Fitness-Bewegung
Vom Ursprung der "Mucki-Buden"
Fitness im 19. Jahrhundert: Mit seinen Geräten für eine "medico-mechanische Therapie" hat der schwedische Arzt Dr. Gustav Zander das Fundament für die heutige Fitness-Bewegung gelegt.
Veröffentlicht:BERLIN. Gustav Zander hätte wohl seine helle Freude, wenn er sehen könnte, wie sich seine Sportapparate von einst im Laufe von 150 Jahren entwickelt haben.
Die Anfänge des Gesundheitssports an Geräten reichen nämlich bis Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Nach diversen Testläufen gründete der schwedische Arzt Dr. Gustav Zander 1865 sein erstes Institut zur "medico-mechanischen Therapie".
Diese ermöglichte dosierte und isolierte Übungen zum Training einzelner Organe, Muskeln oder Gelenke. Ab 1877 erfolgte die industrielle Herstellung der Apparate, welche in der Folgezeit technisch überarbeitet und weiterentwickelt wurden.
1905 konnte man sich an 76 Geräten dem "Zandern" hingeben, unter anderem auch auf luxuriösen Passagierschiffen.
Besonders beeindruckend: der sogenannte "Zanderapparat F2", der mit 180 Schwingungen pro Minute "Erschütterungen im Reitsitz" bewirkte - zur Anregung des Verdauungsapparates. Vor dem Ersten Weltkrieg sollen in Deutschland jährlich 100 000 Menschen die 79 Zander-Institute besucht haben.
Auch andere Fitness-Trends von heute haben ihren Ursprung in der zumeist bürgerlichen Lebensreform-Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts.
Licht- und Luftbäder überall in Deutschland
Aktivitäten an der frischen Luft - oder auch bei offenem Fenster - wurden als Ausgleich zur zunehmend industrialisierten Umwelt verstanden. Es entstanden zahlreiche Kraft- und Kunststätten; 1906 existierten allein deutschlandweit 105 sogenannte Licht- und Luftbäder.
Die zumeist städtischen Fitness-Schulen um 1900 waren in der Regel sieben Tage die Woche von früh bis spät geöffnet und nicht nur wochentags ein paar Stunden wie die meisten Turnvereine.
Als Klientel wurde in der Regel "der Student, der Bankangestellte, überhaupt jeder, der den Tag in dumpfer Büroluft verbringt", angesprochen, wie ein Chronist notierte.
Die Fitness-Anlagen besaßen Trainingssäle, Umkleidekabinen, Massage- und Duschräume sowie ein Lesezimmer. Einige verfügten darüber hinaus noch über Freigelände und Schwimmbäder.
Als typische Einrichtung aus dieser Zeit kann die Wiener "Athletenschule" von Georg Jagendörfer gelten, die 1907 folgendermaßen beschrieben wurde: "Der Übungssaal selbst ist gut ventiliert und mit Nadelwaldgeruch durchdämpft. Auf acht Hantelregalen lagern für jedes Kraftmaß und für alle Altersstufen schwere und leichte Hanteln und nahezu 4000 Holzkeulen."
Aufgrund der sich rasch entwickelnden Sportgeräteindustrie besaßen die Fitness-Schulen bereits Utensilien, die auch in heutigen Studios anzutreffen sind.
Anzahl und Verbreitung der kommerziellen Sportstätten in Mittel- und Westeuropa sind nicht genau bekannt. In den Städten des Deutschen Reiches dürfte es zwischen 1890 und 1914 bis zu 100 dieser Einrichtungen gegeben haben.
Viele, denen das alles zu teuer war, trainierten zu Hause mithilfe der zahlreichen Fitness-Zeitschriften wie "Kraft und Schönheit" oder Do-it-Yourself-Büchern.
Der dänische Turnlehrer Jens P. Müller löste 1904 eine Körperertüchtigungswelle ganz besonderer Art aus. Seine beliebten Übungshefte ("Nur ein Viertelstündchen") und der Bestseller "Mein System", welcher rund eine Million Käufer fand, brachten viele Leser zum "Müllern".
Neben 18 vorgeschriebenen Übungen - mit kaum Bekleidung - in freier Natur bestand das Programm aus Sonnenbädern und Abhärtungen im kalten Wasser.
Zum Kundenkreis gehörten beispielsweise der Schriftsteller Franz Kafka und seine Verlobte Felice, die "langsam, systematisch, gründlich, täglich zu müllern" anfingen.
Fitness-Literatur gab es in Mengen
Doch die ungeheure Menge an billig für den Markt produzierter Fitness-Literatur stellte sich bald als Problem heraus.
Schon 1910 wurde beklagt, dass das "Publikum vielfach ratlos vor der Unmenge Bücher und Broschüren steht und nur zu leicht geneigt ist, auf eine großsprecherische Reklame hereinzufallen".
Während des Nationalsozialismus‘ wurden Sport und Fitness-Training zwecks Heranzüchtung kerngesunder "Übermenschen" instrumentalisiert. Die Ideologie der Herrschenden lautete: kräftige, leistungsstarke Körper mit möglichst wenig Widerspruchs-Geist.
Dieser Kult um Körperkultur und Vorbehalte gegenüber "Modellathleten" waren letztlich auch Gründe dafür, dass nach dem Zweiten Weltkrieg - im Gegensatz zum traditionellen Vereinssport - kommerzielle Fitness-Anbieter in Deutschland zunächst keine Rolle spielten.
Erst 1955 eröffnete der Österreicher Harry Gelbfarb in Schweinfurt die erste "Mucki-Bude"; knapp 20 Jahre, nachdem Jack LaLanne 1936 mit seinem "Gym" moderner Prägung in San Francisco eine Weltpremiere gefeiert hatte.
Die erste große Fitness-Welle schwappte Anfang der 1980er Jahre von den USA nach Europa. Jane Fonda und Sydne Rome machten Aerobic in jedweder "Darreichungsform" populär.
In der Folgezeit wurden Fortbewegungsarten, die zwar nicht gänzlich neu, aber mit der englischen Endsilbe "-ing" und modernem Equipment gleich viel besser wirkten, zu Massenbewegungen: Aus dem Trimm-Trab entstand Jogging, Rollschuhlaufen hieß fortan Inline-Skating, und der zügige Spaziergang avancierte zum Power-Walking.
Doch manchmal entpuppte sich der Marketing-Gag, Trends oder gar Booms zu proklamieren, sobald zwei oder drei Personen das Gleiche tun, als Mega-Flop. An Rope-Skipping, die ultimative (R)Evolution des Seilhüpfens, erinnert sich heute beispielsweise kaum noch jemand.
Inzwischen gibt es einen anderen Trend, bei dem "sanfte" Körperpraktiken" in den Fokus rücken. Diese sogenannten "Mind-Kurse" wie etwa Hatha Yoga, sollen statt Leistungsoptimierung das Gefühl wohltuender Entspannung vermitteln.