Dienstherrin von fünf Gesundheitsministern

Angela Merkel wird 70 – die Kanzlerin der vielen Krisen

Im privaten Kreis feiert Merkel an diesem Mittwoch Geburtstag. In der Gesundheitspolitik hat sie keine bleibenden Spuren hinterlassen – auch wenn sie eine Zeit lang durchaus Reformehrgeiz besaß. Und dann kam auch noch Corona.

Bernhard WalkerVon Bernhard Walker Veröffentlicht:
Angela Merkel

Angela Merkel feiert an diesem Mittwoch ihren 70. Geburtstag.

© Carsten Koall/dpa/picture alliance

Nein, eine ausgewiesene Sozialpolitikerin ist Angela Merkel nie gewesen. Und das politisch heikle Terrain der Gesundheitspolitik hat die frühere CDU-Vorsitzende genauso gerne den Chefinnen und Chefs im BMG überlassen, wie es alle Bundeskanzler der Bundesrepublik getan haben. Dabei wäre es keineswegs überraschend gewesen, wenn Merkel eine leidenschaftliche Sozialpolitikerin geworden wäre.

Immerhin verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend an der Seite von Menschen mit Behinderungen. Ihr Vater betreute als Pastor den „Waldhof“ im uckermärkischen Templin, eine Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung, und lebte mit seiner Familie vor Ort. „Die Diakonie“, sagte Merkel 2017 bei einer Rede in der Potsdamer Oberlinkirche, „hat mich von Kindesbeinen an geprägt.“

Der Preis ehrgeiziger Reformvorhaben

Ihren politischen Werdegang prägten allerdings zunächst die Umwelt- und Familienpolitik, bevor Merkel dann im Jahr 2000 CDU-Vorsitzende und fünf Jahre später Kanzlerin wurde. Schon zuvor hatte sie beobachten können, wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) mit Schwierigkeiten kämpfen musste – mit steigenden Lohnnebenkosten, Löchern in der Rentenkasse und natürlich dem damaligen Aufregerthema der Gesundheitspolitik par excellence: der heftig umstrittenen Praxisgebühr.

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Dennoch scheute sich Merkel seinerzeit nicht, sich ins sozialpolitische Getümmel zu stürzen. Damals war sie eben noch eine ehrgeizige Reformerin und setzte gegen den erbitterten Widerstand von Norbert Blüm, dem Nestor christdemokratischer Sozialpolitik, in der Union die Idee der Kopfpauschale im Gesundheitswesen durch. Auch tat Merkel im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2005 etwas, was so gar nicht ins Lehrbuch der Parteien passt. Sie schlug eine Anhebung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte vor, um im Gegenzug den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken zu können.

„Merkelsteuer – das wird teuer“, plakatierte prompt die SPD. Und weil auch die Kopfpauschale ziemlich unpopulär war („Kopfpauschale: Das klingt so nach Kopf ab“, spottete ihr parteiinterner Rivale Friedrich Merz), wäre Merkel bei der Bundestagswahl 2005 um ein Haar gescheitert.

Kuschelkurs in Zeiten der Prosperität

Ihre Lehre aus der Fast-Niederlage lautete: Möglichst wenig ändern und den Leuten möglichst wenig zumuten. Aber stimmt das wirklich? Kam es nicht unter ihrer Ägide zur „Rente mit 67“? Ja, kam es. Aber nur, weil der damalige Sozialminister Franz Müntefering seine völlig überraschte SPD mit der Anhebung der Regelaltersgrenze überrumpelte.

Ansonsten steuerte Merkel den gemütlich-populären Kuschelkurs, den sie tatsächlich durchhalten konnte, weil sich die Wirtschaftslage Zug um Zug verbesserte und die Zeit sprudelnder Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben sowie von Rekord-Überschüssen in den Sozialversicherungen begann.

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Somit konnten ihre Gesundheitsministerinnen und -minister Ulla Schmidt und nach 2009 dann Philipp Rösler, Daniel Bahr (beide FDP), Hermann Gröhe und Jens Spahn (beide CDU) mit freundlicher Unterstützung ihrer Chefin fleißig Geld ausgeben und die Praxisgebühr abschaffen, ohne sich um mühselige Reformen in der Rente oder in der GKV kümmern zu müssen.

