Kommentar zu Corona-Impfstoff
Nationalismus mit der Spritze
Die Idee ist gut, die Ausführung nicht: Bei der EU-weiten Impfstoffbeschaffung ist viel schiefgegangen. Gegen den Vertrauensverlust hilft jetzt nur strikte Transparenz.
Veröffentlicht:Die gemeinsame Beschaffung des Impfstoffs gegen das Coronavirus sollte so etwas wie das Meisterstück der EU-Kommission werden. Heute muss man feststellen: Es ist ein einziges Fiasko. Während die EU dem Impfstoff-Nationalismus eine Absage erteilen und ein Modell für Gemeinsamkeit praktizieren wollte, haben einige Konzerne offenbar schon bei der Vertragsunterzeichnung geschummelt. Beim US-Unternehmen Pfizer beugt man sich allen Absprachen zum Trotz dem Prinzip „America First“, bei Astra Zeneca bremst man zwar die EU aus, nicht aber Großbritannien.
Es ging eigentlich alles schief, was schiefgehen konnte. Bei den Verhandlungen setzten die EU-Kommission und die Vertreter der Mitgliedstaaten, die immer beteiligt waren, aufs falsche Pferd. Man hoffte auf das Produkt von CureVac als Nummer Eins – und lag daneben. Die östlichen Mitgliedstaaten waren es, die schon die angesetzten 2,7 Milliarden Euro für Impfstoff zu viel fanden. Noch ein schwerer Irrtum.
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Dass sich diese offenkundigen Fehler und Versehen auf europäischer Ebene nun auch noch durch Verteilungsprobleme und schwere Versäumnisse auf der Ebene der Mitgliedstaaten verschärfen, kommt hinzu. Nicht nur Deutschland hätte genügend Zeit gehabt, die digitale Arbeitsweise der Gesundheitsämter rechtzeitig anzugehen. Inzwischen arbeiten viele Schlüsselstellen noch mit Faxen, wo sich die Ü20-Generation fragt, was das eigentlich ist.
Der Preis ist das schwindende Vertrauen in die europäischen und nationalen Führungen. Es hilft jetzt nur noch eines: strikte Transparenz. Die von Lockdowns und Beschränkungen entnervten Menschen wollen keine Strategien der EU-Kommission oder der Bundesregierung mehr hören – von Impf-Angeboten, die am Ende doch nicht halten. Die Bürger wollen eine verbindliche und belastbare Wahrheit. Nur so ist der ohnehin schon entstandene Schaden wenigstens einigermaßen wiedergutzumachen.
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