Interview
„Alle Gesundheitssysteme in Europa sind besser als das der USA“
Es gibt in den USA keinen politischen Konsens, dass jeder Mensch das Recht auf eine Krankenversicherung haben muss, kritisiert Professor Reinhard Busse. Im Interview betont er: „Das US-System ist teuer und schlecht“.
Veröffentlicht:In den USA gibt es Millionen Bürger ohne Krankenversicherung. „Krankheitskosten werden in den Vereinigten Staaten als Privatangelegenheit wahrgenommen“, kritisiert Professor Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, im Interview mit der „Ärzte Zeitung“.
Ärzte Zeitung: Was ist aus ihrer Sicht das Kernproblem im Gesundheitswesen der USA?
Professor Reinhard Busse: Es gibt in den Vereinigten Staaten keinen politischen Konsens, dass jeder Mensch ein Recht auf eine Krankenversicherung haben muss. Millionen Menschen sind ohne Versicherung, viele sind unterversichert.
Wenn der neu gewählte Präsident Joe Biden sagt, dass er Krankenversicherungsschutz für alle Menschen will, dann kritisieren seine Gegner, das sei Sozialismus. Was für ein Quatsch!
Dieser Versicherungsschutz ist ein Menschenrecht, und das gilt für die ganze Welt. In den Vereinigten Staaten werden Krankheitskosten als Privatangelegenheit wahrgenommen. Das ist ein schlechtes Fundament für eine sozial gerechte Gesundheitsversorgung.
Immerhin wurde mit Obamacare ein positives Zeichen gesetzt…
Das stimmt. Obama hat sich mit seinem Gesetz sehr viel Mühe gegeben und es gibt durchaus Fortschritte, etwa, dass Millionen Menschen krankenversichert sind, die es vorher nicht waren.
Aber jetzt entscheidet der Supreme Court über die Zukunft von Obamacare, und es besteht die Gefahr, dass das, was erreicht wurde, wieder zurückgenommen wird. Man muss dabei auch im Blick behalten, dass Obamas Gesetz immer noch sehr viele Lücken hat.
Es wäre wohl am Ende schon ein Erfolg, wenn das Gesetz nicht abgeschafft wird. Ich bin vor dem Hintergrund dieser ganzen Entwicklung skeptisch, dass es in naher Zukunft zu einer Verbesserung kommt.
Professor Reinhard Busse
- Aktuelle Position: Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin
- Werdegang: wissenschaftliche Tätigkeiten u.a. in Madrid und London
- Ausbildung: Medizinstudium in Marburg, Boston und London
Wo sehen Sie das US-Versorgungssystem im internationalen Vergleich?
Um ehrlich zu sein: ganz weit hinten. Es geht dabei um die Frage, wie die Güte eines Gesundheitssystems gemessen wird. Dabei wird ein wichtiger Parameter relevant: Wie viele Sterbefälle gibt es in einem Land, die in einem gut funktionierenden Gesundheitssystem bei angemessener Krankheitsprävention oder Therapie hätten vermieden werden können?
Wenn man dazu die Entwicklung aller OECD-Länder in den vergangenen 20 Jahren vergleicht, dann wird klar, dass die USA hier immer weiter zurückgefallen sind. Und wenn dann noch die Kosten der Versorgung einbezogen werden, dann sieht man, dass das US-System nicht nur teuer, sondern sowohl teuer als auch schlecht ist.
Wenn Amerikaner die Frage stellen, welche Gesundheitssysteme in Europa besser sind als das der USA, dann muss man ganz ehrlich sagen: Alle!
Wir finden also im Versorgungssystem der USA nichts, was man bei uns übernehmen könnte?
Das würde ich so nicht sehen. Wir blicken natürlich bei dieser negativen Einschätzung immer auf den Mittelwert des ganzen Landes. Es gibt auch innerhalb der USA extreme Unterschiede. Das bedeutet, dass wir zum Beispiel Initiativen finden, die sehr gute Programme haben. Nicht umsonst hat sich etwa Helmut Hildebrandt mit seinem Projekt Gesundes Kinzigtal in den USA Vorbilder genommen.
Wir finden da durchaus innovative Ideen, die bisher allerdings noch nicht auf das ganze Land ausgerollt worden sind. Dazu gehören zum Beispiel Konzepte zur Qualitätssicherung oder zum populationsbezogenen Management, da können wir durchaus etwas lernen. Aber es gibt auch einen anderen Teil der Wahrheit: die Amerikaner selbst lernen in der Breite leider gar nichts.