Bahr: "Wir tun sehr viel für Hausärzte"
Jetzt geht's in die Details: Ambulante Kodierrichtlinien fallen weg, Honorare werden regionalisiert, die Angst vorm Regress soll genommen werden. Damit richtet sich das geplante Versorgungsgesetz besonders an Hausärzte, sagt Gesundheitsminister Daniel Bahr im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Minister, 56 Prozent für die FDP - ein Traumergebnis. So lautet das zugegebenermaßen nicht repräsentative Urteil niedergelassener Ärzte nach einer Leser-Umfrage der "Ärzte Zeitung" vor den Bundestagswahlen im Herbst 2009. Sie waren der eindeutige Favorit. Wie fühlt sich das heute an, es geschafft zu haben?
Daniel Bahr: Ich mache gerne Politik, weil ich gestalten möchte. Insofern habe ich das Ministeramt sehr gerne übernommen. Als wir zu Beginn der Legislaturperiode gestartet sind, galt es zunächst, ein Milliardendefizit zu bewältigen. Das ist uns gelungen: Jetzt können wir uns an die Strukturfragen machen.
Ärzte Zeitung: Knapp zwei Jahre später sieht die Welt anders aus: Die Freidemokraten haben kräftig Kredit verspielt - auch in den Augen von Ärzten. Was tun Sie, um wenigsten bei den wichtigsten Zielgruppen der Liberalen wieder Boden gut zu machen?
Daniel Bahr (FDP)
Aktuelle Position: Minister im Bundesministerium für Gesundheit, Mitglied der FDP-Fraktion
Werdegang/Ausbildung: Ausbildung zum Bankkaufmann; danach Studium der Volkswirtschaftslehre und Business Management an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Karriere: Der 34-jährige FDP-Politiker war, bevor er Minister wurde, zuvor Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium. Nachdem sein Vorgänger Philipp Rösler ins Wirtschaftsministerium wechselte, gibt nun Bahr (FDP) die Richtung in der Gesundheitspolitik vor: Bahr versprach bei der Amtsübergabe Kontinuität, räumte allerdings gleichzeitig ein, jede Person setze "natürlich eigene Akzente". Von 1999 bis 2004 war der Ökonom Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Seit 2001 ist er Mitglied im Bundesvorstand der FDP und seit 2010 FDP-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen.
Privates: Nach eigenen Angaben versucht Bahr so oft wie möglich "Ablenkung und Erholung" im Laufen zu finden - und zwar am liebsten in Münster. 2007 lief er seinen ersten Marathon. Zudem kocht er gerne, fährt Ski und klettert.
Bahr: Vertrauen kann man nur schrittweise zurückerarbeiten. Bei der Bewältigung des Milliardendefizits mussten alle ihren Beitrag leisten, auch die Ärzte. Deshalb fielen die Honorarzuwächse auch niedriger aus. Aber es gab zumindest Honorarzuwächse. Anders als es die Opposition gefordert hat. Mindestens genauso wichtig aber ist der Bürokratieabbau - wie zum Beispiel bei den Ambulanten Kodierrichtlinien.
Ärzte Zeitung: Die Ambulanten Kodierrichtlinien sollen nun doch nicht verbindlich eingeführt werden.
Bahr: Die Vorgaben für das Kodieren von ärztlichen Diagnosen in der Form von verbindlichen Kodierrichtlinien wird es nicht geben. Im Entwurf des Versorgungsgesetzes ist die ersatzlose Aufhebung der entsprechenden Vorschrift vorgesehen. Der Grund dafür ist: Die notwendige Akzeptanz in der Ärzteschaft für verbindliche Kodierrichtlinien ist einfach nicht gegeben.
Ärzte Zeitung: Die Hausärzte haben aber dennoch Sorgen: Sie fühlen sich in dem geplanten Versorgungsgesetz nicht ausreichend berücksichtigt.
Bahr: Diese Kritik kann ich nicht verstehen. Das ist doch ein Gesetz, das sich ganz besonders an die Hausärzte richtet. Wir tun sehr viel für sie, indem wir dazu beitragen, dass sie eine verlässliche Perspektive erhalten, wenn sie sich in der Fläche niederlassen. In unterversorgten Gebieten fällt zum Beispiel künftig die Mengenabstaffelung weg.
