Interview zu Trisomie 21
„Wenn ich lese, Menschen mit Down-Syndrom leiden, werde ich fuchsteufelswild“
Die Schauspielerin Carina Kühne hat Trisomie 21. Im Interview erzählt sie von Hindernissen, ihrer ersten Rolle, fehlendem Lampenfieber – undwarum sie nicht Kindergärtnerin geworden ist.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Ein Leben mit Down-Syndrom? Ein ganz normales Leben?
Carina Kühne: Wenn ich in der Zeitung lese, Menschen mit Down-Syndrom würden unter ihrer Behinderung leiden, werde ich fuchsteufelswild. Wir leiden nur unter der Ablehnung der Gesellschaft und der fehlenden Chancengleichheit.
Meine Mutter hat mich nie anders behandelt als meinen acht Jahre älteren Bruder. Der hat mich überall mit hingenommen. Zu den Vorlesungen an der Uni und ins Krankenhaus, wo er als Narkosearzt arbeitet. Mein Bruder hat immer gesagt: „Wer meine Schwester nicht akzeptiert, ist nicht mein Freund.“ Das berührt mich sehr.
Wann haben Sie gemerkt, dass sie anders sind?
Was heißt anders? Ich lebe mit meiner Behinderung und weiß gar nicht, wie es anders sein sollte. Verletzende Bemerkungen wie „Du kommst von einem anderen Stern“ können nur von Menschen kommen, die gar nicht verstehen, was das Down-Syndrom überhaupt bedeutet. In Wirklichkeit fühle ich mich ganz normal. Ich habe die gleichen Bedürfnisse, wie andere Menschen auch. Und ich hatte von Anfang an eher einen Freundeskreis von Menschen ohne Behinderung.
Der Kurzfilm „Ich auch“, in dem Sie mitspielen, thematisiert sexuelle Übergriffe auf Menschen mit Behinderungen.
Mir persönlich ist es zum Glück nie passiert. Es ist aber ein wichtiges Thema. Trotzdem habe ich lange überlegt, ob ich mitmache. Der Film spielt in einer Behindertenwerkstatt und von Behindertenwerkstätten halte ich nicht so viel. Ich habe immer inklusiv gelebt.
Ich war im Regelkindergarten und in der Regelschule und habe schon in vielen unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. In einer Arztpraxis oder in einem Café als Servicekraft. 19 Monate habe ich mich in einem Waldorfkindergarten mit frühkindlicher Entwicklungspädagogik beschäftigt. Die Arbeit mit den Kindern hat wirklich viel Spaß gemacht.
Warum sind Sie Schauspielerin und nicht Kindergärtnerin geworden?
Ich wäre gerne Kindergärtnerin geworden. Doch ich konnte die Ausbildung nicht machen, weil ich nur einen Hauptschulabschluss habe. Als Mensch mit Down-Syndrom muss man eben kämpfen. Ich sollte zunächst auf die Sonderschule. Als ich dann doch an die Regelschule durfte, machte mir meine Klassenlehrerin das Leben schwer.
Ich durfte nicht an der Radfahrprüfung teilnehmen und im Mathematikunterricht nicht die gleichen Aufgaben wie die anderen machen. In solchen Momenten dachte ich immer: Jetzt erst recht! Ich will beweisen, dass ich etwas kann. Und ich habe die Schule geschafft. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Wie stehen Sie zu dem umstrittenen Bluttest auf Down-Syndrom?
Der Test dient eindeutig der Selektion. Die gab es schon unter den Nationalsozialisten. Da galten wir als „lebensunwert“. Mit dem Test sollen Menschen mit Down-Syndrom „aussortiert“ werden. Schon jetzt werden neun von zehn Föten mit Down-Syndrom abgetrieben. Das macht mich sehr traurig.
Daran merkt man, nicht gewollt zu sein. Sind wir denn wirklich so schrecklich? Ich würde mein Kind so akzeptieren, wie es ist und es lieb haben – auch, wenn es kein Designer-Baby ist. Deswegen bin ich auch gegen die Fruchtwasseruntersuchung.
Ist es für gläubige Menschen einfacher, ihr Kind als „von Gott gewollt“ zu akzeptieren?
Für meine Familie trifft das zu. Wir glauben an Gott. Nach meiner Geburt hat meine Tante immer gebetet, dass der liebe Gott mir eine Gabe schenken möge. Wir sind fest davon überzeugt, dass ihr Gebet erhört wurde.
Über den roten Teppich sind Sie ja schon gelaufen?
(Lacht). Der Film „Be my Baby“ hat gleich mehrere Preise bekommen. Wir sind zur Vorführung in der Limousine vorgefahren. Danach kamen weitere Anfragen. Ich habe große Rollen in Serien gespielt, wie in „In aller Freundschaft“ oder „Die Bergretter“. Dann bekam ich ein Angebot vom GRIPS Theater. Eine Hauptrolle in „Cheer out loud“, einem Stück, in dem es um Inklusion geht. Meine erste Bühnenrolle. Es ist ein Wahnsinnsgefühl im Rampenlicht zu stehen!
Wie kamen Sie zur Schauspielerei?
Die Regisseurin des Filmes „Be my baby“ hatte lange nach der passenden Hauptdarstellerin gesucht und durch Zufall meine Homepage als Inklusionsaktivistin im Internet entdeckt. Theater wollte ich aber schon immer spielen. Schon in der Schule war ich in einer Theater AG. Das ist wirklich mein Ding.
Es macht mir wahnsinnigen Spaß, mich in Rollen hineinzuversetzen und auch zu improvisieren. Lampenfieber kenne ich eigentlich nicht. Obwohl ich keine Schauspielausbildung habe, durfte ich mit bekannten Regisseuren wie Florian Henckel von Donnersmarck arbeiten. An den staatlichen Schulen werden leider keine Schauspieler mit Down-Syndrom akzeptiert.
Welchen Traum würden Sie sich gerne erfüllen?
Eine Rolle in der Serie „Das Traumschiff“! Ich würde auch gerne mal eine Nicht-Behinderte spielen. Die Prinzessin oder die böse Königin. Oder eine Tatverdächtige in einem Krimi.