Lieferung gekürzt
Corona-Impfstoff: EU überlegt Pfizer und AstraZeneca zu verklagen
Bei den EU-Quoten wird gestrichen, während andere Staaten pünktlich mit Corona-Vakzinen beliefert werden – in der Europäischen Kommission herrscht Empörung über Pfizer und AstraZeneca. Eine Klage steht jetzt im Raum.
Veröffentlicht:Brüssel. Es dürfte ein ziemlich ungemütliches Wochenende für EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides gewesen sein. Überliefert ist zwar nur, dass sie „tiefe Unzufriedenheit“ geäußert habe. Aber das scheint wohl eher eine diplomatisch gebremste Floskel zu sein. Denn am Freitagabend erreichte die Brüsseler EU-Kommission ein Schreiben des britisch-schwedischen Impfstoff-Herstellers AstraZeneca mit der Ankündigung, angesichts von Produktionsproblemen die für das erste Quartal versprochene Liefermenge um 60 Prozent kürzen zu müssen. In Zahlen: Statt der vertraglich zugesicherten 80 Millionen Dosen sollen es nur 31 Millionen werden.
„Wir erwarten, dass die Verträge, die die Pharmaindustrie unterschrieben hat, auch eingehalten werden“, betonte EU-Ratspräsident Charles Michel am Sonntag. In Brüssel wird über eine Klage nachgedacht, die auch ihren Grund hat: Denn während das Unternehmen seine EU-Quote kürzt, liefert es pünktlich und fristgerecht alles, was es mit der britischen Regierung vereinbart hat.
Schon der zweite Rückschlag
Für die Gemeinschaft ist es der zweite Rückschlag nach der zuvor erfolgten Kontingentkürzung des BioNTech/Pfizer-Verbundes, der sich auf Umbauarbeiten in seinem belgischen Werk in Puurs berief. Den Staats- und Regierungschefs hatte man beim virtuellen EU-Gipfel am Donnerstag noch versprochen, die Produktion werde an diesem Montag wieder aufgenommen. Doch daraus wurde nichts. Die EU muss warten – und wird mit einem ziemlich üblen Trick abgespeist.
Denn bei den Vertragsverhandlungen hatte Brüssel zwar insgesamt 600 Millionen BioNTech-Dosen gekauft, nicht aber die gleiche Anzahl von Ampullen. Da die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) inzwischen erlaubt hat, aus jeder Ampulle nicht fünf, sondern sechs Impfstoff-Dosen zu entnehmen, erfüllt Pfizer seinen Vertrag, wenn 20 Prozent weniger Ampullen geliefert werden. Auch hier fällt auf: Der US-Konzern hat lediglich die EU-Quote gekürzt, nicht aber die amerikanische.
Das hätte die EU wissen können: Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte am 8. Dezember per „Executive Order“ verfügt, dass die Versorgung des US-Marktes Vorrang habe und zuerst bedient werden muss. Fazit: Die amerikanischen Fabriken des Pfizer-Konzerns laufen auf Hochtouren, aber nur für „America first“.
Hoffnung auf Änderung der Lieferpläne
In der EU lernt man also gerade die bittere Lektion, dass für einen raschen Impf-Fortschritt nicht entscheidend ist, wer wie viel von einem Impfstoff bestellt hat, sondern wie schnell dieser zur Verfügung steht. Daran ändert auch wenig, dass der CDU-Europa-Abgeordnete und Arzt, Peter Liese, am Montag aus internen Gesprächen mit AstraZeneca-Leuten ausplauderte, dass „die Sache vielen im Unternehmen peinlich zu sein scheint“. Immerhin begründete er damit seine Hoffnung, es werde „in den nächsten Stunden“ eine Änderung der Lieferpläne für die EU geben – und zwar „nach oben“.
Darauf setzt auch Deutschland. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Wochenende, er hoffe für die Bundesrepublik auf drei Millionen Dosen aus der Herstellung von AstraZeneca, sobald dieses Vakzin mutmaßlich am Freitag dieser Woche von der EMA zugelassen wurde. Doch das ist nur ein Bruchteil dessen, was laut Vertrag Deutschland zustehen würde.
Italien kündigt rechtliche Schritte an
Inzwischen wird die Wut über das Verhalten der Konzerne immer heftiger. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte sprach am Wochenende davon, diese „Verlangsamungen der Lieferungen stellen schwere Vertragsverletzungen dar, die in Italien und anderen europäischen Ländern enorme Schäden verursachen“. Auch er kündigte rechtliche Schritte an.
Tatsächlich könnte den Unternehmen die offensichtliche Brüskierung der EU am Ende teuer zu stehen kommen. Denn die Gemeinschaft hat stets darauf hingewiesen, dass der Grad der reibungslosen Zusammenarbeit sich langfristig auszahlen werde. Denn schließlich handele es sich bei Europa um den größten Binnenmarkt der Welt und – so ein hochrangiger EU-Diplomat – „die wollen ja auch in Zukunft noch ihre Produkte bei uns verkaufen. Daran sollten sie immer denken.“