Außerdem bauen wir Regressängste ab und sorgen für eine Regionalisierung der Honorare. Zudem sind wir die erste Koalition, die den Ärztemangel zum Thema macht. Die Vorgängerregierung hat diesen noch geleugnet. Wir wollen aber dafür sorgen, dass ein Hausarzt auch künftig einen Nachfolger für seine Praxis findet.
Ärzte Zeitung: Gerade aber dieser mangelnde Nachwuchs ist eines der Hauptprobleme: Wie wollen Sie es schaffen, junge Menschen im Medizinstudium wieder für die hausärztliche Tätigkeit zu begeistern?
Bahr: Junge Mediziner haben Sorgen, dass sie - wenn sie sich in der Fläche niederlassen - doppelt bestraft werden: In unterversorgten Bezirken haben sie mehr Patienten, erhalten aber im Einzelfall weniger Geld. Sie haben Angst vor Regressen bei Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln. Genau das gehen wir an!
Darüber hinaus ist es für viele Ärzte auch entscheidend, ob der Partner vor Ort einen Job bekommt, und wie es mit der Kinderbetreuung aussieht. Das Versorgungsgesetz führt zu flexibleren Regelungen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen. Dennoch bleibt genügend, was ich nicht alleine lösen kann. Aber ich kann Defizite zur Sprache bringen und bei Kommunen und Ländern um Unterstützung werben.
Ärzte Zeitung: Neben diesen Veränderungen des sozialen und kulturellen Umfelds bleibt aber die Furcht vor Arznei- und Heilmittelregressen: Was wird nächstes Jahr anders?
Bahr: Über Details werden wir noch diskutieren. Jedes Gesetz kann noch besser gemacht werden. Aber die Angst vor einem Regress ist größer als die konkrete Bedrohung. Das liegt vor allem an den falschen Informationen, die Ärzte erhalten.
Daher sorgen wir mit dem Versorgungsgesetz dafür, dass die Beratungen für Ärzte besser werden - Beratung geht künftig vor Regress. Es muss allerdings auch immer Anreize geben, dass derjenige, der verordnet, auch darauf schaut, ob es wirklich notwendig ist oder nicht. Aber das muss nicht so bürokratisch und ängstlich laufen wie bisher.
Ärzte Zeitung: Der Hausärzteverband beklagt, dass gerade die positiven Erfahrungen, die in Baden-Württemberg etwa durch eine Verbindung von Haus- und Facharztverträgen gemacht werden, im aktuellen Gesetzentwurf nicht aufgegriffen werden. Heißt das, Sie haben die Selektiverträge bereits abgeschrieben?
Bahr: Nein, im Gegenteil! Ich setze mich sehr für die Selektivverträge ein. Die Verträge im Baden-Württemberg zeigen ja, dass diese funktionieren können. Wir schaffen diese Verträge ja auch überhaupt nicht ab. Regionen brauchen genügend Spielräume, um selbst zu entscheiden.
Wir führen gerade Gespräche mit dem Koalitionspartner - da wünsche ich uns noch mehr Mut, auch neue Versorgungsformen wie Ärztenetze stärker zu etablieren. Selektivverträge sollen aber nicht den gesamten Kollektivvertrag infrage stellen. Das war bisher unsere Sorge.
Ärzte Zeitung: Den höchst umstrittenen Paragrafen 116 b haben Sie völlig umgeschrieben und dabei einen neuen Leistungssektor kreiert: die ambulante spezialärztliche Versorgung. Mit welchem Ziel?
Bahr: Wir wollen die Sektorgrenzen überwinden. Aber das geht nicht, indem man einfach die Krankenhäuser öffnet. Ich bin immer für mehr Wettbewerb, der muss aber fair sein. Und mit der ambulanten spezialärztlichen Versorgung sorgen wir für Bedingungen, die für die Niedergelassenen und Krankenhäuser gleichermaßen fair sind und nicht einen bevorteilen.
"Mit zentralen Vorgaben können wir nicht zufrieden sein. Das war ein Hauen und Stechen."
Ich gehe davon aus, dass sich deutschlandweit nicht nur ein Sektor durchsetzen wird. Ziel ist, gerade bei diesen schwerwiegenden Erkrankungen die Verbesserung der Versorgung der Patienten durch eine offenere, sektorverbindende Struktur zu erreichen. Und: Der Patient muss selbst entscheiden, wo er versorgt werden möchte.
