Rettungsdienst
"Bis 60 hält das kaum einer durch"
Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Immer mehr Rettungssanitäter und Rettungsassistenten sind immer öfter und länger krank. Wie groß ist die Gefahr für den Patienten?
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Bandscheibenvorfall, Herzinfarkt, psychische Belastung - die Arbeit im Rettungsdienst ist nicht nur körperlich belastend.
Deshalb fordern Hilfsorganisationen nach einem Bericht des ARD-Magazins "Report Mainz" für diese Berufsgruppe die abschlagsfreie Rente mit 60.
Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes Baden-Württemberg, Lorenz Menz, sagte dem Magazin, ein großer Teil der älteren Frauen und Männer in der Notfallrettung sei mit 60 Jahren ausgepowert - dem müsse man Rechnung tragen.
Norbert Albrecht, Geschäftsführer Deutsches Rotes Kreuz Rheinland-Pfalz, betonte, das DRK sehe einen Handlungsbedarf auf Bundesebene durch eine Änderung des Rentenrechtes.
Auch Heiko Werner vom Bundesverband des Arbeiter-Samariter-Bunds sprach sich für eine frühere Verrentung ohne Abschläge aus. Vorbild könnte die Feuerwehr sein, hieß es kürzlich im ARD-Beitrag - dort gebe es für verbeamtete Feuerwehrleute eine solche Regelung.
Viele Rettungsdienstler begrüßen diese Forderung. "Das ist wirklich mehr als nur gerechtfertigt", sagt Olaf Karg, langjähriger Rettungsassistent, der "Ärzte Zeitung". "Die Belastung in diesem Beruf ist enorm.
Der Schichtdienst, das häufige schwere Heben, die Arbeit in einer Zwangshaltung für die Wirbelsäule - kein Mensch würde sich freiwillig zwischen Wand und Bett krümmen, doch im Rettungseinsatz ist das häufig Realität."
Er kämpft noch immer
Realität, für die Karg und viele andere mit ihrer Gesundheit zahlen. "Vor 20 Jahren begannen die Rückenprobleme, es folgten Bandscheiben-OP und Reha", berichtet der heute 45-Jährige. Hinzu kam eine Allergie auf Desinfektionsmittel und Schlafstörungen.
17 Jahre war Karg hauptberuflich im Raum Frankfurt im Notfalleinsatz, entschied sich dann vor wenigen Jahren, den Beruf zu wechseln. "Natürlich hat der Beruf auch schöne Seiten", sagt er. Doch die negativen Aspekte begleiten ihn bis heute: Mittlerweile ist Karg 45 und kämpft noch immer mit den Nachwirkungen.
Das kennt auch Jörg Janata. 25 Jahre arbeitete er im Rettungsdienst, zuletzt einige Jahre für eine christliche Hilfsorganisation, bevor er die Reißleine zog.
Aktuell ist der Rettungsassistent nach einem Berufswechsel nur noch ehrenamtlich auf dem Notarzteinsatzfahrzeug tätig. "Auch, weil man nicht so schwer heben muss", sagt der 54-Jährige.
Bandscheibenvorfälle, Meniskus-Schäden, Fußprobleme, Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen, schichtbedingte Fettleibigkeit: Die Liste der auf den Beruf zurückzuführenden körperlichen Beschwerden ist lang.
Und das kann auch Folgen für den Patienten haben, die von einem nur eingeschränkt einsatzfähigen Retter vielleicht nicht optimal versorgt werden können. Gerade Rückenschmerzen seien bei vielen Kollegen im Rettungsdienst an der Tagesordnung, sagt auch Olaf Karg: "Da sind viele lange außer Gefecht."
Ein Blick auf aktuelle Zahlen bestätigt diese Einschätzung: Der Krankenstand bei älteren Rettungskräften sei in den vergangenen Jahren stark gestiegen, berichtete "Report Mainz". Rettungsassistenten und Rettungssanitäter seien zudem deutlich häufiger und länger krank als der Durchschnitt aller Berufstätigen in der entsprechenden Altersgruppe.
Krankenstand über zwölf Prozent
Die Angaben beruhen auf einer Datenanalyse des wissenschaftlichen Dienstes der AOK. Demnach stieg der Krankenstand älterer Rettungskräfte über 60 von 9,9 Prozent im Jahr 2012 auf 10,6 Prozent (2013) und 12,2 Prozent (2014).
Zum Vergleich: Laut Bundesgesundheitsministerium lag der durchschnittliche Krankenstand aller gesetzlich Versicherten 2012 bei 3,64 Prozent, 2013 bei 3,78 Prozent und im ersten Quartal 2014 bei 3,44 Prozent.
Mit 60 abschlagsfrei in Rente gehen - für Janata und viele seiner Kollegen eine verlockende Vorstellung. Wobei: "Bis 60 hält ja ohnehin kaum einer durch."
Schuld daran sind auch psychische Belastungen. "Stress durch Sondersignalfahrten, verschiedene Notfallsituationen, bei denen man soeben ein sterbendes Mädchen nach einem Verkehrsunfall erfolglos zu retten versuchte und nach dem Aufrüsten des Fahrzeuges sofort wieder funktionieren muss, Reanimation, aufgeregte Angehörige, ständige Alarmbereitschaft mit 60 bis 70 Sekunden Ausrückzeit", zählt Janata die Probleme auf.
Tatsächlich spricht auch "Report Mainz" von nur einem Prozent aller Rettungsdienstler, die bis zum 60. Geburtstag im Beruf bleiben.
Wer früher gehen muss, muss hohe Abschläge in Kauf nehmen oder landet in der Arbeitslosigkeit. "Daran ist auch das System schuld; im Rettungsdienst werden Arbeitnehmer ausgewrungen und danach regelrecht weggeworfen", prangert Janata an.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bremst Hoffnungen auf eine frühere Rente jedoch aus. Schriftlich teilte sie der ARD mit, eine solche Ausnahme käme nicht grundsätzlich in Betracht, da dann auch andere Berufsgruppen Ausnahmen für sich wollten. Auf Länderebene könne man jedoch Gespräche führen.