Trommel-Therapie gegen den Blues

An der Technischen Universität Chemnitz wird erforscht, wie man mit konsequenter Arbeit am Schlagzeug das Gehirn fit hält. Das soll auch bei der Behandlung von Menschen mit Depressionen helfen.

Von Thomas Trappe Veröffentlicht:
Trommeln, was das Zeug hält: Peter Wright, zusammen mit zwei Sporttherapeutinnen.

Trommeln, was das Zeug hält: Peter Wright, zusammen mit zwei Sporttherapeutinnen.

© Thomas Trappe

Manchmal wird die Forschung etwas lauter. So laut, dass sich die Nachbarn beschweren. Peter Wright, Sportmediziner an der TU Chemnitz, lässt auf dem Campus in einem würfelförmigen Bau seine wissenschaftlichen Mitarbeiter trommeln, manchmal macht er auch selbst mit, wie die Drum-Sticks an der Wand seines Büros andeuten.

Ein Experte in der Trommelforschung

Der englische Sportmediziner Peter Wright kam 2006 an die TU Chemnitz. An der University of Gloucestershire hatte er zuvor Erfahrungen in der Trommelforschung gesammelt. Beim englischen "Clem Burke Drumming Project" wurde der Fokus auf die physische Belastung von Schlagzeugern und damit einhergehende kognitive Effekte gerichtet.

Seit 2009 arbeiten die Wissenschaftler aus Chemnitz und Gloucestershire offiziell zusammen, Wright hat in Deutschland inzwischen ein eigenes Trommel-Netzwerk aufgebaut. Er kooperiert auch mit dem Bochumer Medizinprofessor Dietrich Grönemeyer.(tt)

Und eigentlich will Wright in Chemnitz mit dem Forschungsprojekt "The Drum Beat" die Nachbarn nicht nerven, im Gegenteil. Er hofft, in den Trommeln ein Instrument gefunden zu haben, das nicht nur Krach macht, sondern auch bei der Behandlung psychischer Erkrankungen gute Dienste leisten kann.

Der Engländer Wright kam 2006 aus England nach Chemnitz. An der University of Gloucestershire sammelte er zuvor schon Erfahrungen in der Trommelforschung. Trommeln kann den Puls antreiben, laut Wright bis auf 180 Schläge pro Minute.

Wichtiger sind ihm aber die Effekte, die das Trommeln im Hirn zeigt, messbar im Zuwachs von grauer und weißer Gehirnmasse. Viel mehr als bei anderen Instrumenten komme es beim Trommeln auf die Koordination beider Hände und damit Gehirnhälften an, erklärt Wright.

Hochleistungssport für das Gehirn

Vor allem die sogenannte Überkreuzkoordination, zum Beispiel das Trommeln mit der rechten Hand links des Körpers und umgekehrt, sei "Hochleistungssport für das Gehirn". Zellen vernetzten sich, auch die Aktivität zwischen beiden Gehirnhälften ließe sich steigern.

Wright arbeitet gerade noch am Versuchsaufbau und kann auf andere Studien zurückgreifen. So wies bereits 2004 ein Regensburger Forscherteam um den Neurologen Bogdan Draganski nach, dass Überkreuzkoordinationen Hirnstrukturen ändern.

Mittels Magnetresonanz-Untersuchungen untersuchte Draganski die Effekte dreimonatiger Jonglier- Übungen. Sie zeigten sich in einem deutlichen Zuwachs der grauen Gehirnmasse, also einer stärkeren Vernetzung von Hirnzellen. Wissenschaftler aus Oxford weiteten die Studie aus und konnten 2009 nachweisen, dass auch die weiße Gehirnmasse, also die Masse der Nervenfasern, beim Jonglieren anwächst.

Auch bei Depressionen und Burnout?

Doch was bringt das depressiven Patienten? Ortstermin am Klinikum Coralobad am Ende der Stadt, eine Rehabilitationsklinik für Psychosomatische Erkrankungen und psychische Störungen. In der Turnhalle findet seit mehreren Wochen ein Pilotprojekt der TU statt, drei Frauen mit Depressionen und Burnout stehen vor großen Gummibällen, die auf Plastik-Blumenkübel gebettet sind und auf die es zu trommeln gilt.