Ärzte Zeitung: Beim Ärztetag haben Sie gesagt, dass Spezialisten und Kliniken in einen Wettbewerb treten sollen. Der Bessere soll den Zuschlag erhalten. Bezeichnen Sie das als fair, wenn die Krankenhäuser ihre Investitionen vom Staat bezahlt bekommen und Vertragsärzte hingegen nicht?
Bahr: Genau das wird nicht geschehen. Bisher gab es durch den Paragrafen 116 b eine Wettbewerbsverzerrung, die wir nun aber aufheben: Beispielsweise wird der Vorteil, den die Krankenhäuser gegenüber den Niedergelassenen haben, in der Form eines Investitionskostenabschlags von der Vergütung des Krankenhauses berücksichtigt.
Ärzte Zeitung: Den Krankenkassen graust davor, dass die ambulante spezialärztliche Versorgung ohne Bedarfsplanung und Mengensteuerung stattfinden soll. Und das bei den teuersten medizinischen Leistungen. Legen Sie da nicht einen Sprengsatz, der am Ende wieder eine rigide Budgetierung provoziert?
Bahr: Wir teilen diese Sorge der Kassen nicht. Bei den komplexen und schweren Erkrankungen, um die es hier geht, ist das Risiko der Mengenausweitung per se begrenzt. Auch wir haben kein Interesse daran, dass etwas exorbitant teuer wird, aber wir wollen mehr Spielraum zulassen. Wir wollen durch Qualitätsvorgaben steuern und außerdem gibt es bereits Regelungen, die verhindern, dass einfach mehr Geld ausgegeben wird.
Ärzte Zeitung: Apropos Kosten: Hier schweigt sich Ihr Gesetzentwurf aus. Was es denn kosten darf. Liefern Sie noch nach oder darf die Zeche Ihr Nachfolger bezahlen?
Bahr: Mit den Maßnahmen des Versorgungsgesetzes sind natürlich finanzielle Auswirkungen auf die Krankenkassen verbunden. Mehrausgaben stehen jedoch auch Minderausgaben, beispielsweise durch Vermeidung von unnötigen Krankenhausaufenthalten, gegenüber, die aus mehr Qualität und Effizienz in der ambulanten Versorgung resultieren.
Die Kosten wären doch viel höher, wenn wir nicht rechtzeitig gegensteuern. Wenn es erst einmal einen Ärztemangel in der Fläche gibt, wird es unglaublich viel Geld kosten, diesen wieder abzubauen.
Ärzte Zeitung: Hier werfen Ihnen die Kassen vor, den Ärzten quasi eine Lizenz zum Gelddrucken gegeben zu haben. Sie haben das dementiert - offenbar aber nicht überzeugend genug. Mit welchem starken Argument widersprechen Sie den Kassen?
Bahr: Die von den Kassen prognostizierten drei Milliarden Euro zusätzlich für Ärzte sind ein Gespenst. Uns war klar, dass - wenn wir den Regionen mehr Freiheiten lassen -, man immer darauf schauen muss, wie sich die Kosten entwickeln. Auch künftig wird es ein vertraglich zu vereinbarendes Budget geben, das einzuhalten ist.
Das haben wir bereits im Referentenentwurf so geregelt. Die Kassen spielen da ein politisches Spiel. Sie wollen die Verantwortung auf die Politik abschieben und damit vertuschen, dass die Kassen auch künftig eine gehörige Verantwortung für die Honorarentwicklung tragen. Schließlich sitzen sie bei den Verhandlungen am Tisch.
Ärzte Zeitung: Mit der Regionalisierung der Honorarpolitik folgen Sie dem Ruf vieler KVen - einige andere fühlen sich offenbar am Rockzipfel der KBV wohler. Glauben Sie, dass eine regionale Honorarverteilung auch für mehr Honorargerechtigkeit sorgen wird?
Bahr: Mit zentralen Vorgaben können wir alle nicht zufrieden sein - das war ein Hauen und Stechen und am Ende waren alle unzufrieden, und das, obwohl mehr Geld zur Verfügung stand. Künftig werden die Entscheidungen in den Regionen getroffen werden - und das wird der Situation vor Ort auch viel gerechter.
Ärzte Zeitung: Ein offenes Schlachtfeld ist die GOÄ-Reform. Beim Ärztetag haben sie gesagt, das Thema in dieser Legislatur anzugehen. Das hört sich sehr ergebnisoffen an.
