Ungenaue Statistik
Ärzte kritisieren Zerrbild der Diabetesversorgung in Kliniken
Die Zahl der Diabetespatienten in Krankenhäusern fällt in Statistiken deutlich zu niedrig aus, beklagen Diabetologen. Ein Grund dafür sei, dass in den Erhebungen nur Patienten mit der Erstdiagnose Diabetes erfasst würden.
Veröffentlicht:Berlin. Nahezu jeder fünfte Krankenhauspatient in Deutschland ist laut einer aktuellen Studie der Universität Ulm an Diabetes mellitus erkrankt. Die Zahl bezieht sich auf alle Krankenhausfälle ab einem Alter von 20 Jahren.
Der Anteil von Männern war den Angaben zufolge mit knapp 20 Prozent deutlich höher als der von Frauen – bei ihnen lag der entsprechende Anteil bei knapp 15 Prozent. Die Ulmer Forscher werteten für ihre Analyse die Klinik-Fallpauschalen der Jahre 2015 bis 2017 aus.
Studienautorin Marie Auzanneau betonte, bisher habe es noch keine umfassenden Daten zu dem Thema gegeben. Untersucht worden sei im Rahmen der Studie auch die Häufigkeit der verschiedenen Diabetestypen. Von den insgesamt 3,1 Millionen Krankenhauspatienten mit Diabetes seien demnach im Jahr 2017 mehr als 2,8 Millionen an einem Diabetes mellitus Typ-2 erkrankt gewesen, erläuterte die Wissenschaftlerin.
Erheblicher Versorgungsbedarf
„Auffällig war, dass die Verweildauer und Sterblichkeit unter den Krankenhausfällen mit Diabetes höher lag als bei denjenigen ohne Diabetes“, sagte Professor Reinhard W. Holl.
Es habe sich zudem gezeigt, dass die Prävalenz des Diabetes doppelt so hoch lag wie bei der Allgemeinbevölkerung. „Das belegt die hohe diabetesassoziierte Sterblichkeit und verdeutlicht den erheblichen stationären Versorgungsbedarf von immer älter werdenden multimorbiden Diabetespatienten.“
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) mahnte, dass aus den vorgelegten Zahlen rasch Konsequenzen zu ziehen seien. „In vielen bisher publizierten Statistiken zum Thema wird lediglich die Hauptdiagnose Diabetes aufgeführt, aber das spiegelt das reale Bild nicht wider“, führte der Sprecher der Kommission Epidemiologie und Versorgungsforschung der DDG, Professor Andreas Fritsche, zur Begründung aus.
Die Ulmer Studie zeige, dass die reale Zahl der stationären Diabetespatienten 15 Mal höher liege als in manchen Publikationen zu hospitalisierten Diabetespatienten in Deutschland, rechnete Fritsche vor. Die Versorgung von Patienten mit einer Nebendiagnose Diabetes sei aber ebenso aufwändig wie bei den Patienten, die mit der Hauptdiagnose Diabetes in einem Krankenhaus behandelt werden müssten. Beide Patientengruppen bräuchten eine „qualifizierte Therapie“, machte Fritsche deutlich.
Am Beispiel der COVID-19-Fallzahlen zeige sich, wie unterschiedlich sowohl bei der Erfassung als auch bei Berichterstattung vorgegangen werde, sagte Fritsche. Jeder per PCR-Test positiv getestete hospitalisierte Patient werde vom Robert Koch-Institut (RKI) als ein COVID-19-Fall erfasst. Dabei sei ein nicht unerheblicher Teil dieser Patienten wegen einer anderen Hauptdiagnose ins Krankenhaus eingeliefert worden, betonte Fritsche.
So verfahren wie bei COVID-19
Es stelle sich daher die Frage, so Fritsche, warum bei Diabetespatienten in Deutschland nicht genauso verfahren werde. „Bisher berichtet das RKI bei den stationären Diabeteszahlen nur von Patienten mit einer Hauptdiagnose – dies ergibt aber ein einseitiges Bild.“ Das Robert Koch-Institut solle die Diabetes-Berichterstattung deshalb künftig nach den gleichen Kriterien vornehmen wie bei COVID-19, forderte Fritsche.
Auf diese Weise ließe sich die tatsächliche Belastung der Krankenhäuser durch stationäre Diabetespatienten genauer erfassen und einschätzen, stellte der Diabetologe fest.