Neue Aut-idem-Regel empört Ärzte
Mit der Aut-idem-Regelung will Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die steigenden Arzneiausgaben in den Griff bekommen. Ärzte sollen nur noch den Wirkstoff verordnen. Sie sehen das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis in Gefahr.
Veröffentlicht:Berlin, September 2001. Ein neuer Vorschlag aus dem Bundesgesundheitsministerium sorgt bei Ärzten, Kassen, Arzneimittelherstellern und letztlich auch bei Apothekern für große Skepsis.
Überlegungen von Ministerin Ulla Schmidt laufen darauf hinaus, dass Ärzte bei patentfreien Arzneien im Regelfall nur noch den Wirkstoff verordnen und erst die Apotheker das konkrete Medikament auswählen sollen.
Die modifizierte Aut-idem-Regelung (Aut idem: Oder das Gleiche), die dazu beitragen soll die Arzneiausgaben unter Kontrolle zu halten, ist damit geboren.
Im November kommen bei einer Experten-Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages die unterschiedlichen Positionen zur Sprache.
So sieht der damalige KBV-Vize Dr. Leonhard Hansen durch die starke Produkt- und Indikationsdifferenzierung auf dem Generikamarkt Schwierigkeiten bei der Langzeitversorgung chronisch Kranker kommen.
Habe der Apotheker das generelle Recht zur generischen Substitution, könne das zu massiven Qualitäts- und Complianceproblemen führen, so Hansen.
Die Kassen wiederum zweifeln die von den Apothekern errechneten Einsparpotenziale von 500 Millionen DM pro Jahr an. Diese Zahl sei spekulativ, kritisierte der Chef des BKK-Bundesverbandes Wolfgang Schmeinck.
Die Kassen halten die generische Substitution für strategieanfällig, und das hängt mit den damals noch erlaubten Naturalrabatten zusammen, die die Generika-Hersteller in wachsendem Ausmaß den Apothekern gewähren.
Begeisterte Kassen
Für die Apotheker rechnet sich die geplante Substitutionsmöglichkeit nur, wenn sie die Einsparungen der Kassen ausgleichen können.
Die erweiterten Befugnisse haben natürlich Konsequenzen für die Generika-Hersteller: Nicht mehr die Ärzte, sondern die Apotheker werden zur wichtigsten Zielperson aller Marketing-Bemühungen.
Nicht mehr kostenlose Arzneimuster, sondern Naturalrabatte bestimmen den Absatzerfolg. Aber diese Naturalrabatte werden den Apothekern von den Kassen bezahlt.
Trotz der massiven Bedenken tritt am 23. Februar 2002 mit der Verabschiedung des Arzneimittel-Ausgaben-Begrenzungsgesetzes (AABG) die neue Aut-idem-Regelung in Kraft.
Prompt ist die Verwirrung bei den Patienten und der Frust in Praxen und Apotheken groß.
Vor allem ältere Patienten sind verunsichert, weil sie in der Apotheke immer wieder wechselnde Medikamente bekommen. Die Sparziele werden freilich nicht erreicht.
Im April 2007 wird Aut-idem mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz richtig scharf gemacht. Seitdem müssen Apotheker bei wirkstoffgleichen Präparaten - sofern der Arzt den Austausch nicht ausdrücklich verbietet - das Arzneimittel abgeben, für das die Kasse mit einem Hersteller einen Rabattvertrag abgeschlossen hat.
Die Kassen sind begeistert. So hat allein die AOK nach eigenen Angaben von 2007 bis Ende 2011 durch die Rabatte bundesweit rund 1,6 Milliarden Euro.
Mit der Änderung des Heilmittelwerbegesetzes zum 1. Mai 2006 wurde zudem den Arzneiherstellern untersagt, den Apotheken Rabatte oder auch Naturalrabatte zu gewähren.