Bahr: Ich werde mich mit Tatkraft engagieren. Das Ergebnis liegt nicht allein in meinen Händen. Ich muss mich mit den anderen Ressorts abstimmen. Außerdem muss ich die Bundesländer mit ins Boot holen - und natürlich PKV und Bundesärztekammer. An uns soll es jedenfalls nicht liegen.
Ärzte Zeitung: Die PKV will eine Öffnungsklausel, die Bundesärztekammer lehnt das kategorisch ab. Einem der beiden müssen Sie ja wohl auf die Füße treten?
Bahr: Dazu kann ich zurzeit noch nichts sagen. Wir führen noch die Gespräche. Aber wir werden am Ende einen guten Kompromiss finden.
Ärzte Zeitung: Kommen wir zu den Kassen und damit zur Pleite der City BKK - mit Verlaub, das Management war zutiefst dilettantisch. Hätten Sie nicht viel eher mit der Faust auf den Tisch hauen müssen?
"Für Selektivverträge setze ich mich ein. Sie dürfen den Kollektivvertrag aber nicht infrage stellen."
Bahr: Das Verhalten einzelner Kassen war nicht akzeptabel. Daher habe ich sofort - als ich meine Ernennungsurkunde erhalten hatte - mit dem GKV-Spitzenverband telefoniert und ihn aufgefordert, dass das Abwimmeln von Versicherten einzustellen ist. Dieses Fehlverhalten haben die Kassen aufzuarbeiten.
Jetzt kommt es darauf an, für die Versicherten der City BKK, die auch nach dem 1. Juli 2011 noch keine neue Kasse gewählt haben, dafür zu sorgen, dass zum Beispiel ärztliche und zahnärztliche Versorgung sichergestellt werden. Die entsprechenden Gespräche mit dem Spitzenverband Bund wurden geführt, und vom Spitzenverband Bund wurden die notwendigen Entscheidungen vorbereitet und getroffen.
Ärzte Zeitung: Wissen Sie, wie viele Kassen im Moment schon klamm sind?
Bahr: Die City BKK Kasse hat uns bereits seit Jahren Sorgen bereitet. Bei mehr als 150 Kassen ist es eigentlich kein Problem für die Versorgung, wenn eine Kasse schließt. Wichtig ist, dass für diesen Fall alles so organisiert ist, dass ein nahtloser Übergang gewährleistet ist.
Ärzte Zeitung: Nach vorne geschaut: Müssten nicht die Kassen dazu verpflichtet werden, zumindest quartalsweise über ihre finanzielle Situation Rechenschaft abzulegen - das wäre etwa ein geeignetes Auswahlkriterium für Versicherte, oder?
Bahr: Die größte Transparenz wird die neue Beitragsautonomie bringen. Da können die Versicherten sehen, was kostet mich meine Kasse im Vergleich zu den anderen. Aber sicherlich ist es wichtig, dass Versicherte noch mehr Transparenz erhalten.
Ärzte Zeitung: Kaum waren Sie im Amt, da brach zudem EHEC aus. Die Noten über das Epidemie-Management fallen verheerend aus. Da können Sie doch nicht zufrieden sein??
Bahr: Es ist immer ein schmaler Grat zwischen berechtigter Warnung und unberechtigter Aufgeregtheit. Ich selbst habe mich immer angemessen und sachlich begründet auf Grundlage der Empfehlungen der Experten im Ministerium und des Robert Koch-Instituts geäußert.
Die Behörden waren es nicht, die für Verunsicherung gesorgt haben, sondern der vielstimmige Chor sogenannter Experten in den Medien. Das hat die Menschen verwirrt. Das Robert Koch-Institut hat gute Arbeit geleistet und ist dafür auch international gelobt worden. Ihm ist es gelungen, die Infektionsursache relativ schnell einzugrenzen. In 80 Prozent der EHEC-Fälle wird eine Infektionsursache nie gefunden.
Ärzte Zeitung: Der Zustand des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ist nicht erst seit gestern defizitär. Was wird sich ändern?
Bahr: Insbesondere bei den Meldeverfahren sehe ich noch Nachholbedarf. Ich will nicht akzeptieren, dass einige Meldungen erst Tage später beim Robert Koch-Institut eingingen. Für uns ist es wichtig, ein Lagebild zu haben. Eine zentrale Behörde kann aber nicht die Lösung sein.
Das Interview führten Wolfgang van den Bergh und Sunna Gieseke.
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