Getestet

Mehr Sex macht auch nicht glücklich

Menschen mit viel Sex sind glücklicher - liegt das nur am Sex? In einer Studie schliefen Paare doppelt so oft miteinander wie sonst. Viel Spaß hatten sie aber nicht.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Mehr Sex macht auch nicht unbedingt glücklicher.

Mehr Sex macht auch nicht unbedingt glücklicher.

© vm / iStock

PITTSBURGH. Zum Thema Sex und Glück gibt es inzwischen unzählige Untersuchungen, der Tenor ist jedoch stets derselbe: Glückliche Menschen haben mehr Sex, und wer viel Sex hat, ist in der Regel glücklicher als Zeitgenossen mit einem eher verkümmerten Sexualleben.

Ob es jedoch einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Koitusfrequenz und Glück gibt, ist umstritten, und sollte es einen solchen geben, weiß niemand, was Ursache und was Wirkung ist.

Macht mehr Sex tatsächlich glücklich oder haben glückliche Menschen einfach mehr Lust und sexuelle Gelegenheiten? Oder liegt es daran, dass einem das Glück und die Sexualpartner zufliegen, wenn man nur hübsch und reich genug ist?

Studie mit 128 Personen

Zeit also, mit einem Feldversuch etwas mehr Klarheit zu schaffen, haben sich Wissenschaftler des Bereichs "Social and Decision Sciences" von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh gedacht.

Die Forscher um George Loewenstein suchten sich dazu per Zeitungsannonce Paare im Alter von 35 bis 65 Jahren, die bereit waren, ihr Sexualleben zu verändern. Die Freiwilligen durften keine gravierenden Begleiterkrankungen und Beziehungsprobleme haben (J Econ Behav Org 2015; 116: 206-218).

Was sie in der Studie erwartete, erfuhren sie erst nach den Eingangstests: Ein Teil sollte die Koitusfrequenz verdoppeln, den übrigen wurde nichts konkret empfohlen, außer täglich einen Online-Fragebogen auszufüllen.

Der Fragebogen, den auch die Teilnehmer in der Interventionsgruppe bekamen, enthielt 44 Fragen zur Stimmung, zu Libido und zum Sexualverhalten. Damit sie ihn tatsächlich regelmäßig abschickten, erhielten alle Teilnehmer finanzielle Anreize.

Die Forscher versuchten, die beiden Gruppen möglichst ähnlich zu gestalten. So achteten sie auf ein vergleichbares Alter (im Mittel 46 Jahre) und eine ähnliche Koitusfrequenz (im Mittel etwa 5,5 pro Monat).

Entscheidend war ebenfalls, dass die Teilnehmer nicht weniger als einmal pro Monat und nicht mehr als dreimal pro Woche Sex hatten. Insgesamt dauerte die Studie drei Monate, 128 Personen nahmen daran teil.

Mehr Sex, weniger Spaß

Zwischen beiden Gruppen zeigten sich nun in der Tat deutliche Unterschiede. So erhöhte die Interventionsgruppe im ersten Monat die Zahl der Geschlechtsakte im Mittel auf knapp über acht, die Kontrollgruppe nur auf sechs.

Allerdings hatte die Gruppe mit mehr Sex deutlich weniger Spaß daran (5,6 versus 6,2 Punkte auf einer entsprechenden Spaßskala), auch die Stimmung war in dieser Gruppe tendenziell schlechter (9,5 versus 12 Punkte) und das sexuelle Verlangen geringer (16,6 versus 17,8 Punkte).

In den folgenden beiden Monaten ergab sich ein ähnliches Bild: Spaß und Verlangen waren bei den Paaren mit mehr Sex geringer und die Stimmung schlechter als in der Kontrollgruppe, zugleich nahm die Koitusfrequenz wieder deutlich auf rund 6,5 pro Monat ab.

Diese sank zwar auch in der Kontrollgruppe (auf 4,5 pro Monat), hier änderte sich aber kaum etwas bei Spaß, Stimmung und Verlangen.

Lässt sich nun aus der Studie schließen, dass Sex ein Stimmungskiller ist? Wohl kaum.