Im Hintergrund läuft "Hitch" von Will Smith. Zwei Sporttherapeutinnen der TU hauen auf die Bälle, die Patientinnen tun es ihnen nach. Eine der Patientinnen, ihren Namen will sie für sich behalten, leidet unter Stress am Arbeitsplatz, hatte ein akutes Burnout.

Nach einer Stunde Training, Blut-, Atemgas- und Herzfrequenzmessung erzählt sie, dass sie recht ausgepowert sei und sie sich jetzt besser fühle. Dass Joggen bei ihr den gleichen Effekt hätte, kann sie aber nicht ausschließen.

Therapieoption bei Schwankschwindel

Chefarzt Dr. Markus Bassler ist trotzdem überzeugt, dass in der Therapie "mehr steckt, als auf den ersten Blick ersichtlich". Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie knüpft an Wrights Erklärungen zu den kognitiven Effekten des Trommelns an. So könne, zum Beispiel, der bei Angstpatienten häufig auftretende Schwankschwindel therapiert werden, da er Folge einer zentralen Verarbeitungsstörung im Gehirn sei, sagt er.

Das ist Symptombekämpfung, doch Bassler hofft auf wesentlich mehr Erfolge durch die Trommel-Therapie. Für Therapeuten sei oft das größte Hindernis bei der Behandlung depressiver Patienten deren Verschlossenheit, die sich im Laufe der Krankheit aufbaut. Die Aktivierung ganzer Hirnareale könnte einhergehen mit der Öffnung des Patienten. "Das Trommeln könnte damit die affektive Zugänglichkeit des Patienten erhöhen", meint Bassler.

Professor Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, betont, dass es für eine Besserung der Patienten-Therapeuten-Beziehung durch die kognitiven Effekte des Trommelns zwar nur "eine geringe Evidenz-Basis" gebe, die These aber "nicht unwahrscheinlich" sei.

Hippocampus wächst beim Trommeln

Eine Schwäche der Musiktherapie sei schlicht, dass es auf dem Feld kaum neurologische Studien gebe. "Dafür ist diese Therapieform zu etabliert", sagt Meyer-Lindenberg und meint, dass sie deswegen kaum noch wissenschaftlich hinterfragt wird, also auch nicht verifiziert werden kann.

Das Chemnitzer Projekt könnte, so hofft er, belastbare Daten für die Therapie-Forschung bringen. Für den Experten liegen die Vorteile der Trommel-Therapie vor allem in der Kombination von Bewegungs- und Musiktherapie. Alleine die körperliche Anstrengung beim Trommeln führe dazu, dass der Hippocampus wachse, "eine Hirnregion, die gerade bei der Behandlung von Depressionen sehr wichtig ist".

Allerdings sei genau wie dieser Effekt auch die Veränderung grauer und weißer Gehirnmasse kein dauerhafter. Ein initiierender aber schon: "Durch das Trommeln in der Gruppe kann ein nonverbaler Kanal aufgebaut werden, den der Therapeut dann weiter nutzen kann."

Für unmusikalische Menschen mit Depression wahrscheinlich ungeeignet

Meyer-Lindenberg stellt allerdings unmissverständlich klar, dass "allein vom Trommeln keine Depression verschwindet". Vielmehr bedarf es einer "sehr individuellen" Betrachtung der Patientengeschichte, um die Therapie einzubinden, als Ergänzung zur medikamentösen Behandlung oder etwa therapeutischen Gesprächen, sagt er.

Im schlimmsten Fall könnte das Trommeln sogar kontraproduktiv sein. "Es gibt ja auch unmusikalische Menschen, und es gibt auch solche, die Musik regelrecht als Qual empfinden. "Für Patienten also, die unter dem Lärm der Großstadt leiden, sei eine Trommeltherapie wahrscheinlich der falsche Ansatz.

Peter Wright denkt derweil schon über weitere Einsatzmöglichkeiten von Drum-Sticks nach. So wurde Trommeln auch schon zur Konzentrationssteigerung im fächerübergreifenden Unterricht an Chemnitzer Schulen eingesetzt. Gerade ist er dabei, in Chemnitz eine Art Freizeithaus mit Forschungscharakter zu planen, im "House of Rock", sollen Wissenschaftler, Vereine und Unternehmer beim Trommeln zusammentreffen. "Es gibt da viel Potenzial", meint Wright.

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