COVID-19-Pandemie
Ärztevertreter sehen das Heil nicht nur in der Corona-Inzidenz
Die Inzidenz als alleiniger Gradmesser in der Pandemie hat laut Gesundheitsminister Jens Spahn ausgedient. Künftig soll die Hospitalisierungsrate eine größere Rolle spielen. Ärzte begrüßen das Ansinnen.
Veröffentlicht:Berlin. Ärzte haben den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), nicht mehr ausschließlich auf die 50er-Inzidenz als Indikator in der Corona-Pandemie abzuheben, als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. „Es müssen weitere Kennzahlen eingebracht werden, um die Lage adäquat beurteilen und daraus Handlungsoptionen für politische Entscheidungen ableiten zu können“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen am Dienstag.
Eine wichtige Kennzahl sei die Belegung der Intensivbetten mit COVID-19-Patienten. Hinzukommen müssten aber auch Parameter wie regionale Impfquoten oder die Altersstruktur der Infizierten, „um ein umfassendes Gesamtbild zu erhalten“.
Belastung richtig abbilden
Ähnlich äußerte sich der Chef des Deutschen Hausärzteverbands Ulrich Weigeldt. Die Hospitalisierungsrate stärker zu berücksichtigen, dafür sei es „höchste Zeit“, sagte Weigeldt der „Rheinischen Post“ (Dienstag). Es gehe darum, die Belastung des Gesundheitswesens abzubilden. „Diese ist im Moment moderat, und sie wird vor allem durch Personen verursacht, die nicht geimpft sind.“
Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt sprach sich ebenfalls dafür aus, die Beurteilung der Corona-Lage auf eine breitere Grundlage als allein auf die Inzidenz zu stellen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Spahn und andere Kabinettsmitglieder hatten eine Anpassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Aussicht gestellt. Das Gesundheitsministerium arbeite dazu einen Gesetzesvorschlag aus, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Letztendlich zuständig ist der Bundestag. Spahn hatte betont, die Inzidenz habe für eine ungeimpfte Bevölkerung gegolten.
Mix von Parametern nötig
Kritik übte der FDP-Gesundheitspolitiker und Infektiologe, Professor Andrew Ullmann. „Falls sich die Bundesregierung jetzt nur noch auf die Hospitalisierungsinzidenz fokussiert, wird das fatal. Diese Inzidenz alleine ist nicht geeignet, vorausschauend zu handeln, sagte Ullmann der „Ärzte Zeitung“ am Dienstag. Es brauche einen Mix von Parametern. Dazu zählten Inzidenz, Hospitalisierung, „aber auch die Virulenz vorherrschender Virusvarianten und die Impfquote“.
Auch der SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl Lauterbach warnte davor, allein auf einen „nachgelagerten Warnwert“ wie den der Krankenhauseinweisungen zu schauen. „Alle ungeimpften Menschen, besonders die vielen Millionen Kinder, werden der Durchseuchung ausgesetzt, wenn wir alles laufen lassen“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Dienstag).
Spahn: Kein Lockdown für Geimpfte und Genesene
Laut IfSG müssen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz ab 50 „umfassende Schutzmaßnahmen“ greifen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Das Robert Koch-Institut gab die Inzidenz am Dienstagmorgen mit 58 an. Gesundheitsminister Spahn schloss einen neuerlichen Lockdown für Geimpfte und Genesene aus – es sei denn, es entwickele sich eine Virusvariante, gegen die Vakzine nicht helfen würden. Das sei momentan nicht zu erkennen, sagte Spahn in den „ARD-Tagesthemen“ am Montag.
Zudem betonte Spahn, niemand habe vor, die Inzidenz als Pandemie-Parameter komplett außer Acht zu lassen. Entscheidend sei jetzt, dass sich noch mehr Menschen impfen ließen. Mit Stand Mittwochmorgen hatten 49,2 Millionen (59,2 Prozent) der Bundesbürger den vollen Impfschutz. Via Kurznachrichtendienst „Twitter“ erklärte Spahn dazu am Dienstag: Jede zusätzliche Impfung helfe, die sich aufbauende vierte Welle abzuflachen. (hom/af)