vier Ermittlungen und ein Verdienstkreuz“ geehrt. Schütz beschäftigt sich in seiner prämierten Arbeit mit den Verbrechen des Hygienikers Hermann Eyer während der Nazi-Zeit.
Was steckt hinter dem Preis?
Ziel des Herbert-Lewin-Preises ist neben der Förderung der historischen Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft im „Dritten Reich“ auch die Erinnerung an engagierte Ärzte und Zahnärzte, die in der NS-Zeit entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Zugleich soll das Interesse nachwachsender Generationen für die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit geweckt werden.
Die Preisträger werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, deren Mitglieder von den Trägerorganisationen, dem Zentralrat der Juden in Deutschland sowie dem Bundesverband Jüdischer Ärzte und Psychologen in Deutschland benannt wurden. Der Preis erinnert an den früheren Kölner Chefarzt und ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Herbert Lewin.
„Wehret den Anfängen“
Der Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam Professor Julius H. Schoeps nannte den Herbert-Lewin-Preis eine „feste Bank gegen das Vergessen“. Ärzte wie Zahnärzte seien teils tief in die Verbrechen der Nazis verstrickt gewesen. Und so mancher Zeitgenosse habe nach 1945 Schwierigkeiten gehabt, über sein Handeln oder Nicht-Handeln in der Zeit des „Dritten Reiches“ Rechenschaft abzulegen. „Man schwieg und man verdrängte.“
Bis heute frage man sich, wie diese Männer ihr Handeln in Einklang mit dem Ärzte-Ethos bringen konnten. „Sie hatten getötet, anstatt Leben zu schützen und zu heilen.“ KZBV-Vorstandschef Dr. Wolfgang Eßer betonte, Deutschland erlebe heute erneut eine Stimmung, die sich gegen jüdisches Leben richte.
Jüngstes Beispiel sei der Terroranschlag in Halle am höchsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur. „Gewalt und Aggression werden zu Instrumenten gegen Andersgläubige, gegen Menschen anderer Herkunft, gegen politisch Andersdenkende. Dem müssen wir entschieden entgegentreten!“