Helau und Alaaf

Vom Hausarzt zu Prinz Karneval

Hausarzt und passionierter Karnevalist: Das ist Dr. Hans-Dieter Grüninger. Mit dem Amt des „Prinzen vom Aesculap-Stab“ hat er sich einen Lebenstraum erfüllt – und sorgt unter seinen Patienten für Gesprächsstoff.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Mittendrin: "Prinz Hans-Dieter I. vom Aesculap-Stab" und seine Prinzessin Monika gemeinsam mit ihrem Hofstaat.

Mittendrin: "Prinz Hans-Dieter I. vom Aesculap-Stab" und seine Prinzessin Monika gemeinsam mit ihrem Hofstaat.

© Grüninger

NEU-ISENBURG. Als er seinen Doktortitel eintauschte, ging für Dr. Hans-Dieter Grüninger ein Lebenstraum in Erfüllung.

Er hängte den Arztkittel an den Nagel, schlüpfte in Smoking und Fliege - und wurde vom Hausarzt zu "Prinz Hans-Dieter I. vom Aesculap-Stab".

"Prinz Karneval zu werden, das war schon immer ein großer Traum von mir", sagt Grüninger. Bei dem Gedanken an die vergangene Karnevalssaison leuchten seine Augen noch immer.

In den Jahren seiner Niederlassung - bis zu zwölf Stunden am Tag war er in seiner Praxis in Boppard tätig - sei das Amt aus Zeitgründen jedoch nie in Frage gekommen.

Mit der Schließung seiner eigenen Praxis 2014, ausgerechnet im Jubiläumsjahr seiner Karnevalsgesellschaft Schwarz-Gold Baudobriga, kam dann seine Chance: Der Hausarzt und seine Frau Monika wurden das Prinzenpaar von Boppard.

Dabei haben Arztsein und das Engagement im Karnevalsverein für Grüninger schon immer zusammengehört. Beides hat sein Leben in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend geprägt: 1980 hat sich der heute 69-Jährige als Hausarzt im rheinland-pfälzischen Boppard niedergelassen.

"Zeitgleich wurde ich vom Elferrat angesprochen", erzählt er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Als geborener Rüsselsheimer habe er sich zwar immer mehr der Mainzer Fastnacht verbunden gefühlt, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Nichtsdestotrotz stand das Engagement schnell fest: Grüningers Eltern waren bereits Karnevalsfreunde, sein Vater bei seinem damaligen Arbeitgeber Opel im Elferrat, und so war der Besuch von Sitzungen und Umzügen schon in der Kindheit eine Institution.

 "Ausgleich zur stressigen Praxistätigkeit"

"In all den Jahren war der Karneval für mich immer ein Ausgleich zur stressigen Praxistätigkeit", erzählt Grüninger. Auch heute, wo die eigene Praxis geschlossen ist, ist er weiter als Partner in einer Praxis in Bad Salzig tätig, hat als engagierter Berufspolitiker - Grüninger ist unter anderem Vize-Vorsitzender des Hausärzteverbands Rheinland-Pfalz - viele Sitzungen und Termine zu absolvieren.

"Ich habe ein strammes Programm", sagt er. "Aber der Karneval kann auch helfen, die Batterien wieder aufzuladen. Er ist ein kompletter Gegensatz zum Alltag, macht Freude und lenkt ab."

Er könne sich vorstellen, dass auch andere Ärzte oder Psychotherapeuten gut beraten wären, sich als Jecken zu probieren: "So kann man den Alltag einmal im Jahr völlig vergessen."

Tatsächlich bestätigt Psychologe Professor Alfred Gebert aus Münster diese Empfehlung: "Karneval ist der kontrollierte Ausbruch aus der Vernunft. Wir machen einen kleinen Urlaub vor uns selbst", erklärte er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

In dieser Wirkung sei das Karnevalfeiern nicht zu unterschätzen. "Viele Menschen haben heutzutage einen stressigen Beruf, der von Routinetätigkeiten geprägt ist. Da braucht es mindestens einmal im Jahr einen solchen Ausbruch, um dauerhaft gesund zu bleiben", so der Psychologe.

Dabei konnte auch das lustige Treiben neben dem Praxisalltag bisweilen arg stressig sein, erinnert sich der Karnevalist: "Traditionell eröffnen wir die Sitzung bei uns etwa mit einem Tanz", erzählt er.

Gut ein Dutzend Männer trainiert dafür schon Monate vor der Sitzung, damit die Choreografie sitzt. "Das ist zwar immer eine sehr gute Abwechslung, wenn ein Haufen Männer miteinander spaßt. Aber doch auch immer zeitaufwendig."

