Einmalige Neugierde oder dauerhafte Sucht?

Immer mehr US-Amerikaner rauchen Gras

Pot in der Mitte der Gesellschaft? Der Anteil der Cannabis-Konsumenten ist in den USA um ein Drittel gestiegen. Müssen Ärzte sich auf Massen von drogenabhängigen Patienten einstellen oder hat der Anstieg ganz banale statistische Gründe?

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

BETHESDA. Inzwischen ist in den USA der Marihuana-Konsum zu medizinischen Zwecken in 24 Staaten erlaubt - in einigen kann man auch straffrei zu nichtmedizinischen Zwecken kiffen. Es würde also wenig überraschen, wenn der Anteil der Cannabiskonsumenten nach solchen Legalisierungen deutlich steigt.

Glaubt man Umfrageergebnissen, trifft das tatsächlich zu, auch scheinen die Freunde eines gepflegten Joints öfter als früher zur Tüte zu greifen. Anscheinend paradox: Cannabismissbrauch und -abhängigkeit werden nicht häufiger als früher beobachtet.

Die US-Behörde National Institutes of Health (NIH) führt alljährlich einen nationalen Drogen-Survey durch, bei dem rund 50.000 repräsentativ ausgewählte erwachsene US-Bürger aus sämtlichen Bundesstaaten nach ihrem Drogenkonsum befragt werden. Im Blickpunkt stehen dabei nicht nur Marihuana, sondern auch andere legale und illegale Sucht- und Rauschmittel.

Das Team um Dr. Wilson Compton aus Bethesda interessierte sich in einer aktuellen Auswertung des Surveys jedoch primär für den Cannabiskonsum und seine Auswirkungen (Compton WM et al. Marijuana use and use disorders in adults in the USA, 2002-14: analysis of annual cross-sectional surveys. Lancet Psychiatry 2016, epub 31.8.2016, doi: 10.1016/S2215-0366(16)30208-5). Sie schauten sich dabei die Survey-Daten in den Jahren 2002 bis 2014 an. Insgesamt waren dabei knapp 600.000US-Bürger befragt worden.

Interessant war für die NIH-Experten vor allem die Entwicklung ab 2007. Damals begannen viele Bundesstaaten, ihre Regelungen zu Cannabis zu lockern.

32 Millionen bekennende Cannabiskonsumenten

Wie die Forscher um Compton zeigen konnten, nahm der berichtete Cannabiskonsum mit den gesetzlichen Lockerungen tatsächlich zu. So lag im Jahr 2002 der Anteil derer, die zugaben, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal Cannabis konsumiert zu haben, bei 10,4%. Dieser Anteil blieb bis ins Jahr 2007 weitgehend konstant und stieg von da an kontinuierlich bis auf 13,3% im Jahr 2014.

In ähnlichem Maße nahm der Anteil der Befragten zu, die im Jahr der Umfrage erstmals Cannabis probiert hatten, und zwar von 0,7% auf 1,1% im Jahr 2014. Auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnet hatten nach diesen Daten im Jahr 2014 rund 32 Millionen US-Bürger Gras geraucht, 1,4 Millionen zum ersten Mal.

Mehr als doppelt so viele tägliche Konsumenten

Mehr als verdoppelt hatte sich die Zahl der Personen mit täglichem oder fast täglichem Cannabiskonsum, und zwar von 3,9 auf 8,4 Millionen, der Anteil an der Bevölkerung stieg von 1,9 auf 3,5%.

Nicht so richtig in dieses Bild passt jedoch der relativ konstante Anteil der Personen mit einer Abhängigkeit oder einem Marihuana-Missbrauch nach DSM-IV-Kriterien. Er liegt bei etwa 1,5% der Befragten, und daran hat sich über die zwölf Jahre hinweg nichts geändert.

Bei den Cannabiskonsumenten sank sogar der Anteil derer mit einem bedenklichen Konsum von 14,8% in 2002 auf 11% im Jahr 2014.

Die Forscher um Compton vermuten, dass viele neu hinzugewonnene Cannabisfreunde weniger rauchen als die Altkonsumenten - sie wollen die Droge nach der partiellen Legalisierung vielleicht einfach mal probieren. Der steigende Anteil der täglichen Raucher hieße aber, dass viele Altkonsumenten ihren Konsum erhöhen. Vielleicht kommt es also erst mit einer gewissen Verzögerung zu einer Zunahme des Cannabismissbrauchs.

Bagatellisierung der Gefahren oder Cannabiskonsum nur öfter zugegeben?

Mit der Legalisierung nahmen auch die Bedenken gegen Cannabis deutlich ab. Die Frage, ob sie ein bis zwei Joints pro Woche bereits als gefährlich erachten, bejahten 2002 die Hälfte der Befragten (50,4%), zwölf Jahre später waren es noch 33,3%. Bei fast allen Fragen ergaben sich die stärksten Veränderungen jeweils ab dem Jahr 2007, als die ersten Bundesstaaten den Gebrauch der Droge zu medizinischen Zwecken erlaubten.

Auch wenn die Vermutung naheliegt, dass die im Jahr 2007 beginnende Legalisierung von Cannabis den Konsum angekurbelt hat, sind auch andere Erklärungen denkbar. So könnte umgekehrt der zunehmende Konsum Druck auf die Gesetzgeber ausgeübt haben.

Noch plausibler erscheint jedoch eine andere Erklärung: Ist der Cannabiskonsum illegal, werden viele nicht zugeben, dass sie gelegentlich eine Tüte rauchen - das Misstrauen gegenüber einer staatlich organisierten Umfrage dürfte recht hoch sein. Mit der Legalisierung gibt es jedoch keinen Grund mehr, seinen Drogenkonsum zu verschweigen.

Zunächst einmal hat also lediglich der Anteil von US-Bürgern zugenommen, die einen Cannabiskonsum zugeben. Ob tatsächlich auch der Anteil der Cannabisraucher gestiegen ist und ob diese heute mehr rauchen als früher, steht in den Sternen. Das ist wie immer ein großes Manko solcher Umfragen.

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Kommentare
Wolfgang P. Bayerl 15.09.201609:52 Uhr

dumme Frage,

auch bei der immer wieder zitierten Alkohol-Prohibitin in USA wird immer vergessen, dass selbstverständlich auch Konsum und die ganzen Alkoholfolgeerkrankungen zurückgegangen sind.
Es wir ebenso vergessen, das die USA dabei gleichzeitig in ein auch korruptionsbedingte schwere Wirtschaftskrise gestürzt sind.
Die Warnung vor Cannabis ist aktuell auf einem viel niedrigeren Level als bei normalen Zigaretten.
Wobei Zigaretten und das neurotoxische Nikotin allerdings weder einen Rauschzustand erzeugt noch EEG-gamma-Wellen unterdrückt noch Schizophrenie auslösen kann.
Die Unterdrückung von gamma-Wellen führt zur Verblödung, die man natürlich nicht physikalisch messen kann.

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