Als internationale Krisenmanagerin gefordert

Merkel selbst war anderweitig gefordert – und zwar in einem Maße, wie sich das zuvor niemand hätte vorstellen können. Eine Krise jagte nach 2008 die nächste: Die Finanzkrise mit den Risiken für die Stabilität des Bankwesens, die Staatsschuldenkrise mit den Risiken für den Erhalt des Euro, dann Putins Annexion der Krim mit den Risiken für den Frieden in Europa und schließlich die große Migrationsbewegung im Sommer 2015.

Natürlich war Merkel da froh, dass ihr getreuer Knappe Hermann Gröhe im BMG für Ruhe im Gesundheitswesen sorgte. Ihn hatte sie 2013 ins Kabinett berufen und damit den Ehrgeiz Spahns ausgebremst. Erst vier Jahre später besaß der Westfale Spahn so viel Hausmacht in der Union, dass sie ihn nolens volens in die Ministerrunde holen musste. Weggefährten wurden die beiden zwar nie, schafften es aber, in der letzten großen Krise der Ära Merkel gut zusammenzuarbeiten.

Die schlug im Frühjahr 2020 zu, als ein einzelnes Virus die Welt lahmlegte und zugleich in eine bis dato ungekannte Lage (und politische Ratlosigkeit) stürzte. Zum ersten und einzigen Mal in ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft wandte sich die Kanzlerin in einer Extra-Fernsehansprache an die Deutschen (also einer abseits der üblichen Reden der Kanzler zu Silvester). „Es ist ernst“, sagte sie im März 2020: „Nehmen Sie es auch ernst.“ Seit dem Zweiten Weltkrieg habe es keine Lage mehr gegeben, „bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“.

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Föderale Abgründe bei Corona

Blöd nur, dass das mit dem „gemeinsamen Handeln“ im föderalen Bundesstaat ziemlich vertrackt sein kann. Und das vor allem, wenn der Bund beim Infektionsschutz fast nichts zu melden hat und fast alle für die Bürgerinnen und Bürger im Alltag so relevanten Punkte (Schulschließungen, Abstandsregeln, Maskenpflicht, Ausgangssperren) von Ländern und Kommunen entschieden werden.

Also schlug die Geburtsstunde eines Entscheidungsgremiums, das das Grundgesetz nicht kennt: die Ministerpräsidentenkonferenz in Anwesenheit der Kanzlerin. Wie viele Stunden die Runde meist nächstens und oft an Wochenenden tagte, hat wohl niemand gezählt. Es müssen Dutzende gewesen sein.

Viele, die teilnahmen, erzählen noch heute, dass Merkel dort agierte, wie sie es auch sonst immer tat: Bestens vorbereitet, mit allen Details in der Sache vertraut, geduldig, konstruktiv nach Lösungen suchend. Und wenn etwas schieflief, hatte sie die Größe, nicht rumzudrucksen. Als klar war, dass die von Merkel und den Ministerpräsidenten beschlossene „erweiterte Osterruhe“ schlicht undurchführbar war, sagte Merkel im März 2021: „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler.“

Viel, sehr viel hätte sie wohl dafür gegeben, wenn ihr das Management der Pandemie-Abwehr erspart geblieben wäre. Schließlich hatte sie sich, wie der frühere Minister Thomas de Maizière erzählt, vor der Bundestagswahl 2017 mit dem Gedanken getragen, der Politik adé zu sagen. Dann trat Merkel aber doch noch einmal an, auch wenn sie da schon zwölf Jahre in einem mörderisch anstrengenden (Krisen-)Job hinter sich hatte.

In ihrer Regierungserklärung vom 21. März 2018 streifte sie Rente, Pflege und Gesundheit nur pflichtschuldig. Und selbst, wenn Merkel damals mehr gewollt hätte: Die Kraft für sozialpolitische Reformen hatte sie schon lange vor dem Ende ihrer Amtszeit im Dezember 2021 nicht mehr. Und die für Klimaschutz, eine funktionstüchtige Bundeswehr, eine sanierte Bahn und die Digitalisierung der Behörden auch nicht.

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