Seit einigen Jahren ist Grüninger nun bereits vom Tanz "befreit", aus gesundheitlichen Gründen hat er quasi ein "Attest". Zu tun bleibt dennoch genug: Vor dem Umzug muss der Elferratswagen hergerichtet, nach den Sitzungen die Halle gesäubert werden.

Hinzu kommen zahlreiche Umzüge: Rund ein Dutzend Veranstaltungen kamen im Prinzenjahr zusammen, und am Montagfrüh warteten die Patienten im vollen Wartezimmer. "Glücklicherweise", sagt Grüninger mit einem Lachen, "habe ich ja immer den Sonntag zum Auskurieren."

Wer feiern kann, kann auch arbeiten

"In Zivil": Dr. Hans-Dieter Grüninger und seine Frau Monika.

"In Zivil": Dr. Hans-Dieter Grüninger und seine Frau Monika.

© Kötter

Auch seinen Patienten hat der Sonntag scheinbar immer gereicht: Dass sich jemand vom anstrengenden Faschings-Wochenende nicht auskurieren konnte und montags dann mit der Bitte um eine AU-Bescheinigung vor dem Hausarzt saß, sei in den 35 Jahren noch nicht vorgekommen.

Dass die Sitzung Thema im Arzt-Patienten-Gespräch wurde, dafür umso mehr: "Natürlich bin ich nach den Sitzungen nicht nur Arzt, sondern auch ein Stück weit Sprachrohr. Viele Patienten sprechen mich auf die Qualität der Reden an - auch, wenn mal was danebengegangen ist", sagt Grüninger.

Umgekehrt hat er bei seinen Auftritten als Prinz Karneval immer speziell nach Patienten im Publikum Ausschau gehalten: "Da muss ich schon besonders freundlich lächeln, und habe dann auch öfter einmal eine extra Rose verteilt."

Als Prinz Karnveal und Hausarzt - heute behandeln fünf Niedergelassene in der 15.000-Einwohner-Gemeinde - ist Grüninger, wie er selbst sagt, "schon eine Person des öffentlichen Lebens". Und beide für ihn so wichtigen Bereiche werden immer wieder Gesprächsthema, in der Praxis, aber auch in der Bütt'.

Es gibt keine validen Daten, wie viele Ärzte aktiv im Karneval sind. Im Hunsrück ist Grüninger nach eigenen Angaben jedoch der einzige Arzt, der sich so aktiv im Karnevalsverein engagiert.

Nichtsdestotrotz: Am Montag ist Grüninger wieder Arzt. "Für mich sind das zwei Rollen, zwischen denen ich ganz gut umschalten kann", sagt er. Den Patienten, mit denen man am Wochenende womöglich noch getrunken und gescherzt hat, am Montag wieder seriös gegenüber zu sitzen, sei nie ein Problem gewesen, so Grüninger.

Spekulationen um das Prinzenpaar

Für besonderen Gesprächsstoff hat er in seinem Prinzenjahr gesorgt: Denn weil es in der alten Tradition aus der Zeit seiner Schwiegereltern - sie waren vor genau 50 Jahren das Prinzenpaar - so üblich war, haben sich Grüninger und seine Frau dazu entschieden, das Prinzenpaar bis zuletzt geheim zu halten.

"Natürlich waren die Spekulationen das Gesprächsthema schlechthin", sagt er schmunzelnd, "auch in der Praxis." Doch das Paar hat sich bemüht, nichts durchblicken zu lassen - bis "Hans-Dieter I. vom Aesculap-Stab" und seine "Monika I. vom Eisenstein" dann mit großer Blaskapelle vor der Stadthalle empfangen wurden.

Der Überraschungseffekt war der Auftakt für ein unvergessliches Jahr. Und - erneut - viel Arbeit: Bei befreundeten Elferräten mussten speziell auf die jeweilige Karnevalsgesellschaft abgestimmte Reden gehalten , Orden und Wurfmaterial mussten besorgt werden.

In seinem eigenen Orden (siehe links) wurde dann auch einmal mehr die Verknüpfung zum Arztsein deutlich: Die Aesculap-Schlange windet sich darauf um ihren Stab. "Das war für mich nie eine Frage", sagt Grüninger. "Arzt und Karneval, das sind beides so bedeutende Teile meines Lebens." Über der Schlange thront, in Form eines Sterns, der erste Orden seiner Karnevalsgesellschaft.

Und auch Kosten haben sich neben den Zeitressourcen angehäuft: Die Orden - rund 150 Stück hat er in seinem Prinzenjahr verteilt - mussten angefertigt werden, außerdem kümmert sich das Prinzenpaar um eigenes Wurfmaterial und Kostüme.

