Versorgungsstrukturen in der Psychiatrie
Debatte hält an
Der Bundestag will noch in dieser Woche das Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen verabschieden.
Veröffentlicht:BONN. Die geplante Erweiterung ambulanter Behandlungsmöglichkeiten für psychiatrische Krankenhäuser kann die Versorgung der Patienten effizienter und effektiver machen. Als Mittel zur Kostensenkung taugt das sogenannte Hometreatment dagegen nicht. Das hat Professor Arno Deister, Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe, auf einer Fachtagung des Landschaftsverbands Rheinland in Bonn klargestellt.
Das "Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen" (PsychVVG), das zum größten Teil am 1. Januar 2017 in Kraft treten soll, sieht unter anderem die psychiatrische Akut-Behandlung im häuslichen Umfeld als stationäre Leistung vor. Die Kliniken können damit auch niedergelassene Ärzte beauftragen.
Erfahrungen aus 18 Modellprojekten
"Wir werden merken, dass stationsäquivalente Leistungen nicht billiger sind als stationäre", sagte Deister, President Elect der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Er verwies auf die bisherigen Erfahrungen aus 18 Modellprojekten, die in neun Bundesländern laufen.
In ihnen erhält das Krankenhaus für die Behandlung der Patienten in einer Region ein Gesamtbudget und entscheidet, welche stationäre, teilstationäre oder ambulante Behandlungsform für den jeweiligen Patienten angemessen ist.
Durch die flexiblere Versorgungsform reduziere sich die Zahl der stationären Tage ebenso wie die Verweildauer, während die tagesklinischen und ambulanten Behandlungen zunehmen, berichtete Deister. Die Kosten bleiben unverändert.
"Das Geld muss sich vom Bett lösen, aber nur, wenn es dann nicht der Versorgung entzogen wird", betonte er. Die Modellprojekte zeigten, dass die psychiatrische Versorgung ambulanter gestaltet werden kann. "Der Maßstab muss aber sein, dass der Patient in dem Setting behandelt wird, das er braucht."
Melanie Tilgen, Referentin im Bundesgesundheitsministerium, sieht in den stationsäquivalenten Leistungen ein "Kernelement sektorübergreifender Versorgung". Ihre Ausführungen bestätigten den Eindruck, dass eine Kostensenkung mit ihnen kaum verbunden sein wird. "Die stationsäquivalente soll der vollstationären Behandlung in nichts nachstehen", sagte sie.
Bis Ende 2021 werde der neue Versorgungsbereich evaluiert. Damit sollen die Konsequenzen der neuen Versorgungsform für die Patienten und die finanziellen Auswirkungen ermittelt werden, so Tilgen.
"Begrenzter Einstieg"
Der Abgeordnete Dirk Heidenblut, der für die SPD im Gesundheitsausschuss des Bundestages sitzt, sieht in der Aufnahme der stationsäquivalenten Leistungen ins PsychVVG einen wichtigen Vorteil gegenüber dem ursprünglich geplanten Pauschalierten Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik.
"Das ist ein erster Ansatz für eine sektorübergreifende Versorgung." Es sei allerdings nur ein begrenzter Einstieg in die notwendige Vernetzung der Strukturen. "Alles erreicht ist mit dem Gesetz noch nicht", sagte er.
Regionale Besonderheiten
Es sei der Wille des Gesetzgebers, dass strukturelle regionale Besonderheiten eine Rolle spielen sollen. Das sei einer der Punkte, über die noch verhandelt werde, sagte Heidenblut. Der Zeitplan sei nach wie vor, das Gesetz bis Ende dieser Woche zu verabschieden.
Vor der Aufnahme der neuen Versorgungsform ins Gesetz hätte man zunächst die Evaluation der Modellprojekte abwarten sollen, findet Dr. Mechtild Schmedders, Referatsleiterin Qualitätssicherung Krankenhaus beim GKV-Spitzenverband.
Sie kritisierte einen weiteren Aspekt: "Mit der stationsäquivalenten Versorgung bekommen wir eine neue Sonderregelung im Grenzbereich der stationären und der ambulanten Versorgung", sagte sie. Das werde den ohnehin schon vorhandenen Flickenteppich an dieser Stelle noch bunter machen. "Ist das ordnungspolitisch vernünftig?", fragte Schmedders.