Die Forscher um Loewenstein vermuten vielmehr, dass unter den experimentellen Bedingungen vielen Paaren die Lust auf Sex vergangen ist. Wenn der Akt mehr aus einem Pflichtgefühl heraus begangen wird statt aus echtem Verlangen, dann macht er wohl wenig Spaß.

Die Forscher verweisen auf Studien zu Paaren mit Fruchtbarkeitsproblemen: Hier führte der Wunsch, unbedingt ein Kind bekommen zu wollen, ebenfalls zu einer erhöhten Koitusfrequenz.

Zugleich machte den Paaren der Sex nach eigenen Angaben aber immer weniger Spaß.

Ein Optimum pendelt sich ein

Die Forscher vermuten, dass sich die Sexhäufigkeit in jeder Beziehung mit der Zeit bei einem Optimum einpendelt. Wird sie künstlich erhöht oder erniedrigt, führt das zu einer gewissen Unzufriedenheit.

Weshalb Menschen glücklicher sind, wenn dieses Optimum bei ihnen sehr hoch liegt, bedarf also weiterer Forschung.

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Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 31.07.201516:38 Uhr

Was ist guter Sex?

Bravo, kluger Dr. Schätzler! Sie treffen -wie fast immer- argumentativ den Nagel auf den Kopf; natürlich als erfahrener, belesener und kritischer Doktor; vor allem auch bez. "Studien", die der Produktion von "papers" dienen (bes. solchen aus den USA).
Nach einem viele Jahre abwechslungsreichen Berufs- und Liebesleben, habe ich ein paar Jahre (seit dem 65.ten) im (coitalen) "Ruhestand" gelebt-. Jetzt aber meine Libido mit fitten 70 wieder entdeckt. Dazu hat mir allerdings nicht die clevere TV- Psycho-Sexologin Ann-M. -die erst mal alle Probleme wegkichert- verholfen, sondern eine neue aufgeschlossene Freundin (Mitte 40).
Schon ein paar Jahre vorher (nach einer sexuell wilden Kopulations-Zeit in Afrika) wurde ich in einer intimen Beziehung zu einer Vietnamesin endlich über die intimen Wünsche einer Frau aufgeklärt.
Das war mir bis dahin in einer früheren Ehe mit einer Deutschen in den "revolutionären 68er/70er" Jahren nicht beschert!
Kürzlich habe ich -bei erstaunlicher organischer Gesundheit- im Liebesspiel -oder beim "Sex"- erstmalig meine impotentia coeundi festgestellt. Das hat mich zunächst traurig gemacht, und natürlich auch schon an blue pills denken lassen. Das hat sich aber rasch relativiert, nachdem mir meine Venus durch ihre ganze weibliche Erscheinung und erotische Erfahrung eine wunderbare Libido besorgt hat! Und darauf habe ich ihr anderweitig zum intensiven Orgasmus verholfen und mich damit bedankt.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

Dr. Thomas Georg Schätzler 29.07.201500:13 Uhr

"Sex sells"?

Unter "Leserfavoriten" der ÄZ finden sich unter der Rubrik "gelesen" an vorderster Stelle die beiden Artikel:
1. "Getestet: Mehr Sex macht auch nicht glücklich"
und
2. "Hilfe, wer näht mein Jungfernhäutchen zu?"

Es gab am Frankfurter Institut für Sexualforschung eine These, die von Prof. Volkmar Sigusch und Prof. Martin Dannecker begründet wurde: Die menschliche Sexualität de-sexualisiert sich selbst, in dem sie gelebt und praktiziert wird. D. h. in der Sexualität und Beziehungsgeschichte der Menschen gibt es sexuelle Ermüdungserscheinungen, Gewohnheitsbidungen, Routinen, Reibungsverluste, Frustrationen, Redundanzen und Abhängigkeiten. Das sexuelle Verlangen fordert immer neue Reize, Höhepunkte und Häufigkeiten sexueller Kontakte, was entweder unerfüllbar bleiben wird oder mühevoll immer wieder neu inszeniert werden muss.

Deswegen ist "mehr manchmal weniger" und "weniger manchmal mehr".

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z. Zt. Paris/F)

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