Schlamperei, Absicht oder Systemversagen

Auf wessen Kosten gehen die Kölner Glukose-Toten?

Nach den Todesfällen durch eine Glukosemischung für den Test auf Gestationsdiabetes aus einer Apotheke wird der Ruf nach mehr Kontrolle lauter. Doch wäre das die Lösung?

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat die Schließung dreier Apotheken in Köln verfügt.

Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat die Schließung dreier Apotheken in Köln verfügt.

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Nach zwei Todesfällen durch die Einnahme einer Glukoselösung in Köln haben das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium und die Bezirksregierung Köln die Schließung von drei Apotheken in Köln veranlasst. Damit sind die Apotheke am Bilderstöckchen, die Hauptapotheke des Inhabers, und seine beiden Filialen Heilig-Geist-Apotheke (dort war die Glukose-Mischung abgegeben worden) sowie Contzen-Apotheke auf unbestimmte Zeit geschlossen. „Diese Maßnahme dient dem vorbeugenden Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger“, heißt es in einer Erklärung.

In der Domstadt waren eine 28-jährige Frau und ihr in der 25. Schwangerschaftswoche durch einen Notkaiserschnitt auf die Welt geholtes Baby gestorben, nachdem die Frau eine Glukose-Mischung aus der Heilig-Geist-Apotheke eingenommen hatte. Die Todesursache war in beiden Fällen multiples Organversagen. „Da eine Gefährdung weiterer Kunden durch von der Apotheke abgegebene Arzneimittel nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, ist die vorübergehende Schließung des gesamten Apothekenbetriebs erforderlich“, begründeten die Behörden den Schritt. Das Gesundheitsamt Köln hatte der Apotheke zuvor bereits die Herstellung, den Verkauf von selbst hergestellten Arzneimitteln verboten.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) begründete die Schließung der drei Apotheken mit der Notwendigkeit des Patientenschutzes: „Wir wissen nicht, wie es passiert ist“, erklärte Laumann. Die vorübergehende Maßnahme gelte für drei Apotheken eines Verbundes, bei denen die Mitarbeiter zu jeder Apotheke Zutritt hätten. Damit erhebe er aber keinen Verdacht gegen Mitarbeiter, betonte der Minister. Die Kölner Behörden hätten bislang einen „klasse Job“ gemacht und machten weiter einen „klasse Job“.

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hatten ergeben, dass die in einem Tütchen abgegebene Glukosemischung mit einer toxischen Substanz verunreinigt war. Die Verunreinigung war in einem Vorratsgefäß für Glukose nachgewiesen worden. Um welche Substanz es sich handelt, wollen die Ermittler bisher nicht sagen, da sie nach eigenen Angaben kein Täterwissen preisgeben wollen. Es soll sich um ein Narkotikum handeln. Inzwischen wird spekuliert, dass es sich dabei um ein Lokalanästhetikum – möglicherweise Lidocain – handelt. Dieses wird in Apotheken häufig zur Herstellung lokal betäubender Salben genutzt und kann bei oraler Einnahme unter anderem Taubheitsgefühl, Herzrhythmusstörungen und andere Komplikationen auslösen.

Bitterer Geschmack fiel auf

Bislang steht allerdings noch nicht fest, wie es zu der Verunreinigung kam und wer die Verantwortung dafür trägt. Die Ermittler schließen nicht aus, dass es sich um absichtliche Manipulation handeln könnte. Von fahrlässiger Tötung bis hin zu Mord werden alle Optionen geprüft.

Die 28-Jährige hatte die ärztlich verordnete Rezeptur zur Abklärung eines Schwangerschaftsdiabetes erhalten. Zwei Tage zuvor hatte eine weitere Frau den Test abgebrochen, weil die Lösung bitter geschmeckt hatte. Nach der Information über die Vorgänge hat sich eine Frau gemeldet, die ebenfalls ein Glukose-Präparat aus der Apotheke erhalten hatte. Sie hat das Tütchen zur Polizei gebracht, sein Inhalt wird untersucht.

Ergebnisse liegen nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch nicht vor. Weitere Fälle sind bislang nicht bekannt. „Wir können nur hoffen, dass die Ermittlungsbehörden diese tragischen Vorgänge jetzt sehr schnell aufklären“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, der selbst eine Apotheke in Köln hat. An Spekulationen über möglichen Hintergründe will sich Preis nicht beteiligen.

