Tagebuch eines AiW als Seenotretter

Seenotretter Schmid: „Das hat etwas von einer zweitklassigen Behandlung“

Im Tagebuch berichtet Jörg Schmid, angehender Allgemeinmediziner, von seinem Einsatz an Bord des Seenotrettungsschiffs Humanity 1. Heute erzählt er, wie wütend ihn der Umgang der Behörden mit den Geretteten macht.

Jörg SchmidVon Jörg Schmid Veröffentlicht: | aktualisiert:
Jörg Schmid (rechts Mitte) hilft der Crew, das Schiff zum Anlanden vorzubereiten.

Jörg Schmid (rechts Mitte) hilft der Crew, das Schiff zum Anlanden vorzubereiten.

© Judith Büthe

Freitag, 23. August. Jörg Schmid ist mit der Humanity 1 zurück in Sizilien. Über 200 Menschen konnten in den vergangen Tagen gerettet werden. Für viele ist die Odyssee aber noch längst nicht zu Ende.

Wir sind zurück in Sizilien und ich kann es kaum glauben! Der Einsatz nähert sich langsam wirklich seinem Ende. Vor ein paar Tagen waren wir noch in Genua. Da haben wir 200 Menschen von den vier letzten Rettungen an Land gebracht. Und wie beim letzten Mal auch sind die Gesundheitsbehörden an Bord gekommen, haben alle Menschen untersucht und wir konnten sie an Land bringen, wo sie versorgt wurden.

Sie haben eine Dusche, bekommen was zu essen, neue Klamotten und wurden dann auf verschiedene Orte in Italien verteilt. Und wir hatten auch zwei Fälle an Bord, die wir an die Behörden gemeldet haben, die mussten sofort ins Krankenhaus, weil sie dringend untersucht werden sollten.

Aber als wir dann acht Stunden später zurückgekommen sind ans Boot, haben wir gesehen, dass die Patienten immer noch da waren. Das hat mich echt wütend gemacht. Das hat etwas von einer zweitklassigen Behandlung. Es war klar, dass diese Patienten sofort ins Krankenhaus kommen sollten und das ist einfach nicht passiert. Das hat mich echt geärgert. Nachts sind wir dann noch weiter gefahren Richtung Siracusa auf Sizilien, wo wir jetzt auch wieder sind.

Und wenn wir jetzt das Schiff wieder auf Vordermann bringen, putzen, Inventur machen, reparieren und auch schon Debriefing-Gespräche führen, bleibt für mich der Blick zurück: Was konnten wir ausrichten? 333 Menschenleben haben wir gerettet. Und natürlich löst das nicht das Grundproblem, dass Menschen fliehen müssen, dass es keine sicheren Fluchtwege gibt. Aber irgendwie mindert es doch das Leid auf dem Mittelmeer.

Und was bleibt, sind Frustration und Wut über die Steine, die uns in den Weg gelegt werden bei der NGO-Arbeit, beispielsweise von den italienischen Behörden durch die weit entfernten Häfen, die wir anfahren müssen. Und es bleibt die Reflexion darüber, was das für Menschen sind, die hier fliehen.

Durch viele Gespräche habe ich einiges mitbekommen, auch durch Gespräche mit anderen Crewmitgliedern. Die Fluchtgründe sind vielfältig. Aus verschiedensten Gründen fliehen Menschen aus ihren Heimatländern – oft sind es Gewalt, Krieg, Bürgerkrieg, politische Verfolgung. Und dann auf dem Weg erleiden sie oft noch Schlimmes.

Gerade in Libyen. Wir haben so viele Geschichten gehört. Gerade für Menschen, die aus anderen Ländern fliehen und in Libyen dann Zwischenstation machen, ist das kein Ort, an dem sich vernünftig leben lässt. Das Leben ist bestimmt von Zwangsarbeit, Gefängnis...

Und was auch bleibt, ist dieser Gedanke: Was wäre passiert, wenn wir nicht nach Genua hätten fahren müssen, wenn wir zum Beispiel die Anlandung der Menschen in Sizilien hätten machen können? Wir waren acht zusätzliche Tage unterwegs, um nach Genua zu fahren.

Das waren acht Tage, in denen wir nicht im Einsatzgebiet vor der libyschen Küste in internationalen Gewässern haben sein können. Und zurzeit ist kein anderes der großen Rettungsschiffe dort im Einsatz. Das heißt, es sind acht Tage, in denen Menschen, die in Seenot geraten, keine Rettung erfahren. Und das ist ganz konkret die Auswirkung der Politik, die uns Steine in den Weg legt.

Das war‘s erstmal von meinem Tagebuch von der Seenotrettung im Mittelmeer. Das nächste Mal melde ich mich mit einer Folge mit unserer Menschenrechtsbeauftragten, weil ich doch auch einige Fragen habe zum Kontext, zum Politischen. Warum das alles so läuft, wie es läuft. Bis dahin.

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