Entscheidung 2017
Friedensnobelpreis für Ican setzt Atommächte unter Druck
Der Friedensnobelpreis ehrt Kämpfer gegen Atomwaffen. Angesichts von Atom- und Raketentests ist er höchst aktuell. Und er bringt auch die Bundesregierung in die Bredouille.
Veröffentlicht:OSLO/GENF. Der Friedensnobelpreis für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) setzt ein klares Signal für ein Verbot von Nuklearwaffen - und spricht eine Warnung an die Atommächte aus. "Wir leben in einer Welt, in der das Risiko, dass Atomwaffen zum Einsatz kommen, größer ist als lange Zeit", sagte die Chefin des norwegischen Nobel-Komitees Berit Reiss-Andersen am Freitag. "Wir senden Botschaften an alle Staaten, vor allem die mit Atomwaffen." Sie seien aufgefordert, ihre Verpflichtungen zum Verzicht auf diese Waffen einzuhalten. Indirekt setzt das auch die Bundesregierung unter Druck.
Ican erhält die weltweit wichtigste politische Auszeichnung unter anderem für ihre "bahnbrechenden Bemühungen um ein vertragliches Verbot solcher Waffen". Die Organisation hat maßgeblich am UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen mitgewirkt, der im Juli unterzeichnet wurde und von 122 Staaten unterstützt wird. Die vermutlich neun Atommächte sowie fast alle Nato-Staaten - darunter Deutschland - hatten die Verhandlungen über den Vertrag boykottiert. Begründung: Da die Atommächte nicht teilnehmen, können die Verhandlungen nichts ändern.
Die Bundesregierung gratulierte Ican am Freitag zwar und unterstützte deren Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Sie bekräftigte aber ihre Ablehnung des Verbotsvertrags. Solange es Staaten gebe, die Atomwaffen als militärisches Mittel ansähen und Europa davon bedroht sei, bestehe die Notwendigkeit einer nuklearen Abschreckung fort, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer.
Bundesregierung in der Kritik
Ican kritisierte die Bundesregierung scharf und drängte sie zur Unterzeichnung des Verbotsvertrags. Die große Koalition werde ihrer globalen Verantwortung nicht gerecht, sagte Vorstandsmitglied Sascha Hach in Berlin. "Die Bundesregierung hat die politische Bedeutung des Verbotsvertrages völlig verkannt."
Auch Russland reagierte zurückhaltend auf den Friedensnobelpreis. Moskau respektiere die Entscheidung, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Agentur Tass. Präsident Wladimir Putin habe mehrfach betont, wie wichtig ein atomares Gleichgewicht für die internationale Sicherheit sei.
Ican sitzt in Genf in der Schweiz und ist ein Bündnis aus 450 Friedensgruppen und Organisationen, die sich seit Jahren für Abrüstung engagieren. Ican-Direktorin Beatrice Fihn sagte, der Preis müsse auch als Botschaft an die Atommächte verstanden werden, schneller an der Vernichtung ihrer Waffen zu arbeiten.
Friedensforscher hatten einen Nobelpreis im Kontext des Kampfes gegen Atomwaffen erwartet. Sie hatten allerdings die Architekten des Atom-Abkommens mit dem Iran vorn gesehen. Das wäre ein politisch extrem heikler Preis gewesen, denn das Abkommen ist in den USA heiß umstritten. US-Präsident Donald Trump hat gedroht, aus der unter seinem Vorgänger Barack Obama geschlossenen Vereinbarung auszusteigen.
"Erstmals gibt es wieder die reale Gefahr eines atomaren Konflikts"
Der Direktor des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri, Dan Smith, bezeichnete die Nobelpreis-Entscheidung als höchst angemessen. Das Thema sei in den vergangenen Jahren aus dem Blick geraten und werde nun wieder wichtiger, sagte er. "Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg gibt es eine reale Gefahr eines atomaren Konflikts."
Die Jury wählte den Friedensnobelpreisträger aus 215 nominierten Personen und 103 Organisationen aus. Öffentlich gemacht wird die Liste erst in 50 Jahren. Bekannt ist, dass auch Papst Franziskus, die syrischen Weißhelme und die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas sowie Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin darauf standen.
Der mit neun Millionen schwedischen Kronen (rund 940.000 Euro) dotierte Friedensnobelpreis wird als einzige der renommierten Auszeichnungen nicht in Stockholm, sondern in Norwegens Hauptstadt Oslo vergeben. Der Preise gehen auf Nobels Testament zurück. Hier hatte der Dynamit-Erfinder festgelegt, dass derjenige geehrt werden solle, der "am meisten oder besten für die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verkleinerung stehender Armeen" gewirkt hat. Diese Kriterien erfülle Ican, erklärte die Nobel-Jury. "Es ist die feste Überzeugung des norwegischen Nobel-Komitees, dass Ican im vergangenen Jahr, mehr als irgendjemand sonst, den Bemühungen für eine Welt ohne Atomwaffen eine neue Richtung und neue Kraft gegeben hat."
Tweet gegen Trump: "Idiot"
Ican hat maßgeblich am UN-Verbotsvertrag mitgewirkt, der im Juli in New York unterzeichnet wurde. Die vermutlich neun Atommächte sowie fast alle Nato-Staaten - darunter Deutschland - hatten die Verhandlungen über den Vertrag boykottiert.
Die Gewinner des Friedensnobelpreises wollen das Preisgeld nun einsetzen, um die weltweite Bewegung für ein Verbot von Atomwaffen zu stärken. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) werde ohne Unterlass darauf hinarbeiten, dass nun alle Länder den Vertrag gegen Atomwaffen nun unterzeichnen, sagte Geschäftsführerin Beatrice Fihn am Freitag in Genf. Der Friedensnobelpreis beflügele diese Arbeit. Konkrete Pläne für die Verteilung des Geldes gebe es aber noch nicht.
"Wir leben in einer Zeit erhöhter globaler Spannungen, in der feurige Phrasen uns ganz schnell in unerbittlichen, unaussprechlichen Horror stürzen können", sagte Fihn. "Das Schreckgespenst eines Atomkonflikts ist wieder bedrohlich groß. Es gibt für die Länder der Welt keinen besseren Moment als jetzt, um ihre völlige Ablehnung der Atomwaffen kundzutun. Abrüstung ist kein frommer Wunsch, sondern eine dringende humanitäre Notwendigkeit."
Fihn hatte vor wenigen Tagen "Trump ist ein Idiot" getweetet. Das sei ihr jetzt etwas peinlich, sagte sie lachend. Dennoch: "Die Wahl von Trump beunruhigt viele Menschen", sagte sie. Es sei beunruhigend, dass jemand über einen Atomwaffeneinsatz entscheide, der schnelle Entscheidungen fälle und nicht auf Experten höre. "Aber es gibt niemanden auf der Welt, den man in die Lage versetzen sollte, die ganze Welt zu zerstören." (dpa)
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