Der Ruf nach strengeren Kontrollen in den Apotheken bringt nach seiner Einschätzung jedenfalls nichts. Die Apotheken unterlägen bereits engmaschigen Kontrollmaßnahmen, sie arbeiteten mit einem internen Qualitätsmanagement. „Wir müssen jede Rezeptur dokumentieren und auf Plausibilität prüfen“, betont Preis.

Jede Substanz, die von außen kommt und in der Offizin verarbeitet wird, werde nochmals auf ihre Identität untersucht. „Gerade wenn es sich um Absicht handeln sollte, bringt eine noch strengere Kontrolle nichts.“Es handele es sich bei der kontaminierten Glukose um einen lokalen Einzelfall einer Apotheke, sagt Preis. Deshalb wäre es fatal, wenn schwangere Frauen jetzt aus Angst auf den Glukosetoleranztest verzichten würden. „Ich halte es für absolut unbedenklich, weiter Glukosepulver anzuwenden und zu verordnen.“

oGTT-Fertigpräparat nicht lieferbar

Preis verweist darauf, dass es bei den Fertigpräparaten für den oralen Glukose-Toleranztest in der Vergangenheit häufig Lieferengpässe gegeben hat. Zurzeit scheinen sie überhaupt nicht lieferbar zu sein.

Hinzu kommt, dass die Krankenkassen in der Regel nur die günstigere Rezeptur erstatten. So informiert etwa die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNo) ihre Mitglieder: „Die Verordnung von Glukose für den oralen Glucosetoleranztest im Sprechstundenbedarf ist nur über die Apotheke möglich. Hierauf weisen die Krankenkassen in Nordrhein hin. Der Bezug abgefasster Glukose-Portionen von Drittanbietern ist nicht möglich.“ Fertiglösungen seien nur in medizinisch begründeten Einzelfällen verordnungsfähig, so die KVNo.

In einem Leserbrief an die „Ärzte Zeitung“ kritisiert ein Arzt, dass die ganze Affäre mit dem Spardruck im Gesundheitswesen begonnen habe, als Kassen die Kosten für die Test-Fertigzubereitung nicht mehr bereit zu übernehmen gewesen seien und die Abgabe der selbst zuzubereitenden Zuckerlösung als für Patientinnen zumutbar deklarierten.

Nach den beiden Todesfällen durch die vergiftete Glukose-Mischung aus der Kölner Apotheke soll nun die nordrhein-westfälische Opferschutzbeauftragte den Geschädigten helfen. Das kündigte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Donnerstag in Düsseldorf an. Gerade weil es hier um einen normalerweise ganz gewöhnlichen Medikamentenkauf gehe, sei es richtig, dass die Polizei-, Justiz- und Gesundheitsbehörden nun konsequent handelten. Daher habe sich NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auch dafür ausgesprochen, die drei Apotheken zu schließen.

Laumann: Restrisiko ausschließen

Die Maßnahme solle jegliches Restrisiko für örtliche Patienten ausschließen. „Ich war nicht bereit, ein Restrisiko in irgendeiner Art und Weise in Kauf zu nehmen“, sagte Laumann am Donnerstag in Düsseldorf. Da die Staatsanwaltschaft in dem Fall keine Ermittlungsrichtung ausgeschlossen habe und damit auch unklar sei, ob möglicherweise kriminelle Energie dahinter gestanden haben könnte, müsse es um weitestgehenden Patientenschutz gehen.

„Wir wissen nicht, wie es passiert ist“, erklärte Laumann zur festgestellten Vermischung eines Glukosemittels mit einem toxischen Stoff. Die vorübergehende Maßnahme gelte für drei Apotheken eines Verbundes, bei denen die Mitarbeiter zu jeder Apotheke Zutritt hätten.