Auch bei diesen ist das Ehepaar nicht der rheinischen Tradition mit ihren weißen Pumphosen, sondern alten Bräuchen gefolgt: Er ist im Smoking zum Prinz geworden, sie trug ein elegantes Abendkleid.

"Trotz der vergleichsweise einfachen Kostüme kamen wir noch auf eine fünfstellige Summe", gesteht der Hausarzt. Und das sei bereits die Hälfte der Ausgaben des vorherigen Prinzenpaares gewesen.

Der Hofstaat übrigens kam aus der Familie: Zwei Enkelinnen, Tochter und Schwiegertochter begleiteten das Paar bei ihren Auftritten.

Hut am Heizpilz entzündet

Erlebt haben sie in dem Jahr allerhand. "Einmal", erzählt Grüninger und lacht, "habe ich nach dem Umzug noch Getränke in einer Kneipe geholt. Auf meiner Mütze habe ich, wie es sich für den Prinzen gehört, drei Federn getragen.

Doch als ich mich über die Theke gebeugt habe, habe ich nicht gesehen, dass dort auch ein Heizpilz stand - und so habe ich mir kurzerhand die Federn angesengt."

Heute lacht er darüber, damals konnte glücklicherweise der Vorjahresprinz aushelfen, der seine Federn noch aufgehoben hatte. "Wo hätte ich denn sonst am Wochenende Federn herbekommen?" Mit dem Malheur wurde der Hausarzt sogar Gegenstand einer Glosse in der Lokalzeitung.

In seinen 35 Jahren im Elferrat hat Grüninger einiges erlebt: Karaoke hat er gesungen, getanzt, Reden gehalten - und das in den verschiedensten Rollen. Ein ganz besonderes Kostüm? "In einem Jahr bin ich als Frau aufgetreten", sagt er mit verschmitztem Grinsen.

"Passend zum Thema Western habe ich damals Hut, Rock und Stöckelschuhe getragen - und bin mit denen nach unserem Karaoke-Auftritt sogar noch von einem kleinen Podest gesprungen." Ein wenig Stolz ist aus den Worten des 69-Jährigen deutlich herauszuhören. Und natürlich sei der kuriose Auftritt im Anschluss auch Thema etlicher Arzt-Patienten-Gespräche gewesen.

Doch nicht nur im Sprechzimmer, auch auf der Bühne sorgt die Verknüpfung von Arzt und Faschingsprinz für Heiterkeit: Er selbst habe sich zwar noch nie als Arzt verkleidet - wozu auch, den Kittel trage er jeden Tag.

"In den Jahren haben Kollegen aber immer mal wieder medizinische Büttenreden gehalten, und immer mit einem Augenzwinkern zum Hausarzt vor Ort." Grüninger hat dann mit der entsprechenden Ausrüstung geholfen: Kittel, Stethoskop oder Verbandsmaterial wanderten da von der Praxis in die Bütt‘.

Mittlerweile ist Grüninger dienstältester Elferrat. Kaum einer hat in Boppard so viele Karnevalssitzungen und Umzüge miterlebt wie er. Er kennt alle ungeschriebenen Gesetze des Vereins, und trägt diese verantwortungsvoll an die Jungen weiter.

"Die sind zum Teil noch zu aufgedreht, da muss man als Dienstältester schon ein wenig maßregeln." Ein Ende seines Engagements im Karnevalsverein sieht er nicht kommen.

Weißes Band als Trophäe

So blickt Grüninger nun diesem Wochenende entgegen. Auch in diesem Jahr steht er als Mitglied des Elferrats auf der Bühne. Während des Umzugs - in Boppard findet dieser traditionell am Abend statt - sitzt er auf dem Wagen des Elferrates.

Einen neuen Prinz Karneval wird es nicht geben, er wird erst wieder im nächsten Jubiläumsjahr gewählt. Und so kommt Grüninger als weiterhin amtierendem Prinzen weiter eine besondere Rolle zu, auch wenn das Kostüm nicht mehr getragen wird.

In diesem Jahr ist in Boppard Western das Thema. Grüninger wird aber nicht, wie er es vor rund zehn Jahren gemacht hat, als tanzende Western-Lady verkleidet sein. Er wird seine Elferrats-Uniform tragen - so wie seine Kollegen.

Nur eines unterscheidet ihn von den anderen: Auf seiner Mütze prangt ein weißes Band. Karneval-Profis verrät es, dass Grüninger einmal Prinz war. Und den Hausarzt erinnert es an den erfüllten Lebenstraum.

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