Debatte um neues Pandemie-Gesetze
Bundestag gibt sich bei Corona zahm
Wie viel Parlament braucht die Corona-Politik in Deutschland? Darum kreiste die erste Debatte über den Entwurf des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes am Freitag im Bundestag. Auch ein Positionspapier der KBV spielte eine Rolle.
Veröffentlicht:Berlin. Der Entwurf sieht einen neuen Paragrafen 28a für das Infektionsschutzgesetz vor, der in das Gesetz eine Art Rahmen für Verordnungsermächtigungen der Exekutive in Zeiten epidemischer Notlage einziehen soll. Darin sind die inzwischen bekannten Maßnahmen vom Maskentragen bis zur Begrenzung von Personenzahlen von privaten Feiern einzeln aufgeführt. Im Hintergrund schwingt mit, die Verordnungen gerichtsfest zu machen.
In seiner Stellungnahme forderte der Bundesrat am Freitag genau das. Die Rechtsgrundlage für Corona-Schutzmaßnahmen der Länder im bundesweiten Infektionsschutzgesetz sei zu konkretisieren: Statt der bisherigen Generalklausel schlägt der Bundesrat einen Katalog mit Maßnahmen vor, die in den vergangenen Monaten von den Ländern durch Rechtsverordnung erlassen worden sind.
Ein Adressat des neuen Paragrafen ist der Gesundheitsminister, der vom Bundestag im März dieses Jahres diese Verordnungsermächtigung ausgesprochen bekam. Weil zunehmend Gerichte die Einschränkungen in Frage gestellt haben, soll nun dieses Gesetz von den Koalitionsfraktionen eingebracht werden.
Für Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellt sich die Frage nach zuviel Machtfülle für seine Person nicht. „Der Bundestag hat immer die Möglichkeit, die epidemische Notlage von nationaler Tragweite zu beenden. Und damit enden auch die Verordnungsermächtigungen“, sagte Spahn am Freitag zu Beginn der Debatte. Er verwies mit Blick auf das Infektionsgeschehen gleichzeitig auf die Notwendigkeit von Handlungsmöglichkeiten für die Exekutive: „Diese Dynamik ist zu stark und wir müssen sie gemeinsam brechen“, forderte der Minister.
KBV-Papier wird zur Argumentationsgrundlage
Der neue Paragraf widerspreche dem „Gedanken von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“, sagte Detlev Spangenberg von der AfD. Psychische Erkrankungen in Folge von Vereinsamung und Sorge um die wirtschaftliche Existenz seien zu erwarten. Das gemeinsame Positionspapier der KBV, von Ärzteverbänden und Wissenschaftlern sei inhaltlich „wohltuend und überraschend“, sagte Spangenberg. Der Rückzug von einigen Ärzteverbänden von diesen Positionen beruhe auf „gesellschaftlichem Druck“, der einem demokratischen Rechtsstaat unwürdig sei.
Dass am Morgen die Zahl von mehr als 21.000 Neuinfizierten binnen 24 Stunden gemeldet worden sei, zeige, dass Handlungsbedarf bestehe, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Bärbel Bas. Dass es schwere Verläufe gebe, könne auch eine AfD-Fraktion nicht ignorieren.
Bas verteidigte das KBV-Positionspapier gegen eine Vereinnahmung durch die AfD. Das Papier biete gar keine Lösung der aktuellen Situation an. Das Konzept der KBV und der beteiligten Wissenschaftler wirke erst, wenn die Zahlen wieder im Griff seien. Bas wies die AfD darauf hin, dass das KBV-Konzept die AHA plus-Regeln sehr wohl empfehle, die AfD aber den Bundestag wegen der dort herrschenden Maskenpflicht verklage.
Lindner warnt vor Jo-Jo-Effekt
Auch bei FDP-Fraktions-Chef Christian Lindner klang das KBV-Papier an. Trotz der einschränkenden Maßnahmen bleibe offen, wie es langfristig weitergehen solle. Offen sei, ob nicht ein Jo-Jo-Effekt drohe, eine Abfolge drastischer Maßnahmen, die wirksam seien, nach deren Aufhebung aber wieder der vorherige Zustand eintrete.
„Es gibt keinen Grund, warum wir mehr als ein halbes Jahr nach Feststellung der epidemischen Notlage immer noch am Notfallmodus festhalten und diesen sogar entfristen sollen“, sagte Lindner. Mehr Testmöglichkeiten zu schaffen und die Meldewege zu digitalisieren sei richtig, ansonsten handele es sich bei dem Gesetzentwurf um ein „rechtspolitische Feigenblatt, um bereits getroffene Entscheidungen zu legitimieren“, sagte Lindner. Das gehe hart an die Grenze der Missachtung des Parlaments. Der Bundestag solle daher die Notlage aufheben und eigene Handlungsspielräume zurückholen.
Linke fordert Ende des Pflegenotstands
Die Abwägung der einzelnen Grundrechtseinschränkungen gehöre ins Parlament, forderte auch Susanne Ferschl von der Fraktion Die Linke. Sie machte auf strukturelle Versäumnisse im Kampf gegen Corona aufmerksam. Es müsse mehr gegen Pflegenotstand, Lehrermangel, die baulichen Defizite der Schulen und überfüllte Verkehrsmittel getan werden.
Es komme in einer Pandemie auf schnelle Reaktion an, sagte Dr. Manuela Rottmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Ministerpräsidenten der Länder und die Kanzlerin hätten schnell reagiert und als ehemalige Dezernentin des Öffentlichen Gesundheitsdienstes der Stadt Frankfurt am Main wisse sie, dass der Teil-Lockdown bei den Mitarbeitern der Gesundheitsämter gut angekommen sei.