Damit erhebe er aber keinen Verdacht gegen Mitarbeiter, betonte Laumann. Die Kölner Behörden hätten bislang einen „klasse Job“ gemacht und machten weiter einen „klasse Job“.(Mitarbeit: run, dpa)

Hinweis der KV Nordrhein

Wir haben den nordrheinischen Krankenkassen vor dem Hintergrund der Ereignisse in Köln nahegelegt, für eine Übergangszeit das Fertigpräparat Accu Check Dextro OGT-Saft im Sprechstundenbedarf nicht nur für medizinische Einzelfälle, sondern für alle OGT zuzulassen. Die Krankenkassen haben jetzt gegenüber der KV Nordrhein mitgeteilt, dass bis zum 31. Dezember 2019 das Fertigpräparat im Sprechstundenbedarf bezogen werden kann. Damit soll der entstandenen Verunsicherung bei Patientinnen und Patienten und behandelnden Ärztinnen und Ärzten entgegengewirkt werden. (Quelle: KV Nordrhein)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 28.09.201918:07 Uhr

Wer Medien-Schelte betreiben will,

Kollege Rudolf Egeler, sollte wenigstens selbst auf seine korrekte Diktion achten: Es heißt nicht "oGGT", wie auch in der ÄZ-Zwischenüberschrift irrtümlich geschrieben, sondern oGTT.

"Der orale Glukosetoleranz-Test (Zuckerbelastungstest, kurz auch oGTT) dient dem Nachweis eines gestörten Glukosestoffwechsels (Glukosetoleranzstörung) und so insbesondere der Diagnostik des Diabetes mellitus. Dabei trinkt der Patient eine genau festgelegte Menge Glukose, die in Wasser gelöst ist.
https://de.m.wikipedia.org › wiki
Oraler Glukosetoleranztest – Wikipedia"

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Rudolf Egeler 27.09.201918:37 Uhr

Kölner Todesopfer

Allen Medien sei dringend empfohlen, sich aus a l l e n Spekulationen zu einer möglichen Ursache dieses unfassbaren Vorganges nach Durchführung eines oGGT fernzuhalten und das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen abzuwarten - auch die Ärztezeitung ist ob der reißerischen Überschrift ("Schlamperei, Absicht, Systemversagen") zu rügen (eigentlich Sache des Presserates), da ja bisher keinerlei konkrete Ursache bekannt ist. Einzig und allein der Tatbest and, dass das oGGT-Fertigpräp. nicht verfügbar ist, sollte einen seriösen Journalisten zu einer Recherche veranlassen, warum die Industrie eine solch relativ einfache Rezeptur derzeit nicht anbieten kann.

Dr. Thomas Georg Schätzler 27.09.201912:59 Uhr

Es ist schon eine bemerkenswerte Paradoxie!

In Zeiten von extrem teuren "Biologicals" und immer aufwändigerer Transplantationsmedizin werden zum existenziell wichtigen Ausschluss eines Gestationsdiabetes bei Schwangeren die Materialkosten für den oralen Glukose-Toleranztest (oGTT) auf Kosten der GKV-Versicherten eingespart?

Das darf doch nicht wahr sein, dass erst Todesfälle auf diesen Missstand aufmerksam machen müssen!

Für den orale Glukosetoleranz-Test (Zuckerbelastungstest, kurz auch oGTT) ist ein sicher konfektioniertes Fertigpräparat offensichtlich nicht mehr verfügbar: Die orale Gabe von 75 g Glucose durch das Fertigpräparat Dextro-O.G.T.®. Selbst die sichere Alternative mit 75 g Dextrose, z.B. als Dextro-Energen® auf 300 ml Wasser wurde im Kölner Fall nicht genutzt.

Zusätzlich ist und bleibt es unverständlich, dass zum Ausschluss/Nachweis eines Gestationsdiabetes die Stoffwechsel-Provokation mit einer unphysiologischen Glucoselösung erfolgen soll, und nicht die Bestimmung des HbA1c-Wertes im Vollblut erfolgen kann. Vgl dazu:
- https://deutsch.medscape.com/artikel/4902664

- http://dx.doi.org/10.2337/dc14-1312
Hughes R, et al: Diabetes Care (online) 4. September 2014

- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/97239/HbA1c-Bestimmung-erkennt-Gestationsdiabetes-frueher

Bei möglicherweise bestehenden Lieferproblemen, die derzeit in der Pharma-Industrie an der Tagesordnung sind, sollte ernsthaft das HbA1c-Screening neu überdacht werden.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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